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Bye bye SXF

Schönefeld – vom DDR- zum Billigflieger-Flughafen

Im September wird der Flughafen Schönefeld offiziell verabschiedet. In DDR-Zeiten nahm er eine spezielle Rolle ein, bevor er schließlich zur Heimat der Lowcost-Airlines wurde.

«Wir drücken die Pausentaste, nicht die Stopptaste», war sich Berlins ehemaliger Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup sicher, als der Flughafen Schönefeld im Februar 2021 schloss. Der Airport sollte coronabedingt ein Jahr in den Dornröschenschlaf, bis die Passagierzahlen wieder ihr altes Niveau erreichten. Dann sollte der Flughafen als Terminal 5 des neuen Hauptstadtflughafens BER Low-Cost-Airlines, wie Ryanair und Wizzair beherbergen.

Doch dazu kam es nicht. Im November 2022 drückte die neue Flughafenchefin Aletta von Massenbach die Stopptaste dann doch. Die Kapazitäten von Schönefeld würden künftig nicht mehr gebraucht. Anfang September nimmt die Flughafengesellschaft zusammen mit der Gemeinde Schönefeld mit einem großen Bürgerfest offiziell Abschied vom Flughafen.

Zwangsarbeiter bauen Flugzeuge

Die wechselvolle Geschichte des Areals ist noch immer erkennbar. Ein Teil der Flughafenverwaltung sitzt bis heute im ehemaligen Hauptgebäude der Henschel Werke, die die Luftfahrt 1933 nach Schönefeld brachten. Der Kasseler-Konzern, der zuvor vor allem Züge, Lastwagen und Busse hergestellt hatte, stieg 1934 in den Flugzeugbau ein und baute in Schönefeld eine Produktionsanlage sowie drei 800 Meter lange Start- und Landebahnen aus Beton.


Der frühere Sitz der Zentralverwaltung der Henschel Flugzeug-Werke. Bild: Henschel-Museum und Sammlung e.V.

Von 1935 bis 1945 wurden über 14.000 Flugzeuge, vorrangig Kampfbomber und Schlachtflugzeuge in der Schönefelder Fabrik produziert. Die Arbeitenden waren ab 1938 überwiegend Fremd- und Zwangsarbeiter, unter anderem aus Polen, Frankreich und der Ukraine. Zwischen 1943 und 1945 wurden auch KZ-Häftlinge zum Arbeitsdienst gezwungen. Bis zu 13.000 Menschen schufteten unter unwürdigen Bedingungen in den Montagehallen.

Flughafen für alle Länder

Nach Kriegsende besetzte die Sowjetunion das Gelände, deinstallierte die Produktionsanlagen und brachte sie in die UdSSR. Ende Mai 1946 nahm die sowjetische Aeroflot den Liniendienst zwischen Berlin-Schönefeld und Moskau auf. Ein Jahr später fiel die Entscheidung der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) zum Aufbau eines zivilen Flughafens in Schönefeld – der Startschuss für den zivilen Flugbetrieb.

Der Standort in Schönefeld hatte einen entscheidenden Vorteil: Er lag nicht im Stadtgebiet Berlins und war damit nicht an den Besatzungsstatus der geteilten Viersektorenstadt gebunden. Flughäfen innerhalb der Berliner Stadtgrenzen, wie Tempelhof und später Tegel, durften bis zur Wiedervereinigung im Oktober 1990 nur von alliierten Fluggesellschaften angeflogen werden. In Schönefeld hingegen durften Airlines aus sämtlichen Staaten der Welt uneingeschränkt starten und landen. Das galt auch für die Deutsche Lufthansa der DDR – die später zu Interflug wurde.

1962 eröffnet erste Abfertigungshalle

Erst Anfang der 1960er Jahre erhielt die DDR-Regierung von der sowjetischen Besatzungsmacht die komplette Hoheit über den Flughafen. Weil die provisorischen Abfertigungsgebäude nicht mehr ausreichten, verabschiedete die DDR-Führung einen Generalplan, der vorsah, das Areal zum Zentralflughafen Berlin-Schönefeld umzugestalten. Das Hauptaugenmerk lag auf einer effizienten Passagierabfertigung und einer Infrastruktur, die auch die modernsten Flieger abfertigen konnte.


Die 1962 eröffnete Abflughalle mit Busvorfahrt. Bild: Archiv/Flughafen Berlin Brandenburg GmbH

Im Sommer 1962 wurde die erste Abflughalle westlich des heutigen Flughafens eingeweiht. Auch internationale Stars wie Josephine Baker waren zu Gast. Im Jahr der Eröffnung wurden 15.866 Flugbewegungen gezählt. Das Gebäude gibt es mittlerweile nicht mehr. Es wurde für den Bau des provisorischen Regierungsterminals der Bundesregierung vor ein paar Jahren abgerissen.

Eigener Bus für Westberliner

Der Flughafen sollte für die DDR-Bürger das Tor zur Welt sein – allerdings konnten sich nur wenige von ihnen ein Flugticket leisten. Dafür wurde er schnell für Westdeutsche interessant, einerseits weil Ziele, die ab den westdeutschen Flughäfen nicht bedient wurden, ab Schönefeld erreichbar waren – etwa Prag oder Budapest.

Zum anderen, weil es für BRD-Bürgerinnen und Bürger deutlich günstiger war, von Schönefeld zu fliegen. Der Airport war schon in den 80er-Jahren für Westdeutsche das, was er ab Anfang der 2000er-Jahre auch für alle werden sollte: Ein Low-Cost-Airport. Teilweise kosteten Tickets einige hundert Mark weniger als in West-Berlin.

Getrennte Abfertigung der Ost- und Westdeutschen

Interflug hatte auch weite Langstrecken nach Havanna und Singapur im Angebot. Die Abfertigung der West- und Ostdeutschen fand strikt getrennt statt. 1963 wurde für West-Berliner Passagiere ein eigener Zubringerbus ins Leben gerufen. Es ging mit mehreren Zwischenstopps in West-Berlin direkt vor das Terminal.

1969 wurden erstmals über eine Million Passagiere pro Jahr abgefertigt. Das Abfertigungsgebäude wurde langsam zu klein und Planungen für eine neue Passagier-Infrastruktur begannen unter der Federführung des Architekten Ernst Haas. Sein Entwurf sah drei trapezförmig ausgerichtete, 100 Meter lange Baukörper vor. Einer wäre mit dem Bahnhof verbunden gewesen.

Neue Empfangshalle

Doch die ursprünglichen Pläne des Architekten konnte der Flughafen wegen Geldmangels nicht umsetzen. Also entstand nur die zentrale Empfangshalle. Gebaut wurde das Terminal L, das später zum Terminal A werden sollte, als neue Passagier-Abfertigung (NPA) von 1974 bis 1976.

Am 1. Juni 1976 wurde nahm es den Betrieb auf. In ihren Glanzzeiten steuerte Interflug ab hier 53 Ziele auf 4 Kontinenten an. Aber auch westliche Fluggesellschaften wie Austrian Airlines, Air France, Egypt Air und SAS flogen nach  Schönefeld.

Doch die DDR-Airline erlebte beim Landeanflug auf Schönefeld am 14. August 1972 auch einen Unfall, der bis heute schwerste Luftfahrtkatastrophe auf deutschem Boden bleibt. Eine Iljuschin Il-62 war auf dem Weg von Schönefeld nach Bulgarien. Kurz nach dem Start in Berlin bemerkte die Besatzung Probleme mit der Trimmung des Höhenleitwerks und kehrte nach Absprache mit der Flugsicherung um. Im Sinkflug löste sich das Heck mit Höhen- und Seitenleitwerk vom Flugzeug und die Maschine stürzte in einem Waldstück ab. Alle 156 Menschen an Bord starben.


Die Einweihung der Neue Passagier-Abfertigung am 1. Juni 1976. Bild: Archiv / Flughafen Berlin Brandenburg GmbH

Die Passagierzahlen stiegen ab 1980 immer weiter. Mitte der 80er-Jahre flogen 18 Fluggesellschaften den DDR-Airport an. Er musste wieder ausbauen. Und wieder konnten die ursprünglichen Pläne aufgrund von Geldmangel nicht umgesetzt werden. Die Lösung: Terminal Q – später das Easyjet-Terminal B – aus Fertigbauteilen einer DDR-Kaufhalle.

DDR verdiente mit Geflüchteten Devisen

Den Flughafen nutzten längst nicht mehr nur Westberliner Touristen und türkische Familien, die ihre Berliner Verwandten besuchten. Ab Mitte der 80-er Jahre wurde der Airport auch zum Einfallstor für tausende Asylsuchende, unter anderem aus Sri Lanka, Syrien, Angola, Irak und der Türkei.

Möglich war das Ganze aufgrund des Sonderstatus von West-Berlin. Die Menschen kauften in ihren Heimatländern One-Way-Tickets nach Schönefeld. Nach ihrer Ankunft erhielten sie von der DDR ein 24-Stunden-Transitvisum, damit fuhren die mit der S-Bahn zum Berliner Bahnhof Friedrichstraße und gingen unkontrolliert in den Westen. Die Bundesrepublik kontrollierte Einreisende aus dem Osten nicht, weil es keine richtige Staatsgrenze war, sondern nur eine Demarkationslinie.

Ende der Interflug 1991

Die DDR soll an dieser Durchreisepolitik gut verdient haben. Mit den One-Way-Tickets hat die DDR angeblich rund 15 Millionen Westmark erwirtschaftet. Hinzu sollen nochmal 3,5 Millionen Westmark für die S-Bahn-Tickets gekommen sein.

Kurz vor dem Ende der DDR kam es zu einem weiteren Unglück in Schönefeld. Im Jahr des Mauerfalls, am 17. Juni 1989, rollte eine Iljuschin Il-62M der Interflug mit 113 Menschen an Bord beim Start über das Startbahnende hinaus, zerschellte und fing Feuer. 21 Menschen starben. Grund für die Katastrophe war ein verklemmtes Höhenruder.


Vorfeldaufnahme am Flughafen Schönefeld. Bild: Archiv / Flughafen Berlin Brandenburg GmbH

Nach dem Mauerfall 1989 und der Wiedervereinigung fristete der Flughafen Schönefeld lange ein Schattendasein. Westliche Airlines zog es an den moderneren Flughafen Tegel. Ein weiterer Tiefschlag war das Ende der Interflug 1991.

Am 7. Februar hatte die Treuhandanstalt die Liquidierung der Fluglinie beschlossen. Am 30. April 1991 führte die Tu-134 mit dem Kennzeichen D-AOBC den letzten Linienflug der Interflug von Wien nach Berlin-Schönefeld durch. 8000 Mitarbeitende wurden arbeitslos. Rund 1000 von ihnen fanden einen neuen Job bei der Lufthansa.

Billigflieger kommen wieder

In den 1990er-Jahren nutzten noch einige Charterfluggesellschaften den Airport. Linienverkehr fand fast nur noch nach Russland statt. 1993 wurden am Terminal A drei Fluggastbrücken installiert und zwei Jahre später das Terminal A erweitert und umgebaut. Aufwärts ging es schließlich wieder dank der Deregulierung des europäischen Luftverkehrs.

Billigflieger starteten ihren Siegeszug und der Flughafen Schönefeld erlebte seinen zweiten Frühling. Ryanair startete am 1. Mai 2003 von London nach Schönefeld. Die Lufthansa-Tochter Germanwings verlagerte im Herbst ihre Flüge von Tegel nach Schönefeld.

Platzhirsch Easyjet

Die wohl wichtigste Fluggesellschaft landete am 28. April 2004 in SXF, so das Iata-Kürzel des Airports: Easyjet. Die Briten wurden zum neuen Platzhirsch am ehemaligen DDR-Flughafen. Schönefeld war lange Zeit die größte Auslandsbasis der Airline. Bis 2019 flog Easyjet mehr als 33 Millionen Passagiere nach Berlin.

Bis 2010 vervierfachte sich die Zahl der Fluggäste in Schönefeld auf 7,3 Millionen jährlich. Der Anteil der Low-Cost-Flüge lag bei mehr als 80 Prozent. Um dem Ansturm gerecht zu werden, wurden die Kapazitäten immer wieder erweitert. Unter anderem wurde 2007 das Terminal D gebaut.


Der Flughafen Schönefeld Mitt der 2010er-Jahre aus der Luft. Bild: Archiv / Flughafen Berlin Brandenburg GmbH

Den ewigen Passagierrekord stellte Schönefeld im Jahr 2017 auf. Über 12,8 Millionen Reisende nutzten den Flughafen. Beliebt war er bei Reisenden allerdings nie. Die Kritik: klein, eng, unübersichtlich und dreckig. Weil der Flughafen Teil des BER werden sollte, beschloss der Aufsichtsrat im Januar 2019 ein 65-Millionen Euro starkes Ertüchtigungprogramm. Umgebaut wurde das 2004 errichtete Pier 3A. Die Arbeiten wurden im November abgeschlossen. Doch dann kam Corona – und wieder alles anders. Schönefeld bleibt für immer geschlossen.

Pause wird das Aus

Am 2. September wird der Flughafen offiziell mit einem großen Fest verabschiedet. Eurowings macht sich zu einem Sonderflug auf. Die Terminals werden wahrscheinlich abgerissen, anders als der Bahnhof steht das Terminal nicht unter Denkmalschutz.

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