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Alexis von Hoensbroech, Austrian Airlines

«Zunehmend werden wohl nur Geimpfte und Genesene fliegen dürfen»

Austrian-Airlines-Chef Alexis von Hoensbroech über seine Erwartungen an die nächsten Monate, neue Flugzeuge, die Rückzahlung der Staatshilfe - und die in seinen Augen manchmal ungerechte Konkurrenz mit der Bahn.

Welche Corona-Maßnahme würden Sie morgen umsetzen, wenn Sie könnten?
Alexis von Hoensbroech: Ich würde vor allem Einreisebestimmungen vereinheitlichen und wo sinnvoll abschaffen. Es mag politisch kraftvoll wirken, wenn man in einer Pandemie die Grenzen hochzieht. Wenn aber auf beiden Seiten der Grenzen vergleichbare Inzidenzen vorliegen, macht eine Einreisebeschränkung epidemiologisch keinen Sinn. Ich bin deshalb heilfroh, dass die USA ab November wieder geimpfte EU- Bürger einreisen lassen, das ist längst überfällig. Das wichtigste ist, dass wir die Pandemie bald hinter uns haben. Es ist frustrierend, dass die Pandemie jetzt eine vom Menschen gemachte ist, die wir schon hinter uns haben könnten, wenn sich alle geimpft hätten. Über kurz oder lang wird es deshalb für Geimpfte und Ungeimpfte unterschiedliche Lebensrealitäten geben.

Auch beim Fliegen?
Wir setzen im Flugzeug das um, was die jeweiligen Zielländer vorgeben. Weil immer mehr Länder eine Impfung oder einen Genesenstatus als Bedingung für die Einreise verlangen, wird das praktisch dazu führen, dass zunehmend nur Geimpfte oder Genesene fliegen dürfen.

Vor einem Jahr ist der digitale Travelpass als der Ausweg aus der Krise gefeiert worden. Muss man heute nicht sagen, er ist ein Flop?
Der grüne Pass spielt da in der Tat eine Rolle. Das Problem ist allerdings, dass der Pass noch nicht richtig in die Systeme integriert ist und deswegen noch nicht alles vollautomatisch funktioniert. Wir sind in der Anlaufphase, es läuft technologisch langsamer als erhofft, aber er wird seinen Weg nehmen.

Er ist also kein Flop, er kommt nur zu spät?
Genau.

Vor allem die Langstrecken liegen am Boden. Die USA öffnen im November, nach Asien und speziell China geht fast gar nichts. Lufthansa Chef Carsten Spohr sagt, er traut sich für die Langstrecke keine Prognose mehr abzugeben. Wagen Sie einen Ausblick?
USA und Asien sind ja zwei verschiedene Paar Schuhe. In Asien haben die Länder eine Null-Covid-Strategie verfolgt. Das hat sie besser durch die Pandemie gebracht, führt jetzt aber dazu, dass sie niedrigere Impfquoten haben. Deswegen sind sie, nachvollziehbar, extrem streng bei den Einreisen. Das wird noch weit in das nächste Jahr hineingehen. In den USA ist die Situation gänzlich anders, Impfquote und Infektionslage sind vergleichbar, und deswegen ist es richtig, dass sie jetzt geimpfte Menschen einreisen lassen werden.

Wir werden auch bei einer vierten Welle nicht umfallen.

Weil es weder eine Durchimpfung noch einheitliche Regeln gibt, erholt sich die Branche viel schleppender als erhofft. Der Flughafen Wien hatte im Sommer nicht einmal 50 Prozent der Passagiere von 2019. Wieviel waren es bei Austrian?
Ähnlich. Wir haben im Sommer etwa 50 Prozent unseres Vorkrisengeschäfts gehabt und waren damit schon glücklich, weil es das fünffache vom Frühling war. Aber eben nur die Hälfte der Zeit vor der Krise. Gerade die Flüge in Richtung Mittelmeer waren extrem gut gebucht, das zeigt, die Menschen reisen, wenn sie können. Deswegen bin ich zuversichtlich, was die mittelfristige Erholung der Branche betrifft.

Austrian liegt deutlich hinter dem Businessplan zurück, den sie zu Beginn der Pandemie erstellt haben. Warum reichen die 600 Millionen Euro an Zuschuss und Krediten dennoch aus?
Dafür gibt es drei Gründe. Wir haben erstens im Lauf der Pandemie immer neue Wege gefunden, weiteres Geld zu sparen. Zweitens sind seitens der Regierung die Kurzarbeit und die Möglichkeit, Steuern und Sozialversicherung zu stunden, verlängert worden. Das hat uns ebenfalls stabilisiert. Drittens, beginnen die Menschen wieder zu buchen, teilweise auch längerfristig, weshalb wir über die Ticketverkäufe mehr Erlöse erzielen als wir gleichzeitig ausgeben. Deswegen haben wir im Augenblick tatsächlich eine so stabile Liquiditätslage, dass wir auch bei einer erkennbar aufkommenden vierten Welle nicht umfallen werden.

Die vierte Welle ist ein Problem, ein anderes, dass die Hochsaison vorbei ist. 
Der Winter wird sicher ein kalter werden, aber nicht so kalt wie der letzte. Denn mittlerweile sind weltweit Milliarden Menschen geimpft, und wir sehen eine erkennbare Belebung im Geschäftsreiseverkehr. Das sind für uns ermutigende Signale. Wie sich die Nachfrage im Winter genau entwickelt, wissen wir nicht. Aber eines haben wir in den letzten eineinhalb Jahren gelernt: unseren Betrieb flexibel hoch- und wieder hinunterzufahren. Falls wir ihn wieder hinunterfahren müssen, werden wir das tun, und so tun, dass wir wirtschaftlich trotzdem überleben werden.

Wir nehmen unsere Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler ernst.

Auf wieviel Strecken verdienen sie tatsächlich Geld?
Wir bieten fast alle Ziele an, die wir vor der Krise hatten, wir fliegen sie aber im Durchschnitt nur halb so oft an wie vor der Krise. Wir sind auf den meisten Strecken, die wir fliegen, cash-positiv, wir nehmen also mehr ein, als wir für Treibstoff, Gebühren und so weiter ausgeben. Wir schauen genau hin, damit wir fast überall einen Deckungsbeitrag erwirtschaften. Aber natürlich reicht das nicht aus, um die gesamten Fixkosten des Unternehmens zu decken. Das Jahr wird daher ein hoch negatives Jahr werden, aber nicht so negativ wie das Vorjahr.

Wie geht es beim Stellenabbau voran? Werden die freiwilligen Abgänge reichen oder wird es Kündigungen geben müssen?
Austrian wird nach der Krise kleiner sein als davor, da erstmal auch weniger Menschen fliegen werden. Daher passen wir uns an und bauen unter anderem 1350 Vollzeitstellen ab, um danach in einer hoffentlich gesunden Art und Weise aus der Krise herauszufliegen und so auch die Staatshilfen zurückzahlen zu können. Das haben wir auch oft kommuniziert, denn wir nehmen unsere Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler ernst. Den Abbau von etwa 900 Vollzeitstellen haben wir bereits durch freiwillige Abgänge erreicht, weitere werden folgen. Sollte am Ende noch ein Überhang da sein, werden wir uns darum kümmern müssen.

Gibt es da einen Stichtag?
Aktuell rechnen wir damit, bis zum Ende des ersten Quartals 2022 in Kurzarbeit zu sein. Und das ist dann auch der Stichtag.

Und das ist wirklich sicher?
Das ist unsere aktuelle Annahme. Wir haben aber in der Pandemie schon viele Überraschungen erlebt. Daher ist das nicht in Stein gemeißelt, sondern wir werden dann die Lage beurteilen. Sollten wir mitten in einer fünften Welle sein, und wieder neue Reiserestriktionen kommen, könnten wir sie auch verlängern müssen.

Wie schreitet der Umbau des Unternehmens voran?
Wir wollen unsere Schulden zurückzahlen. 30 Millionen der 300 Millionen Euro an Krediten, für die die Steuerzahler bürgen, haben wir schon vorzeitig zurückgezahlt, und wir werden alle sechs Monate 30 Millionen Euro zurückzahlen. Das wird uns gelingen, denn wir haben viele Maßnahmen umgesetzt. Dazu zählen Krisenbeiträge unserer Mitarbeiter und Lieferanten, eine Verschlankung der Flotte, die Schließung unserer Präsenzen in den Bundesländern, eine Neugestaltung unseres Flugplans, die Abmietung eines Teils unserer Infrastruktur, die Neugestaltung unseres Catering- Angebotes sowie die Digitalisierung und Automatisierung vieler interner Prozesse Wir müssen jetzt alles tun, damit unsere Austrian wettbewerbsfähig aus der Krise fliegen kann. Nur so können wir auch zu einem späteren Zeitpunkt wieder wachsen und investieren.

Mit hohen dreistelligen Millionenverlusten ist es schwierig, hohe Flugzeuginvestitionen zu stemmen.

Ein weiteres heißes Thema, was alle Mini Zukunft beschäftigen wird, ist Luftfahrt und CO2. Sie haben angekündigt, den CO2-Ausstoß bei Austrian bis 2030 um 50 Prozent zu senken. Wie soll das gehen?
Es gibt drei Maßnahmen, wie man den CO2-Ausstoß reduzieren kann. Das Erste ist die Modernisierung der Flotte, der Einsatz größerer Flugzeuge oder Effizienzsteigerungen am Boden und in der Luft. Das tun wir. Das zweite ist, dass wir immer die Möglichkeit haben, CO2 zu kompensieren, das bieten wir offensiv an und einige Passagiere tun das ja auch …

… das ist derzeit aber fast vernachlässigbar. Nur ein winziger Teil der Passagiere nimmt das Angebot der Kompensation auch wahr.
… das ist noch sehr gering. Der dritte und wichtigste Punkt ist daher, den Flugverkehr auf nachhaltige, klimafreundliche Treibstoffe umzustellen. Aber es wird eine große Kraftanstrengung notwendig sein, um diese nachhaltigen, CO2-neutralen Treibstoffe in ausreichender Menge und zu vertretbaren Preisen herzustellen.

Wird Austrian nicht über kurz oder lang neue emissionsärmere Flugzeuge brauchen, um die Klimaziele erreichen zu können?
Ich gehe davon aus, dass wir bis 2030 auch auf der Technologieseite in eine Erneuerung eingestiegen sein werden. Aber jetzt müssen wir erst die Krise bewältigen und Geld verdienen, denn mit hohen dreistelligen Millionenverlusten ist es schwierig, hohe Flugzeuginvestitionen zu stemmen.

Von den Biotreibstoffen gibt es viel zu wenig und synthetische Treibstoffe gibt es bisher nur im Labor. Wie können genügend solche Treibstoffe produziert werden?
Das geht nur schrittweise. Die EU hat für nachhaltige Treibstoffe Beimischungsquoten angekündigt, das ist grundsätzlich richtig, weil es damit eine Planungssicherheit gibt. Es gibt genügend Unternehmen in Europa, die vom Know-how und von der Finanzkraft her in der Lage wären, so etwas zu produzieren. Die Frage ist aber: Zu welchem Preis kann das produziert werden? Denn es darf nicht passieren, dass dieser Treibstoff sehr teuer ist, von europäischen Fluggesellschaften getankt werden muss, und diese dann mit dem teuren umweltfreundlichen Treibstoff mit Fluggesellschaften in Konkurrenz stehen, die sich nicht ums Klima kümmern. Die Frage der Sicherstellung von fairen Wettbewersbedingungen ist in diesem Zusammenhang noch unbeantwortet, aber ohne ein geeignetes Finanzierungskonzept wird es nicht gehen.

Sind Sie dafür, dass dieser CO2 neutraler Treibstoff subventioniert wird?
Ich bin dafür, dass Einnahmen, die aus anderen Umwelttiteln generiert werden, wie Emissionshandel, der geplanten CO2-Steuer oder der Ticketabgabe, zweckgewidmet werden, um die Produktion und Vermarktung der neuen Treibstoffe möglichst wettbewerbsneutral darstellen zu können. Die Staaten müssen dafür sorgen, dass diese Treibstoffe nicht wesentlich teurer sind als die fossilen. Damit wäre Wettbewerbsneutralität hergestellt und dem Klima nutzt es jedenfalls.

Also Subvention ja.
Ja, denn man muss ja alles tun, um möglichst viel CO2 einzusparen, und deswegen werden ja auch Wind- und Solarstrom subventioniert.

Der Luftverkehr zahlt seine Infrastruktur selber, die Bahn bekommt sie vom Steuerzahler geschenkt.

Jetzt wollen die EU-Kommission und auch die österreichische Verkehrsministerin Leonore Gewessler Kerosin besteuern. Was halten sie davon?
Dafür gilt genau das gleiche. Man kann alles machen, wenn man es wettbewerbsneutral hinbekommt. Mir fehlt heute allerdings die Phantasie, wie man eine wettbewerbsneutrale Kerosinsteuer hinbekommen will, die alle europäischen Fluglinien auf innereuropäischen Zubringerflügen bezahlen müssen aber alle anderen von Europa zu außereuropäischen Drehkreuzen nicht. Und weil die Steuerbefreiung ja in zwischenstaatlichen Abkommen geregelt ist, könnte es auch rechtlich schwierig werden.

Sehen Sie in der EU und in der österreichischen Politik den Willen, diese Wettbewerbsneutralität zu realisieren?
Wir teilen das wichtige Ziel, den CO2-Ausstoß insgesamt zu reduzieren und dass der Luftverkehr dazu natürlich seinen Anteil beitragen muss. Es braucht aber eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, denn der Luftverkehr ist äußerst wesentlich für den Wirtschaftsstandort und die Gesellschaft. Ich nenne nur die Völkerverständigung und den Tourismus. Deswegen ist es kein Weg, den Luftverkehr abzuwürgen. Der richtige Weg ist es, den Luftverkehr klimafreundlich zu machen. Der Weg ist möglich, aber er kostet Geld und eine Kraftanstrengung. Aber er ist es wert, ihn zu gehen.

Nicht nur die Verkehrsministerin, auch die ÖBB fordern die Steuer, weil sie für Strom ja auch Steuer zahlen. Gleichzeitig bekommen die ÖBB sechs bis sieben Millarden Euro pro Jahr vom Staat an Subventionen. Verstehen Sie die Argumentation?
Ich bin ein großer Bahn-Fan! Dennoch stimmt es, dass hier teilweise mit zweierlei Maß gemessen wird. Der Luftverkehr zahlt seine Infrastruktur selber, die Bahn bekommt sie vom Steuerzahler geschenkt. Und auch bei der Umweltbilanz gibt es berechtigte Fragen, etwa den enormen CO2-Ausstoß bei der Herstellung von Schienen und Tunnels, die Landschaftszerschneidung durch die Trassen oder die Herkunft des Stroms. Aber für uns ist die Bahn ein ganz wichtiger Partner. Wir brauchen die Zubringung zu den Flughäfen mit dem Zug, je besser diese funktioniert, umso besser. Wir arbeiten da sehr gut und immer mehr mit den ÖBB zusammen. In der öffentlichen Diskussion wird da aber einiges verkürzt.

Was denn noch?
Tatsache ist, dass wir praktisch keine Konkurrenten sind, denn der Großteil unserer Transportleistungen findet auf Distanzen statt, wo der Zug keine Rolle spielt. Erst recht, wenn man die CO2 Bilanz ansieht. Auf Kurzstreckenflüge bis zu 500 km entfallen gerade einmal 4 Prozent des CO2-Ausstoßes. Man wird nie mit dem Zug in die USA fahren. Aber genau da wird die Masse des CO2 ausgestoßen. Es hat keinen Sinn, den Luftverkehr als Klimaproblem zu verteufeln und die Lösung ist nicht, nicht zu fliegen, sondern mit Intelligenz das Fliegen klimafreundlich machen. Das passt nicht jedem in sein politisches Narrativ, ich weiß, aber das muss am Ende die Lösung sein.

Wer muss jetzt was dafür tun, damit das auch funktioniert?
Ich richte jetzt ungern unseren Partnern medial etwas aus. Es ist am Ende eine gemeinsame Kraftanstrengung von Fluggesellschaften, Herstellern und dem Regulator, also der Politik.

Sind Sie zuversichtlich, dass es eine sinnvolle Lösung gibt?
Unsere Generation wird die gewaltige Aufgabe, den Klimawandel zu stoppen, meistern müssen. Deshalb ist es keine Frage ob es gelingt, sondern wie es gelingt. Nur wenn wir gemeinsame Lösungen finden, helfen wir dem Klima. Wenn das nicht passiert, gehen wir in eine nicht sehr freundliche Zukunft des Planeten. Und das wollen wir alle nicht.

Alexis von Hoensbroech (50) studierte Physik und promovierte anschließend in einem Thema aus der Astrophysik am Max-Planck-Institut für Radioastronomie und der Universität Bonn. Seine Karriere startete der Rheinländer 1999 bei der Unternehmensberatung The Boston Consulting Group in München und Tokio. Im Jahr 2005 wechselte er zu Lufthansa, wo er die Verantwortung für den Bereich Strategie und Beteiligungen übernahm. 2009 wurde er zum Projektleiter Integrationsmanagement Airlines ernannt und verantwortete in dieser Funktion unter anderem auch die Integration von Austrian Airlines. Zwischen 2010 und 2014 war von Hoensbroech als Leiter Commercial Frankfurt für die Netzplanung und Buchungssteuerung des Lufthansa Drehkreuzes in Frankfurt zuständig. In dieser Funktion arbeitete er eng mit dem damaligen Passage-Vorstand Kay Kratky zusammen. Ab Dezember 2014 war er Chief Commercial Officer und Vorstandsmitglied von Lufthansa Cargo. Am 1. August 2018 wurde er neuer Chef von Austrian Airlines.