Letzte Aktualisierung: um 10:23 Uhr

Neue Studie

Warum das Flugzeug nicht zwingend umweltschädlicher ist

Viele denken, das Flugzeug sei für die Umwelt das unverträglichste Verkehrsmittel. Stimm das wirklich?

Flugscham – vor ein paar Jahren etablierte sich das Wort in unserem Wortschatz. Denn eigentlich ist klar: Wer fliegt, schadet der Umwelt. Denn das Kerosin, das Airlines verbrauchen, sorgt für CO2-Ausstoß. Oft wird der Zug als ideale Alternative zum Flug vorgebracht.

Doch das sehen nicht alle Forschenden ganz so. Wenn es um die Bewertung der Umweltverträglichkeit eines Verkehrssystems geht, dürfe man nicht nur auf die Antriebsenergie schauen. «Das ist kein fairer Vergleich», sagt Klaus Radermacher, der gemeinsam mit der Universität St. Gallen eine neue Studie erarbeitet hat. Sie stellt einen umfassenden Vergleich der Verkehrsträger Schiene, Auto und Flugzeug an.

Auch Gleise verursachen CO2

Die Forschenden beziehen dabei neben den unterschiedlichen Antrieben auch die Infrastruktur mit ein. Also das Schienen- und Straßennetz, Bahnhöfe und Flughäfen, die Elektrifizierung, das Tankstellennetz, die Stellwerke und Weichen, die Verkehrszeichen bis hin zur Flugsicherung. Denn Bau und Erhaltung dieser Einrichtungen verursachen ebenfalls enorme CO2-Emissionen. Sie übersteigen teilweise die aus dem Antrieb resultierenden.

Radermacher nennt ein paar Beispiele:

♦ Die Stahlproduktion für einen Kilometer Gleis verursacht 240 t CO2
♦ Das Material (Kupfer, Stahl, Beton) für die Elektrifizierung von einem Kilometer Gleis verursacht 20 t CO2
♦ Der Bau eines Kilometers Bahntunnel 27.000 t CO2
♦ Der Bau eines Kilometers einer sechsspurigen Autobahn 3.500 t CO2
♦ Die Stahlproduktion der Leitplanken für einen Kilometer Autobahn 60 t CO2
♦ Der Bau einer vier Kilometer langen und 60 Meter breiten Startbahn verursacht rund 42.000 t CO2

Hohe Beschleunigungsenergie

Diese Aufzählung lässt sich fast beliebig lange fortsetzen. Von der Produktion einer Autobatterie, über den Bau von Bahnhöfen und Flughäfen, den CO2-Ausstoß der Produktion von Autos, Zügen und Flugzeugen, dem Luftwiderstand und den Höhenunterschieden bis hin zum Betrieb all der Anlagen. Das alles verursacht CO2.

Radermacher rechnet auch vor, wie viel Energie benötigt wird, um Züge, Autos und Flugzeuge mit durchschnittlicher Auslastung samt Gepäck zu beschleunigen. Während Autos und Züge das bei jeder Ampel und Haltestelle aufs neue müssen, muss ein Flugzeug nur einmal beschleunigen. Auf der Strecke Hamburg – München ist die Beschleunigungsenergie beim Zug größer als die beim Flugzeug, so die Studie.

Ganzheitliche Betrachtung gefordert

Die gängige Diskussion über die Umweltschädlichkeit von Verkehrssystemen entspreche nicht einer ganzheitlichen Betrachtung, so die Studie. Diese aber sei unerlässlich, sollen politisch gewollte finanzielle Anreize zur Reduktion der CO2-Emissionen Wirkung entfalten. Die Subventionierung von Elektromobilität und auch der Aus- und Neubau von Bahninfrastruktur hätten einen deutlich geringeren Effekt auf die CO2-Emissionen als bisher angenommen, so Radermacher.

Er fordert, dass politische Entscheidungen zur Verkehrspolitik ideologiefrei und unvoreingenommen sind, sich am Mobilitäts- und Transportbedarf sowie an naturwissenschaftlichen Fakten und am technisch Machbaren orientieren.

Eurocontrol sieht es ähnlich

Damit argumentiert die Studie der Uni St. Gallen ähnlich wie auch die europäische Flugsicherung Eurocontrol. Ausgegangen davon, dass das Ziel der Luftfahrtbranche ist, bis 2050 CO2-neutral unterwegs zu sein, stelle sich die Frage, ob der Zug wirklich die umweltfreundlichere Alternative sei, heißt es bei Eurocontrol.

Denn: Ihn vielen Fällen ist eine neue Infrastruktur für Hochgeschwindigkeitszüge notwendig. Das Netz von Hochgeschwindigkeitszügen ist bei Weitem nicht so ausgebaut wie das von Flügen. Und der Ausbau verursache CO2 und dauere zudem sehr lange.