EEA Aircraft entwickelt mit der 19-plätzigen Lus-222 erstmals ein eigenes Flugzeug in Portugal. In Brasilien tüftelt Desaer mit der ATL-100 an einem ähnlichen Flugzeug - und behauptet, das portugiesische Projekt sei eine Kopie. Stimmt nicht, sagt EEA und nennt eine andere Inspirationsquelle.
Es wäre eine Premiere. Erstmals soll in Portugal ein Flugzeug entwickelt werden. EEA Aircraft - eine Tochter des Centro de Engenharia e Desenvolvimento CEIIA - hat Anfang April ein Projekt für ein Regionalflugzeug vorgestellt. Lus-222 nennt es sich. Die Abkürzung stammt vom Begriff Lusitanien, der einstigen römischen Provinz, die in etwa das heutige Portugal umfasst.
Der neue Hochdecker soll bis zu 19 Passagieren Platz bieten. Alternativ soll er zwei Tonnen Fracht bis zu 2100 Kilometer weit mit 370 Kilometern pro Stunde transportieren können. Unbefestigte Pisten sollen für die Lus-222 ebenfalls kein Problem darstellen. Der Erstflug ist für 2028 geplant.
EEA Aircraft arbeitet beim Projekt mit der portugiesischen Luftwaffe zusammen. Das Unternehmen hat bereits Investitionen in Höhe von 220 Millionen Euro eingesammelt. Damit wird nicht nur die Entwicklung finanziert, sondern auch der Bau einer neuen Fabrik in Ponte de Sor im Landesinnern. 12 bis 20 Flugzeuge jährlich sind das erklärte Produktionsziel.
Während die Idee in Portugal begeistert aufgenommen wurde, sorgt sie in Brasilien für rote Köpfe. Denn dort entwickelt Desaer einen sehr ähnlichen zweimotorigen Hochdecker mit fixem, dreirädrigem Fahrwerk namens ATL-100. Er soll 16 Meter lang werden und eine Spannweite von 20 Metern aufweisen. Die Reisegeschwindigkeit wird gemäß den Plänen rund 430 Kilometer pro Stunde betragen, die Reichweite rund 1600 Kilometer, das maximale Startgewicht rund 8,6 Tonnen. Starten und landen soll der neue Turbopropflieger auch auf unbefestigten Pisten können.
Bei der Entwicklung der ATL-100 ist das brasilianische Unternehmen, das wie Embraer in São José dos Campos sitzt und auch von Ehemaligen des großen Herstellers gegründet wurde – allerdings in Verzug. Eigentlich hätte das erste Flugzeug bereits vor zwei Jahren öffentlich vorgestellt werden sollen. Der Erstflug war einst für 2025 geplant.
Doch die Verzögerung ist nicht das einzige Problem, mit dem sich Desaer - eine Zusammenziehung aus Desenvolvimento Aeronáutico oder übersetzt Luftfahrt-Entwicklung - herumschlägt. Das Unternehmen wirft EEA Aircraft vor, bei der Lus-222 seine ATL-100 kopiert zu haben. Man habe den Brasilianern im Hinblick auf eine Kooperation unter Geheimhaltungspflicht Daten zugeschickt, so die Portugiesen. Doch die Kooperationspläne seien wieder aufgegeben worden.
Die Lus-222 basiere letztlich auf diesen ausgetauschten Daten und se eine Kopie der ATL-100, so Desaer. Man besitze «das geistige Eigentum und alle Rechte an der Entwicklung und Produktion der ATL-100». Kein anderes Unternehmen oder keine andere Organisation auf der Welt könne dieses Flugzeug «mit seinen einzigartigen Eigenschaften entwickeln oder herstellen», schreibt das Unternehmen in einer Mitteilung.
In Portugal lässt man das nicht auf sich sitzen. Das Projekt Lus-222 laufe bereits seit 2020. Es sei von der spanischen Cosmos Aersopace angestoßen worden und inspiriert von der Casa C-212, erklärt ein Sprecher von EEA-Aircraft-Mutter CEIIA gegenüber aeroTELEGRAPH. Die technischen Informationen über die ATL-100, die man von Desear bei der Diskussion einer Kooperation erhalten habe, Seien «konzeptionell, unausgereift und ingenieurtechnisch inkonsistent» gewesen.
Die Zusammenarbeit habe man im Übrigen beendet, bevor man sich des Projektes Lus-222 angenommen habe. Viele Punkte, welche Desaer als Beweis einer Kopie vorbringe, seien aber fadenscheinig, so der Sprecher. Das Vorhandensein einer hinteren Ladeluke sei genauso wenig ein Alleinstellungsmerkmal für die ATL-100 wie die Anzahl und Art der Triebwerke oder die Form des Rumpfes. Es seien Dinge, die es bereits bei anderen ähnlichen Flugzeugen gebe, heißt es vom CEIIA.
Desaer und EEA Aircraft zielen allgemein nicht gerade auf eine Marktlücke. Bei Flugzeugen mit 17 bis 19 Plätzen haben Fluggesellschaften eher die Qual der Wahl. Die tschechische Let buhlt mit der L-410 NG um die Kundschaft, die chinesische Harbin mit der Y-12, die polnische PZL Mielec mit der M28 Skytruck, De Havilland Canada mit dem Klassiker DHC-6 Twin Otter, die deutsche General Atomics Europe mit der Do228 NXT und die amerikanische Cessna mit der neuen 408 Sky Courier.