Ein Gericht in den USA zwingt den amerikanischen Flugzeugbauer, zehn Jahre interner Dokumente zur Sicherheit der 737 Max offenzulegen. Hintergrund ist ein Milliardenstreit mit Norwegian – und der Vorwurf, Boeing habe Risiken verschwiegen.
So wirklich Ruhe kehrt bei Boeing und den Problemen mit der 737 Max nicht ein. Jetzt gerät ein Rechtsstreit in die Schlagzeilen, der auf die Zeit nach den zwei tragischen Abstürzen von Ethiopian Airlines und Lion Air 2018 und 2019 zurückdatiert. Ein Bundesrichter im Bundesstaat Washington hat Boeing verpflichtet, interne Unterlagen aus einem Zeitraum von zehn Jahren zur Sicherheit und Zulassung der 737 Max offenzulegen.
Die Entscheidung ist Teil eines laufenden Rechtsstreits zwischen dem amerikanischen Flugzeugbauer und mehreren Tochtergesellschaften von Norwegian Air Shuttle, darunter Arctic Aviation Assets. Diese werfen Boeing vor, die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Flugzeugs bewusst falsch dargestellt zu haben, um einen milliardenschweren Auftrag zu sichern.
Konkret geht es um eine Bestellung von 92 Boeing 737 Max, welche die Kläger annullieren wollen. Die ursprüngliche Bestellung stammt noch aus dem Jahr 2012 und umfasste 100 Exemplare. Die Kläger argumentieren, Boeing habe wesentliche Informationen über bekannte Risiken, insbesondere im Zusammenhang mit dem Maneuvering Characteristics Augmentation System MCAS, verschwiegen.
Dieses System war ein Schlüsselfaktor bei den Abstürzen von Lion-Air-Flug JT610 im Oktober 2018 und Ethiopian-Airlines-Flug ET302 im März 2019, bei denen insgesamt 346 Menschen ums Leben kamen. Nach den Unglücken blieb die gesamte 737-Max-Flotte weltweit fast 20 Monate am Boden.
Der Richter ordnete an, dass Boeing nicht nur Dokumente aus der Entwicklungsphase zwischen 2011 und 2017 vorlegen muss, sondern auch solche, die bis nach einer Vereinbarung mit dem Justizministerium der USA im Januar 2021 entstanden sind. In diesem sogenannten Deferred Prosecution Agreement hatte Boeing eingeräumt, zentrale technische Informationen zurückgehalten zu haben, und sich zu einer Zahlung von mehr als 2,5 Milliarden Dollar verpflichtet. Der Konzern versuchte, die Offenlegung auf einen kürzeren Zeitraum zu begrenzen und nannte den Aufwand als Begründung.
Die Unterlagen sollen neben Kommunikationsverläufen auch Sicherheitsberichte, technische Analysen sowie interne Bewertungen zu Herstellung, Vermarktung, Tests und Zulassung der Boeing 737 Max umfassen. Für die Kläger sind sie von zentraler Bedeutung, um zu belegen, dass Boeing schon lange vor den Unfällen von den Risiken wusste.
Boeing hingegen wirft den Norwegian-Töchtern vor, lediglich einen Vorwand zu suchen, um sich aus vertraglichen Verpflichtungen zu lösen – nicht zuletzt, weil die Billigairline während der Pandemie eine tiefgreifende Restrukturierung durchlief und Langstreckenpläne aufgab.
Der Rechtsstreit läuft vor dem Hintergrund neuer Sicherheits- und Qualitätsdebatten um den Hersteller. Erst im Januar 2024 hatte sich bei einem Flug einer Boeing 737 Max 9 von Alaska Airlines ein Rumpfpanel im Flug gelöst, was zu erneuten Untersuchungen der US-Luftfahrtbehörde FAA und des Justizministeriums führte.