Letzte Aktualisierung: um 20:58 Uhr

Passion Fliegen

Wie viele Linienflüge schafft man an einem Tag?

Eine Portion Verrücktheit braucht es, um herausfinden zu wollen, wie viele Linienflüge man als Passagier an einem Tag absolvieren kann. Wir wollten es dennoch wissen. Ein Erfahrungsbericht.

Die Wahl, in welchem Land ein solcher Rekordflug möglich ist, fiel schnell auf Norwegen. Hier gibt es viele kleine Flugplätze, die regelmäßig von Linienfluggesellschaften angeflogen werden. Norwegen ist flächenmäßig größer als Deutschland, es leben jedoch nur 5 Millionen Menschen in diesem Land. Im Gegensatz zum eher dicht bevölkerten Süden ist der Norden relativ dünn besiedelt. Die Menschen verteilen sich bis in die entlegensten Dörfer in den Küstenregionen. Diese erreicht man auf dem Landweg oft nur unter schwierigen Bedingungen und deshalb sind die Flugzeuge der Fluggesellschaft Wideroe ein wichtiges Transportmittel, um die Versorgung sicherzustellen.

Die 1934 gegründete Fluggesellschaft Wideroe ist mit täglich 450 Starts und Landungen die grösste Regionalfluggesellschaft in Skandinavien. Ihre Flotte besteht aus 42 Turboprop-Flugzeugen vom Typ Bombardier Dash 8. Die kleinste Maschine ist die Dash 8-100 und bietet Platz für 39 Passagiere. Sie zeichnet sich durch sehr gute Kurzstarteigenschaften aus und eignet sich somit bestens für die kurzen Pisten auf den kleinen Flugplätzen. Randregionen sind für Fluggesellschaften oft nicht profitabel zu betreiben; auch hier in Norwegen nicht. Deshalb bedient Wideroe zirka 40 Prozent ihres Streckennetzes im Staatsauftrag (PSO/Public Service Obligation). Wideroe fliegt 47 Destinationen in Norwegen und dem benachbarten Ausland an.

Piloten dürfen maximal neun Flüge pro Tag absolvieren

Der Flugplan von Wideroe wirkt auf den ersten Blick etwas unübersichtlich. Viele Destinationen werden direkt oder mit zahlreichen Zwischenlandungen angeflogen. Wideroe betreibt das regionale Streckennetz aus kleinen Mini-Hubs heraus. Die Randregionen im Norden werden von der Basis in Tromsö bedient. Im nordöstlichsten Teil dieser Region befinden sich zahlreiche Dörfer, die nur wenige Flugminuten voneinander entfernt liegen. Die kleinen Flugplätze sind für die oftmals schlechten Wetterverhältnisse gut ausgerüstet. Die Pünktlichkeit ist wichtig, um die teilweise kurzen Umsteigezeiten zu gewährleisten. Das Bodenpersonal hat meistens nur ein paar Minuten Zeit, um eine Maschine abzufertigen.

Die Piloten von Wideroe dürfen maximal 9 Flüge pro Tag absolvieren. Wenn man bedenkt, dass in diesen Regionen oft schwierige meteorologische Bedingungen herrschen und dass die Pistenlänge teilweise nicht einmal 900 Meter beträgt, dann kann man nur erahnen, welche Leistungen die Piloten tagtäglich erbringen müssen. Ich durfte auf zwei Flügen im Cockpit mitfliegen. Es war eindrücklich, wie die Piloten die Maschine durch die engen Fjorde manövrierten und im Anschluss mit größter Konzentration den Anflug auf die kurzen Pisten einleiteten.Vier Hauptkriterien mussten am 24. April 2014 erfüllt sein, um den Rekordflug erfolgreich absolvieren zu können:

  • Wetter: Ich war auf gutes Flugwetter angewiesen. Keiner der Flugplätze durfte wegen ungenügender Sichtminima geschlossen sein.
  • Anschlussflüge: Die Umsteigezeiten zwischen den Flügen waren teilweise sehr kurz. Ich musste sicherstellen, dass ich das Check-In online erledigen konnte. Mein iPad erwies sich als unverzichtbarer Reisebegleiter. Ich war auch auf ein funktionierendes Wi-Fi an den kleinen Flugplätzen angewiesen.
  • Flugzeug: Es kommt immer wieder vor, dass Flugzeuge technische Probleme haben. Dies hätte zwangsläufig zu einer Verspätung geführt. Mein Flugplan war jedoch derart eng kalkuliert, dass jede Verspätung den Rekordflug hätte gefährden können.
  • Platzverfügbarkeit: Als Standby-Passagier ohne feste Buchung war ich darauf angewiesen, dass es auf allen Flügen mindestens noch einen freien Sitz gab.

Motivationskiller um 5 Uhr morgens

An diesem Tag war der Himmel bewölkt und bereits in Tromsö wurde mir gesagt, dass auf zwei der ersten sieben Flüge die Maschine ausgebucht sei. Das war nicht gerade ein Motivationsschub um 5 Uhr morgens. Am Gate hatte ich das Glück, dass ich die beiden Piloten Eigil und Torben getroffen hatte. Ich schilderte ihnen mein Vorhaben und sie zögerten keinen Moment, mich auf den beiden ausverkauften Strecken auf dem Jump-Seat im Cockpit mitfliegen zu lassen. Nach der Ankunft in Kirkenes waren die ersten sieben Flüge absolviert.

Die folgenden Flüge waren nicht ausverkauft, das Problem waren jedoch die knappen Anschlüsse. Auch hier durfte ich auf die Hilfe der Besatzung zählen. Der Steward Jonny war auf sechs Flügen für das Wohl der Passagiere zuständig. Diese sechs Flüge verteilten sich auf drei Flugnummern, das Flugzeug war jedoch dasselbe. Ich hätte theoretisch in Vadso und Alta aussteigen müssen. Da ich jedoch das Check-In bereits online gemacht hatte, liess mich Jonny, nach Rücksprache mit dem Bodenpersonal, an Bord bleiben.

Die Crews und das Wetter halfen mit

Im weiteren Verlauf wechselte die Besatzung nochmals und nach 19 Flügen landete ich wieder am Ausgangspunkt in Tromsö. Es war bereits Abend und die Müdigkeit machte sich langsam bemerkbar. Aber die Reise war noch nicht zu Ende. Noch fünf Flüge musste ich absolvieren, wobei der letzte Flug gemäß dem Flugplan nach Mitternacht in Kirkenes hätte landen sollen. Dieser 24. Flug wäre somit außerhalb des Rekordfluges gewesen, weil er nicht am gleichen Kalendertag stattgefunden hätte.

Dank günstigen Winden konnten die Piloten auf jedem der fünf letzten Flüge etwas Zeit gewinnen. Vor dem letzten Abflug in Vadso hatte mir die Besatzung mitgeteilt, dass sie alles daran setzen werde, um vor Mitternacht in Kirkenes zu landen und ich somit noch einen Flug mehr zu meinem Rekordflug zählen darf. Um 23.40 Uhr setzte die Dash 8 auf der Piste in Kirkenes auf. Mein Rekordflug war geschafft! Ein fast unmögliches Vorhaben ist geglückt und dies sogar mit einer Landung mehr als geplant.

Eine kurze Nacht

Nach den 24 Flügen war ich müde. Da mein Rückflug am nächsten Tag von Kirkenes nach Tromsö um kurz nach 5 Uhr morgens startete, wollte ich mir für die verbleibenden paar Stunden kein Hotel mehr suchen. Ich machte es mir am Flugplatz auf einem Stuhl neben dem Getränkeautomaten gemütlich. Die Nacht im hohen Norden dauert in dieser Jahreszeit nicht lange; um 4 Uhr morgens lachten mir bei Tageslicht die Schneeflocken ins Gesicht!

Markus Dürst ist freier Kolumnist von aeroTELEGRAPH. Er ist gelernter Betriebsökonom und arbeitet bei Swiss International Air Lines. In seiner Freizeit schreibt er gerne Reiseberichte über besondere Flugerfahrungen. Er besitzt eine Privatpilotenlizenz. Die Meinung der freien Kolumnisten muss nicht mit der der Redaktion übereinstimmen.