Letzte Aktualisierung: um 16:34 Uhr

Saint Helena Airport

Ein Flughafen am Rande des Abgrunds

Nach anfänglichen Problemen landen inzwischen regelmäßig Linienflüge am Saint Helena Airport. Wie der Flughafen trotz heikler Winde, kaum vorhandener Ausweichmöglichkeiten und seltener Vögel für einen sicheren Betrieb sorgt.

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Gerald Yon steht am Abgrund. Aber nicht sprichwörtlich. Er steht am Rand der Start-und Landebahn des Saint Helena Airport und blickt herunter auf das stahlblaue Meer. 310 Meter fallen von hier die Klippen zum Prosperous Bay Beach ab. Yon ist verantwortlich für den Betrieb am Flughafen der Insel mitten im Südatlantik. Er kennt das Gelände wie kein anderer.

Der Mann in der blauen Sicherheitsweste zeigt auf einen massigen Felsrücken in zwei Kilometer Entfernung auf der linken Seite, den die Einheimischen The Barn nennen, der aber auch The Haystack heißt. Und dann rechts auf zwei hohe Klippen, die King and Queen Rocks genannt werden. «Diese Lage hoch über dem Meer und mit zwei großen, prominenten Felsformationen stellt uns vor Herausforderungen», sagt er. Hier entstünden die Scherwinde, für die der Saint Helena Airport bekannt wurde.

Wolken sind schlimmer als Winde

Kurz bevor der Flughafen 2016 eröffnet werden sollte, stellte eine Boeing 737 bei einem der letzten Testflug im Anflug auf Landebahn 19 Scherwinde fest – Winde in Bodennähe, die schnell ihre Richtung und Stärke ändern. Sie können das Flugzeug plötzlich abbremsen oder beschleunigen – und stellen für Pilotinnen und Piloten eine Herausforderung dar. Die Aufnahme von Linienflügen musste man daher um ein Jahr verschieben.

«In der Mitte der Piste sind die Winde noch stärker», so Yon. Damit nicht genug. Am anderen Ende von Start- und Landebahn 19/01 treten oft starke Turbulenzen auf. Doch was am Anfang Kopfzerbrechen bereitete, macht inzwischen kaum mehr Probleme. «Im Schnitt müssen wir lediglich zwei Flüge pro Jahr annullieren», sagt Yon. Dies geschehe aber nicht wegen Winden, sondern wegen schlechter Sicht, wenn die Wolken tief über dem Flughafengelände hängen.

Das wichtige weiße Gerät

Yon ist Saint, wie sich die Einwohnerinnen und Einwohner von St. Helena nennen. Lange Zeit arbeitete er am London City Airport, wo er die Probleme kennenlernte, die ein Flughafen in ungewöhnlicher Umgebung mit sich bringt. «Als bekannt wurde, dass in Saint Helena ein Flughafen gebaut würde, war für mich klar, dass ich dabei helfen wollte», erzählt er. Neben der Aussicht, dass seine Heimat künftig leichter zu erreichen sein wird – früher ging das nur per Schiff ab Kapstadt in fünf bis sieben Tagen – reizte ihn die technische Herausforderung, einen solchen Airport startklar zu machen.


Das Lidar liefert Daten zur Stärke und Richtung der Winde. Bild: aeroTELEGRAPH

Für den sicheren Betrieb am Saint Helena Airport braucht es auch Technik. Kurz vor der Schwelle von Piste 19 steht das wichtigste Gerät. Das Lidar. Die Abkürzung steht für Light imaging, detection and ranging. Es misst die Scherwinde und verwandelt sie in Zahlen und Bilder.

Scherwinde in bunten Farben

Die Daten meldet das Lidar an das Büro des Met Office auf der zweitobersten Etage des Kontrollturms. Meteorologin Abby Smith zeigt auf ein kleines Gerät, das ein wenig ausschaut wie ein Wecker. «Aktuell sind die Winde gerade ziemlich schwach», sagt sie. Sie blasen aus Südosten, wie fast immer und nur mit einer Stärke von 13,8 Knoten oder 26 Kilometern pro Stunde. Viel wichtiger aber ist eine halbrunde Darstellung der Lidar-Daten auf einem Bildschirm links neben der Anzeige der Windrichtung und – stärke. Es zeigt die Scherwinde an – in unterschiedlich eingefärbten Flächen.

Daneben benutzt Smith auch noch ein Satellitenbild, das die Wolken in der Region anzeigt. «Ich erstelle jeweils eine Dreitagesprognose», sagt die Britin, die für ein paar Jahre den Job auf St. Helena angenommen hat. Sie ist nicht nur für die Luftfahrt der Insel zuständig, sondern auch für die Fischerei und die Landwirtschaft. Auch für diese erstellt sie Prognosen.

Der nächste Flughafen liegt weit weg

Die Informationen teilt Meteorologin Smith regelmäßig mit den Cockpitcrews der anfliegenden Flugzeuge. So können diese entscheiden, ob sie den Airport ansteuern oder vielleicht doch besser umdrehen sollen. Entscheiden sie sich für eine Ladung, gibt es noch weitere Hilfen. Der Flughafen besitzt auch ein Doppler-UKW-Drehfunkfeuer (im Jargon DVOR) und einen Localizer zur horizontalen Orientierung im Anflug.

Dennoch müssen die Crews vorsorgen, wenn die Landung einmal doch nicht gelingen sollte. Denn an einen anderen Flughafen auszuweichen, heißt im Fall von St. Helena, weitere 2300 Kilometer zurückzulegen. Der Ausweichflughafen ist Walvis Bay in Namibia. «Anfliegende Crews erhalten von uns aber regelmäßig Wetter-Updates, damit sie allenfalls schon früher umdrehen können» so Yon.

Viel schneller ins Krankenhaus

Er hat das Ziel erreicht, das er sich bei seinem Stellenantritt gesetzt hatte. Der Betrieb am Saint Helena Airport ist längst zur Routine geworden. Immer wieder besuchen auch Privatjets die Insel, auf die einst Napoleon verbannt wurde und wo der ehemalige französische Kaiser 1821 starb. Sei es für einen Kurzaufenthalt oder für einen Tankstopp.

Gelegentlich holen Ambulanzflugzeuge Verunfallte oder Kranke von hier ab und fliegen sie zur Behandlung nach Südafrika. Das ist ein gigantischer Vorteil für die Einheimischen. Früher war das Schiff die einzige, langsame Transportmöglichkeit.

Flüge von Airlink werden rege genutzt

Auch Linienflüge haben sich etabliert. Ein Mal pro Woche verbindet die südafrikanische Airlink Saint Helena mit Johannesburg. Auf vierdreiviertel Stunden langen Flug setzt sie zwei Embraer E190 ein, die mit besonders starken Triebwerken ausgestattet sind. An Bord befinden sich speziell geschulte Piloten, die sich mit den Begebenheiten auf der Insel auskennen sowie eine Ersatzcrew. Auch zwei Techniker, die kleine Reparaturen am Flieger vornehmen könnten, reisen mit. Denn vor Ort gibt es keine Wartung.


Eine ankommende Embraer E190 von Airlink. Bild: aeroTELEGRAPH

Die Verbindung von Airlink wird rege genutzt. 69 Prozent beträgt die Auslastung auf den ankommenden Flügen und 79 Prozent bei den abgehenden. Die Diskrepanz ergibt sich daraus, dass Kreuzfahrtgäste in Saint Helena von Bord gehen und via Johannesburg nach Hause fliegen. Die Zuschüsse, welche bei zu niedriger Nutzung vorgesehen wären, musste die Inselregierung deshalb bisher nie ausrichten.

Mehr Flüge und Destinationen in der Hochsaison

Airlink bringt aber nicht nur Menschen auf die Insel und von der Insel weg. Rund eine Tonne Fracht wird jedes Mal mitgeführt. «Besonders Teile für Autos kommen mit dem Flugzeug», so Yon. Und so plant Airlink bereits einen Ausbau. Zur Hochsaison von November bis April soll es zusätzliche Flüge nach Johannesburg geben und auch solche nach Kapstadt. Für 2023 rechnet Flughafenchefin Gwyneth Howell wieder mit über 9000 Fluggästen.  «Das sind so viele wie vor der Pandemie.»

Eine Hoffnung erfüllt sich aber vorerst nicht. 2020 gab es Direktflüge aus London nach Saint Helena – mit Zwischenstopp in Accra. «Sie erwiesen sich mit der eingesetzten Boeing 757 als nicht rentabel», so Howell. Und der Airbus A321 LR ist für den Airport noch nicht zugelassen. «Wir setzen große Hoffnungen in das Flugzeug», so die Flughafenmanagerin.

Baumaterialien mussten gereinigt werden

Dabei war der Beginn alles andere als einfach. Um eine 1950 Meter lange Piste schaffen zu können, musste das Prosperous Bay Plain gegen Süden verlängert werden. Die Aufschüttung war kompliziert und teuer. Denn dabei musste ein Tal zugeschüttet werden, das von Einheimischen gerne als Weg zu einer Bucht am Meer genutzt wurde. Für sie, und um den Bach im Tal umleiten zu können, wurde aufwändig ein Durchstich ins Nachbartal vorgenommen.


Die Aufschüttung am südlichen Ende der Landebahn. Bild: aeroTELEGRAPH

Bauen ist aber auf Saint Helena auch sonst schwieriger als anderswo. Die Insel importiert fast alle Baumaterialien. Zudem kennt sie strenge Vorschriften zur Biosecurity, also zum Schutz der heimischen Flora und Fauna. Und so mussten alle Materialien geprüft und gereinigt werden. Kein Wunder, dass der gesamte Bau auf 285 Millionen Pfund zu stehen kam – damals rund 300 Millionen Euro.

Endemische Spinnenart entdeckt

Als die Bauarbeiten begannen, entdeckte man auf dem Gelände zudem eine endemische Spinnenart. Gleich neben dem Terminal musste ein ganzer Hügel stehen gelassen werden, um die einzigartige Spezies zu erhalten. Spider Hill nennen ihn die Saints inzwischen.

Bereits früher hatten Ornithologen Protest gegen das Bauvorhaben eingelegt, weil rund ums Baugelände auf dem Prosperous Bay Plain besonders viele Wirebirds leben. Die Vogelart leben nur auf der Insel und heißt auf Deutsch St.-Helena-Regenpfeifer. Vom Betrieb lassen sie sich aber bisher nicht stören. «Wir hatten bisher keinen einzigen Vogelschlag», so Betriebschef Gerald Yon.

Seltener Vogel legt neben Flugzeugen ein Ei

Dann läuft der Betriebsleiter des Saint Helena Airport zu einer Stelle neben dem Vorfeld, keine zwanzig Meter von den drei Parkpositionen für Flugzeuge entfernt. Er zeigt auf eine Stelle am Boden und sagt: «Hier hat sich ein Wirebird ein Nest gebaut und ein Ei gelegt», so Yon.

Auch Widerstände in der Bevölkerung gab es. Die King and Queen Rocks gelten bei den Saints als beliebtes Ausflugsziel. Durch den Bau des Flughafens konnte man sie nicht mehr erreichen. Auch dafür fand das Flughafenmanagement schließlich eine Lösung.

Ungewöhnliche Lösung für Wanderfreunde

Wandernde müssen jetzt bei der Flughafenleitung klingeln. Dann werden sie mit einem Fahrzeug der Piste entlang gefahren. Jemand öffnet dann eine Tür und führt die Aus­flüg­ler auf den Pfad zu den King and Queen Rocks. Und wenn sie zurückkehren? «Dann klingeln sie bei der Tür im Zaun und wir holen sie wieder ab», sagt Yon und lacht.

In der oben stehenden Bildergalerie sehen Sie Bilder und Videos des Saint Helena Airport. Durch einen Klick aufs Bild öffnet sich die Galerie im Großformat.