Es ist bekannt, dass einige Fluggesellschaften ihr Cockpitpersonal unter Druck setzen, um möglichst wenig Treibstoff zu tanken. Der Grund: Je mehr Kerosin ein Flugzeug mitführt, desto höher ist das Gewicht und folglich der Verbrauch. Da Treibstoff einer der größten Kostenfaktoren im Flugbetrieb ist, versuchen gewisse Airlines, hier zu sparen.
Bekannt waren solche Praktiken bisher vor allem bei Billigfliegern. Nun berichtet das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, dass es auch bei Lufthansa zu ähnlichen Vorfällen gekommen sein soll. Grundsätzlich steige der Druck bei der deutschen Fluggesellschaft, effizienter zu fliegen. Laut internen Dokumenten und Schilderungen von Mitarbeitenden habe es gemäß dem Bericht verschiedene Vorfälle gegeben, die dies nahelegen.
Im Fokus steht Flugplanung von Lufthansa
Ein Flugplaner soll am 6. April für den Flug LH444 von Frankfurt nach Atlanta empfohlen haben, extra Treibstoff mitzunehmen. Damit sollte im Notfall nicht nur der Ausweichflughafen Charlotte, sondern auch Boston erreicht werden können. Diese Entscheidung sei jedoch nicht bei allen auf Zustimmung gestoßen. Die Tankempfehlung gelte als wirtschaftsschädlich für das Unternehmen – zu viel Kerosin, zu viel Puffer, habe es an gewissen Stellen geheißen, so der Spiegel.
Im Fokus steht dabei die Abteilung Flugplanung. Die Ausbildung werde «schlanker, die Standards weicher», sagte jemand, der die Abteilung kennt, dem Magazin. Flugrouten sollen offensiver geplant werden – das heißt: schneller, mit weniger Kerosin und auf direkteren Routen. Es gehe darum, Zeit und Kosten zu sparen.
Mehrfach falsche Nordantlantikrouten geplant?
So sollen Flugplaner von Lufthansa wiederholt die übliche Praxis missachtet haben, für Nordatlantikflüge bestimmte feste Flugrouten zu nutzen. Mehrfach haben die Abteilung Flüge geplant, die nicht diesen Regeln entsprachen, berichtet der Spiegel. «Bitte denkt daran, diese Regel einzuhalten», soll es in einer Mahnung an die Flugplanenden geheißen haben. Die kanadische Luftfahrtbehörde Nav Canada habe die Lufthansa-Flugpläne im Frühjahr mit einer «eindringlichen Information» beantwortet, heißt es.
Ein weiteres Beispiel ist laut Spiegel der Lufthansa-Flug LH542 von Frankfurt nach Bogotá am 13. November. An diesem Tag startete eine Rakete vom US-Weltraumbahnhof Cape Canaveral. In einem Notam, einer offiziellen Warnmeldung, wurde eine Sperrzone ausgewiesen, in der Trümmerteile der Rakete wieder in die Erdatmosphäre eindringen könnten. Der Lufthansa-Flug war so geplant, dass er durch diese Zone hätte fliegen müssen. Letztlich leitete die Flugsicherung den Jet um, der dann wegen Treibstoffmangels außerplanmäßig in Punta Cana landen musste.
Lufthansa will sich nicht zu einzelnen Ereignissen äußern
Während andere Fluggesellschaften ihre Routen rechtzeitig anpassten, wurde der Hinweis bei Lufthansa offenbar ignoriert, intern sprach man von Scham über das Versäumnis. Zudem gibt es Meldungen, dass mehrfach der Lufthansa-Planungsabteilung vorgegebene Flugplan nicht mit der tatsächlichen Streckenführung der Flugsicherung übereinstimmte.
Lufthansa teilte dem Spiegel mit, man gehe auf einzelne Vorfälle nicht konkret ein. «Sicherheitsrelevante Themen, darunter auch einzelne Flugereignisse, werden stets umgehend und umfassend intern analysiert.» Sofern erforderlich, ziehe man unmittelbar Konsequenzen, «um die Sicherheit aller Flugbetriebe des Konzerns jederzeit uneingeschränkt zu gewährleisten».
«Sicherheit hat zu jedem Zeitpunkt oberste Priorität»
Der Konzern betont, dass ökonomische Ziele stets der Sicherheit untergeordnet seien. Lufthansa stellt klar: «Sicherheit hat zu jedem Zeitpunkt oberste Priorität» Auch verschiedene Piloten der Airline heben hervor, dass Entscheidungen, etwa über die mitgenommene Kerosinmenge, allein im Ermessen des Cockpitpersonals liegen und nicht kritisiert werden.
Pilotinnen und Piloten erklären aber gemäß dem Spiegel, dass sie in der Sicherheitskultur des Unternehmens einen Wandel wahrnehmen. Viele Crews hätten Angst, Fehler offen anzusprechen, weil sie fürchten, dass kritische Hinweise später gegen sie verwendet werden könnten. Zuletzt hatte es Kritik eines langjährigen Lufthansa-Cargo-Mitarbeiters gegeben. Eine Anfrage unserer Redaktion ließ die Airline bis zum Erscheinen des Textes unbeantwortet.
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