Letzte Aktualisierung: um 18:39 Uhr

Anne Rigail, Air France

«Der Kern unserer Mittelstreckenflotte wird der Airbus A220 sein»

Air-France-Chefin Anne Rigail erzählt im Interview, wie sich das Verhältnis zu Bahnunternehmen verändert hat, wieso ihre Airline keinen Personalengpass hat - und wie sich der Airbus A220 schlägt.

Fliegen Sie wieder so viel wie vor der Pandemie?
Anne Rigail: Es wird wieder mehr. Ich besuche auch wieder mehr unserer Standorte im Ausland. Es ist bei mir ähnlich wie bei unseren Kundinnen und Kunden: Nachdem zunächst hauptsächlich Ferienreisende oder Leute flogen, die Freunde und Verwandte besuchten, kommt jetzt auch der Geschäftsverkehr zurück.

Das heißt, die Firmen schicken ihre Mitarbeitenden wieder in die Welt hinaus?
Erst waren es hauptsächlich kleine und mittelgroße Unternehmen. Jetzt aber auch Großunternehmen. Das spüren wir sowohl im Inlands- als auch im Auslandsgeschäft. Die Nordatlantik-Flüge sind sehr gut gebucht. Bei den Geschäftsreisen liegen wir inzwischen wieder bei 50 bis 60 Prozent der Nachfrage von vor der Krise.

Haben Sie und die anderen Airlines sich geirrt mit den düsteren Prognosen bezüglich Geschäftsreisen?
Die Nachfrage erholt sich. Das liegt auch daran, dass wir die Grenzen dessen gesehen haben, was per Videokonferenz machbar ist. Ich glaube aber dennoch nicht, dass die Geschäftsreise-Nachfrage je wieder dort sein wird, wo sie 2019 war.

Was bedeutet das für Ihr Geschäftsmodell?
Wir hatten früher 25 Prozent Geschäftskunden. Die machten 40 Prozent der Einnahmen aus. Das heißt also, dass sich am Geschäftsmodell etwas ändern muss.

Die Erneuerung der Langstreckenkabinen wollen wir in weniger als einem Jahr abschließen.

Setzen Sie mehr Fokus auf Freizeitreisende?
Wie genau alles am Ende aussieht, ist noch nicht klar. Die gute Nachricht ist: Die Hälfte der Kundinnen und Kunden in der First und in der Business Class sind inzwischen bereits Privatreisende. Das ist eine Menge. Unser Marketingteam leistet großartige Arbeit dabei, unser Premium-Produkt an Freizeitreisende zu vermarkten. Wir fokussieren uns deshalb vermehrt auf unsere Rolle als Premium-Anbieter. Wir investieren wirklich viel, um ein Premium-Produkt zu bieten- in allen Klassen.

Werden Sie La Premiere, die erste Klasse an Bord, behalten? Viele Airlines schaffen die oberste Klasse gerade ab.
Wir werden die erste Klasse definitiv behalten.

Was tun Sie denn sonst genau, wenn Sie sagen, Sie investieren?
Die Erneuerung der Langstreckenkabinen wollen wir in weniger als einem Jahr abschließen. Wir haben noch zwölf Boeing 777, die eine neue Kabine brauchen. Das Produkt auf der Langstrecke wird also konsistenter – zudem wird es in jedem Flieger Internet geben, außer in den Regionalfliegern. Gerade, wenn es um die Economy Class geht, hilft auch die Flottenerneuerung. Der Komfort an Bord der neuen Airbus A220 ist zum Beispiel wirklich unglaublich hoch.

Sind Sie zufrieden mit der Leistung der A220 in Ihrer Flotte?
Sehr. Es ist ein hervorragendes Flugzeug, mit 10 Prozent geringeren Stückkosten, und 20 Prozent weniger Emissionen. Insgesamt ist die Flottenerneuerung vor allem auch aus Umweltsicht gut. Bis 2025 fliegen 60 A220 für uns, und 38 Airbus A350. Vor der Krise bestand unsere Flotte zu sieben Prozent aus Flugzeugen der neuen Generation. 2025 werden es schon 45 sein, 2030 70.

Der Kern unserer Mittelstreckenflotte wird der Airbus A220 sein.

Das klingt toll. Aber aus wirtschaftlicher Sicht ist Ihre Flotte noch nicht 100 Prozent effizient – Sie haben sehr viele verschiedene Flugzeugtypen. Und das sorgt bei Wartung, Ausbildung und Instandhaltung für teils höhere Kosten.
Aber es werden immer weniger!

Wie viele Flugzeugtypen möchten Sie denn idealerweise in der Flotte haben?
Unser Ziel ist, die Flotte zu vereinfachen. Der Kern unserer Mittelstreckenflotte wird der Airbus A220 sein. Die alten Airbus A318 und A319 wird es nicht mehr geben. Wir haben außerdem schon den Airbus A380 ausgeflottet, ebenso wie den A340 während der Pandemie. Unsere Boeing 777 sind aktuell noch sehr effizient. Die älteren 777-200 ersetzen wir aber mit Airbus A350. Wir haben auch immer noch Airbus A330, und irgendwann werden wir uns überlegen müssen, wie wir weiter vereinfachen können. Aber nicht in der kurzen Frist.

Jetzt haben Sie Ihre zehn Dreamliner gar nicht erwähnt. Spielen die keine große Rolle mehr?
Sie sind sehr effizient. Und wir wollen sie auch nicht aus der Flotte entfernen. Es sind gute Flugzeuge und wir behalten sie. Wir haben aber keine ausstehenden Bestellungen.

Wie viele Freiheiten haben Sie überhaupt bei den Flottenentscheidungen. Sie sind ja Teil einer großen Gruppe.
Ich finde es richtig und absolut wichtig, dass die Air-France-KLM-Gruppe solche Dinge koordiniert und entscheidet. Ob es um Flugzeuge, Triebwerke oder Treibstoff geht. Gerade jetzt, wo die Treibstoffpreise so hoch sind.


Boeing 777 von Air France. Bild: aeroTELEGRAPH

Sind Sie beim Treibstoff gehedgt? Haben Sie also in günstigeren Zeiten genug Optionen gekauft, um die jetzigen Anstiege etwas abzufedern?
Ja, wir sind im zweiten Quartal noch zu 72 Prozent gehedgt, im 3. Quartal werden es 70 Prozent sein. Das bedeutet Einsparungen von etwa 900 Millionen Euro. Das hilft definitiv, die Krise etwas besser zu meistern.

Ganz ehrlich: Wie ist die Beziehung mit der Schwesterairline KLM? Man liest immer wieder von Friktionen…
Die Medienberichterstattung hilft da nicht unbedingt. Fakt ist: Wir profitieren alle enorm von der Zugehörigkeit zur Gruppe. In vielen Bereichen arbeiten die Mitarbeitenden unabhängig von ihrem Vertrag für Air France-KLM als Gruppe, man sieht also nur das Ganze, sie werden gemeinsam gehandhabt. Und wir schauen, wo man noch mehr Synergien schaffen kann.

Wie trifft die Ukraine-Krise Sie sonst, außerhalb der horrenden Treibstoffkosten?
Bevor ich über Air France rede, muss ich sagen: Dieser Krieg ist einfach furchtbar. Wir als Airlines verbinden Menschen miteinander, und da passiert das Gegenteil. Die Reiselust der Kundinnnen und Kunden hat sich aber nicht geschmälert, obwohl wir das zu Beginn gefürchtet hatten. Im Gegenteil, die Buchungen ziehen immer weiter an. Was die weiteren Folgen betrifft: Direkte Flüge nach Russland und in die Ukraine haben wir nicht sehr viele angeboten. Die Codeshares mit Aeroflot haben wir beendet. Am stärksten spüren wir es auf den Routen nach Tokio, Seoul, China. Da müssen wir über Kasachstan fliegen, was enorm Flugzeit hinzufügt. Der längste Flug ist aktuell der Rückflug von Tokio mit 15:50 Stunden. Da muss dann zum Beispiel eine Person mehr im Cockpit mitfliegen, außerdem haben wir das Catering angepasst und bieten mehr Essen an.

Wie geht es den Crews mit der Gesamtsituation? Bei vielen Fluggesellschaften ist die Stimmung in Kabine und teils auch im Cockpit alles andere als gut. gewerkschaften klagen über zu lange Arbeitszeiten und Müdigkeit.
Wir beobachten natürlich genau, wie es den Mitarbeitenden im ganzen Unternehmen geht. Ich muss aber sagen, dass es da bei uns recht stabil aussieht.

Im Moment müssen wir in der Kabine nicht neu einstellen

Was haben Sie denn anders, besser, gemacht als Lufthansa oder Swiss, wo man von den Crews immer wieder Beschwerden hört?
Wir haben sehr früh wieder mit der Rekrutierung von Pilotinnen und Piloten begonnen: 2021, als wir uns an einem der schlimmsten Punkte der Pandemie befanden. Das war sicherlich eine Wette, doch es war die richtige. Wir wussten, dass wir den Aufschwung nicht anders bewältigen konnten, da wir ja zuvor durch freiwillige Ausstiegsprogramm und auch den Stopp von Neueinstellungen den Personalstand reduziert hatten. Weil wir so vorausschauend gehandelt haben, können wir die geplante Kapazität von 90 Prozent des Vorkrisenniveaus diesen Sommer gut bedienen.

Und wie sieht es beim Kabinenpersonal aus?
Im Moment müssen wir dort nicht neu einstellen. Auch, weil wir die Airbus A380 ausgeflottet haben, die mit 21 Mitgliedern der Kabinenbesatzung bereedert wurden.

In Deutschland und auch in Großbritannien gab es in Spitzenzeiten Engpässe an den Flughäfen.
Wir müssen die Überlastung der Flughäfen sicher in den Griff bekommen. Wir arbeiten mit den Pariser Flughäfen zusammen, um sicherzustellen, dass an den Sicherheits- und Polizeikontrollen genügend Personal zur Verfügung steht.

Auch Sie haben in der Pandemie Staatshilfen in Anspruch genommen. Lufthansa hat die Staatshilfen vollumfänglich zurückgezahlt. Wann ist es für Air France soweit?
Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung, die wir vom französischen und niederländischen Staat erhalten haben. Die Gruppe hat den Wunsch geäußert, diese so bald wie möglich zurückzuzahlen.

Die Staatshilfen wurden auch mit Umweltauflagen in Verbindung gebracht. Hat Sie das geärgert?
Nein! Dass gewisse kürzere Strecken besser mit dem Zug zurückgelegt werden, ist sinnvoll, und wir haben die entsprechenden Flüge eingestellt. Wir nehmen das Thema wirklich ernst. Ich will auch, dass meine Kinder reisen können, ohne sich dabei schlecht zu fühlen. Aber auch generell. Wenn wir nicht jetzt genug tun, ist es zu spät.

Wir sehen die Bahnunternehmen nicht mehr als Konkurrenz

Ein gängiger Vorwurf lautet: Etwas für die Umwelt tun wollen, aber dennoch immer mehr fliegen – das passt doch nicht zusammen.
Das stimmt so nicht. Wir reduzieren die Emissionen auch absolut. Bis 2030 etwa um 12 Prozent. Und das trotz geplanten Wachstums. 2019 verbuchten wir verglichen mit 2005 6 Prozent weniger Emissionen. Und das bei einem Wachstum von 32 Prozent. Auch unsere Mitarbeitenden nehmen das Thema ernst. Die Cockpit-Besatzungen etwa sind große Fans des so genannten Eco Piloting. Also zum Beispiel das Rollen am Boden mit nur einem Triebwerk, Strom vom Gate statt vom Flugzeug nutzen. Aber auch effiizientere Flugrouten berichten. Alle haben ein Interesse, etwas zu tun. Wir tun übrigens auch mehr, als verlangt wird. Der Fit for 55-Plan der EU etwa sieht vor, dass 2030 bei jeder Tankfüllung 5 Prozent nachhaltiger Treibstoff beigemischt ist. Uns reicht das nicht, weil die Wissenschaft zeigt, dass man damit die Ziele nicht erreichen kann. Wir haben uns 10 Prozent zum Ziel gesetzt.

In ganz Europa mehren sich Kooperationen zwischen Zug und Flug. In Frankreich sind die Schnellzüge aber gleichzeitig Ihre bitterste Konkurrenz im Inlandsmarkt. Gerade jetzt, wenn das Umweltthema wichtiger wird.
Wir sehen die Bahnunternehmen nicht mehr als Konkurrenz. Im Gegenteil, wir machen wirklich viel zusammen. Ich sehe den Chef der französischen Bahn einmal im Monat. Unser Ziel ist es, den Kundinnen und Kunden eine bestmögliche und nicht frustrierende Reise zu ermöglichen, und arbeiten intensiv an einem guten digitalen Kundenerlebnis.. Das Ziel ist, dass die Leute nicht mehr mit dem Auto kommen. Auf 18 Strecken kooperieren wir schon, und schauen, wie wir mehr machen können.

Nur in Frankreich?
Wir schauen auch an, was wir in der Richtung in Europa noch machen können. Denn diese Intermodalität ist die Zukunft.

* Anne Rigail arbeitet bereits lange in der Luftfahrtbranche. 1991 startete sie bei Air Inter. Zu Air France stieß sie bereits 1996 als Leiterin des Kundendienstes  in Paris-Orly. Nach diversen weiteren Positionen, etwa als Zuständige für das Kabinenpersonal und schließlich für die Kundenbeziehungen wurde sie im Dezember 2018 zur Geschäftsführerin ernannt.