Letzte Aktualisierung: um 20:58 Uhr

Missachtete Vorschriften

Air France stellt Piloten nach Handgemenge im Cockpit frei

Auf einem Flug der französischen Airline kam es im Cockpit zu einem handgreiflichen Streit. Gleichzeitig kritisiert die Unfalluntersuchungsbehörde eine «gewisse Kultur» bei Air France, welche die Missachtung von Vorschriften begünstige.

Es gibt zwei Aussagen zum Vorfall. Der eine Pilot spricht von einem «versehentlichen Schlag», der andere von einer «Ohrfeige». Doch die handfeste Auseinandersetzung an sich ist bestätigt. Passiert ist sie kürzlich im Cockpit eines Airbus A320 von Air France auf dem Flug von Genf nach Paris. Auslöser war die Weigerung des Kopiloten, eine Anweisung des Kapitäns zu befolgen.

In der Folge ist ein kurzes Handgemenge ausgebrochen. Dabei soll der eine der beiden Männer dem anderen auch ein Klemmbrett ins Gesicht geschleudert haben. Durch den Lärm alarmiert, trat ein Mitglied des Kabinenpersonals ins Cockpit, um die Wogen zu glätten – und blieb dort den Flug über, um ein neues Aufflammen der Auseinandersetzung zu verhindern.

Falsche Reaktion auf Treibstoffleck

Air France bestätigte gegenüber der Zeitung La Tribune den Streit, der auch mit «unangemessenen Gesten» ausgetragen worden sei. Er sei jedoch schnell beendet worden und habe die Sicherheit des Fluges nicht beeinträchtigt, so die Fluggesellschaft. Die Piloten seien vom Dienst suspendiert worden, bis das Management eine Entscheidung treffe.

Die Meldung kommt für Air France allerdings zur Unzeit. Denn im kürzlich veröffentlichten Schlussbericht der französischen Unfalluntersuchungsbehörde zu einem Vorfall auf einem Flug von Brazzaville nach Paris im Jahr 2020 übt sie scharfe Kritik an der Sicherheitskultur der Airline. Auf Reiseflughöhe hat die dreiköpfige Cockpitbesatzung des Airbus A330 ein Treibstoffleck erkannt. Sie beschloss zwar eine Sicherheitslandung in N’Djamena, aber nicht, das betroffene Triebwerk auszuschalten.

Kein Einzelfall bei Air France

Dadurch sei eine erhebliche Feuergefahr entstanden, so das Bureau d’enquête et d’analyse BEA: «Der Treibstoff wurde auf die heißen Oberflächen des Triebwerks gespritzt», schreibt es. Ein Brand sei nur «durch Glück» verhindert worden. Die drei Männer hätten mit ihrem Vorgehen die Vorschriften bewusst missachtet, welche die Abschaltung des Triebwerks vorsähen. Sie hätten das Risiko einer Abschaltung als höher eingestuft und das Kabinenpersonal nicht beunruhigen wollen, so die Behörde.

Es ist aber nicht das, was die französische Behörde beunruhigt, sondern eine allgemeine Feststellung. Angesichts der Tausenden von Flügen, die Air France täglich durchführe, sei die Zahl der Flüge, die Anlass zu Untersuchungen gäben, zwar «äußerst begrenzt und betrifft nur eine sehr kleine Anzahl von Besatzungen», notiert sie. Dennoch habe man wiederholt festgestellt, dass Besatzungen «aus verschiedenen Gründen, absichtlich oder unabsichtlich, bestimmte Verfahren nicht vorschriftsmäßig» durchführten.

«Zu einer Verringerung der Sicherheitsmargen geführt»

Das Bureau d’enquête et d’analyse nennt im Bericht drei weitere Vorfälle bei Air France aus den Jahren 2017, 2020 und 2022. Auch da habe das Cockpitpersonal ähnlich Vorschriften missachtet. Die Überprüfung der Fälle deute «auf eine gewisse Kultur hin, die sich bei einigen Air-France-Besatzungen etabliert hat und die eine Neigung begünstigt, den Beitrag einer strikten Anwendung der Verfahren für die Sicherheit zu unterschätzen», folgert es.

Diese Fälle könnten verschiedene Ursachen haben: den Wunsch nach betrieblicher Optimierung, die Akzeptanz des Abweichens oder die bewusste Verletzung eines Verfahrens, schreibt die Behörde. «Gemeinsam ist ihnen, dass sie zu einer Verringerung der Sicherheitsmargen geführt haben, ohne dass sich die Besatzung dessen wirklich bewusst war.» Air France müsse die Einhaltung der Verfahren wieder in den Mittelpunkt der Sicherheitskultur stellen, lautet die Empfehlung des BEA.

Air France reagiert auf Kritik

Man werde alle Empfehlungen des Berichts berücksichtigen, so eine Sprecherin von Air France zu aeroTELEGRAPH. «Wie viele andere Elemente werden auch diese zur kontinuierlichen Verbesserung im Bereich der Flugsicherheit beitragen.» Ohne die offizielle Veröffentlichung des Berichts abzuwarten habe man einige der Empfehlungen bereits umgesetzt. So würden den Pilotinnen und Piloten Instrumente zur Verfügung gestellt, die es ihnen ermöglichten, ihre Flüge virtuell zu reproduzieren und analysieren.

Die Abteilung Flugbetrieb habe des Weitern  vor einigen Wochen ein Projekt gestartet, an dem Pilot:innen, Fluglehrer:innen und das Management beteiligt seien. In einigen Monaten werde unternehmensweit ein  Audit (Losa) durchgeführt. «Dies wird es uns ermöglichen, bestimmte Analysen in diesem Bericht zu vervollständigen, falls erforderlich.»

Den Bericht des BEA (englische Version) zum Vorfall mit dem Airbus A330 und mit der Kritik können Sie hier herunterladen.