Letzte Aktualisierung: um 16:29 Uhr

Passion Fliegen

Einmal Ilyushin Il-14 und zurück

Mit der Ilyushin Il-14 holte die sowjetische Luftfahrt den Rückstand auf die US-Hersteller auf. Einmal mit dem Modell zu fliegen war daher schon lange ein Traum.

Mein erster Kontakt mit einer Ilyushin Il-14 reicht zurück bis ins Jahr 2012, als ich auf dem Flughafen der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang unter großem Sicherheitsaufgebot eine abgestellte Il-14 fotografieren durfte. Auf den ersten Blick schien sie mir flugtauglich zu sein, jedoch wurde die Frage, ob man mit ihr fliegen dürfe, verneint.

Zu diesem Zeitpunkt wusste ich allerdings noch nicht, dass eine Gruppe von Flugzeugenthusiasten in Russland daran arbeitete, eine alte Il-14 zu restaurieren und wieder flugtüchtig zu machen. Als mich Anfang dieses Jahres mein Kollege Daniel informierte, dass er eine Reise zur inzwischen fertig restaurierten Il-14 nach Russland plane, konnte ich mir diese einmalige Gelegenheit nicht entgehen lassen und meldete mich spontan zu diesem Abenteuer an.

Sowjets starteten spät

Der wunderschöne Tiefdecker, angetrieben von zwei Kolbenmotoren, wurde in der ehemaligen Sowjetunion entwickelt und hergestellt. Mehr als 1100 Flugzeuge verließen die Werkhallen bei Ilyushin. Im Vergleich zu westlichen Flugzeugherstellern wurde relativ spät mit der Produktion von Verkehrsflugzeugen begonnen. Erst fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg startete im Jahre 1950 die erste Il-14 zum Jungfernflug.

Zur gleichen Zeit wurde in den USA bereits die Douglas DC-7 entwickelt, die ein technologischer Fortschritt gegenüber sämtlichen Konkurrenzmodellen darstellte (zum Beispiel Lockheed Super Constellation). Im Vergleich zu den westlichen Flugzeugentwicklungen flog die Il-14 damals relativ langsam und die Reichweite liess Langstreckenflüge nur mit Tankstopp zu.

Schah von Persien setzte Il-14 als VIP-Flugzeug ein

Im Laufe ihrer Blütezeit diente die Il-14 verschiedenen Staatsoberhäuptern als VIP-Flugzeug. Der Schah von Persien, Jugoslawiens Präsident Josip Broz Tito und Indiens Präsident Jawaharlal Nehru nutzten die Maschine für ihre Kurz- und Mittelstreckenflüge. Neben der VIP-Version wurde die Il-14 in vier weiteren Ausführungen angeboten. Die P-Version für maximal 28 Passagiere, die längere M-Version für 36 Passagiere, die G-Version für Fracht und die T-Version für militärische Zwecke.

Eingesetzt wurden die Maschinen in fast allen Staaten des Warschauer Paktes. Mit einer Reisegeschwindigkeit von 340 Kilometer pro Stunde betrug ihre Reichweite zirka 2300 Kilometer. Als die damalige russische Fluggesellschaft Aeroflot Mitte der 1950er Jahre jedoch den Bedarf einer größeren Maschine für 100 Passagiere bekannt gab, wurde 1958 die Produktion der Il-14 zugunsten der viermotorigen und eleganteren Ilyushin Il-18 eingestellt.

Lange Liste von Unfällen

Was das Thema Flugunfälle angeht, so haben die Il-14 Flugzeuge leider eine lange Liste vorzuweisen. Diese beginnt mit einem Absturz bei Voronezh/Russland im Jahre 1955, der durch ein Triebwerksfeuer beim Landeanflug verursacht wurde. Dabei verloren alle 25 Menschen an Bord des Aeroflot-Fluges ihr Leben. Das schwerste Unglück mit 48 Toten ereignete sich am 14. Juni 1981 in der Nähe von Ust-Barguin, als ein Aeroflot-Flug infolge eines Pilotenfehlers im Landeanflug bei schlechtem Wetter in einen Berg am Baikalsee geflogen ist. Dem Unfallbericht ist zu entnehmen, dass die Piloten unwissentlich vom Kurs abgekommen waren. Ursprünglich hiess es, dass sie sogar noch Sichtkontakt zum Flughafen gemeldet hatten, doch dies stellte sich später als falsch heraus.

Meine Reise zur Il-14 begann am 10. Juni 2016. Nach einer Zwischenlandung in Genf erreichte ich kurz nach Mittag bei strahlendem Sonnenschein Moskau. Um 19:30 Uhr traf sich unsere Gruppe in der Innenstadt unweit vom Bahnhof Belorussky, einem der wichtigsten Fernbahnhöfe von Moskau. Die Teilnehmer reisten aus allen Himmelsrichtungen an. Mit einem modernen Reisebus fuhren wir in nordwestlicher Richtung zu unserer Lodge. Die Fahrt war sehr kurzweilig, denn neben der Fachsimpelei mit vielen bekannten Fliegerkollegen ergaben sich auch neue spannende Bekanntschaften. Eines hatten wir dabei alle gemeinsam; die Leidenschaft zur Fliegerei! Großartige und wilde Fliegerabenteuer machten die Runde. Gut unterhalten erreichten wir nach etwa drei Stunden unsere Lodge, wo wir vom russischen Personal herzlich empfangen und zu einem nächtlichen Essen eingeladen wurden.

Kein Start möglich

Nach nur knapp vier Stunden Schlaf weckten mich die unaufhörlich gegen mein schräg stehendes Fenster prasselnden Regentropfen. Bei Tageslicht wurden schließlich die tief liegenden Regenwolken sichtbar. Schnell war klar, dass mit dieser Wolkenuntergrenze nicht nach VFR (Sichtflug-Regeln) geflogen werden konnte. Dennoch machten wir uns nach einem reichhaltigen und mit viel Gastfreundschaft hergerichteten Frühstück auf den Weg zum nur fünf Minuten entfernt liegenden privaten Flugplatz bei Orlovka.

Die wegen des schlechten Wetters getrübte Stimmung verzog sich in Sekundenschnelle, als sich bei der Ankunft am Flugplatz die Il-14 stolz vor dem Hangar präsentierte. Es war ein unvergesslicher Augenblick für mich, als ich die ersten Fotos dieser wunderschönen Il-14 schießen konnte. Mein Pulsschlag schnellte in die Höhe, dies trotz der Tatsache, dass es weiterhin in Strömen regnete und an einen Start in diesem Moment nicht zu denken war.

Ein neues Zuhause

Unsere Il-14 wird vom ortsansässigen Flugverein auch liebevoll «Pinguin» genannt. Die am Heck sichtbare Registration CCCP-91612 wurde eigens für den im Jahre 1971 produzierten Film «Ich bitte um Starterlaubnis» angebracht, der sich um den Arbeitsalltag sowjetischer Piloten handelt. Eine offizielle Flugzeugregistration konnte bis heute nicht ausfindig gemacht werden.

Es sind allgemein nur wenige Fakten über diese Il-14 bekannt. Man weiss allerdings, dass sie am 27. September 1957 mit der Seriennummer 147001640 die Produktionsstätte im Moskauer Werk MMZ Znamya verließ und noch am gleichen Tag mit der militärischen Kennung 23 an die sowjetischen Luftstreitkräfte übergeben wurde. Ab 1974 flog sie während zehn Jahren für die sowjetische Marine. Schließlich hat sich 2012 ein kleines Team russischer Flugzeugenthusiasten dem Pinguin angenommen und ihn liebevoll restauriert. Inzwischen hat die Il-14T (T steht für die militärische Transportversion) auf dem Flugplatz Orlovka ein neues Zuhause gefunden.

Mit Muskelkraft gegen den Matsch

Gegen Mittag hatte es glücklicherweise aufgehört zu regnen und die Wolkenuntergrenze hatte sich etwas gelichtet. Die Verantwortlichen vom Flugplatz erteilten den Piloten die Startfreigabe. Da die Maschine lediglich mit 20 Sitzen ausgestattet ist, hatte sich unsere Truppe von knapp 30 Fliegerfanatikern in zwei Gruppen aufgeteilt. Ich war der zweiten Gruppe zugeteilt und konnte dadurch den ersten Start als Zuschauer am Rand der Startbahn miterleben.

Die Breite des Hauptfahrwerks überragte den Rollweg. Dies ist normalerweise kein Problem; bei der derzeitigen Wetterlage war es das jedoch schon! Die Maschine sackte durch die vom Regen übernässte Wiese auf der linke Seite ein. Mit einem Traktor und viel Muskelkraft der ganzen Gruppe konnten wir die Il-14 auf die Startbahn ziehen. Nach dem Boarding über eine Leiter erfolgte der ohrenbetäubende Motorencheck, der sich in meinen Ohren wie Musik anhörte.

Begegnung in der Luft

Mit der Landung der ersten Gruppe stieg meine Anspannung auf den bevorstehenden ersten Flug minütlich. Kurz nachdem die erste Gruppe das Flugzeug verlassen hatte, konnten wir in den bequemen Sitzen Platz nehmen. Nach dem Start auf der Piste 24 in westlicher Richtung gewann die Maschine schnell an Höhe. Während dem Flug forderten die Piloten das alte Flugzeug stetig heraus; Steilkurven mit hoher G-Belastung inklusive! Der Höhepunkt des Tages, eine Air-to-Air-Begegnung, stand uns jedoch noch bevor.

Bei meinem zweiten Flug mit der Il-14 gesellte sich überraschenderweise eine Antonov An-2 zu uns. Die An-2, der größte einmotorige Doppeldecker der Welt, näherte sich uns bis auf wenige Meter, wodurch ich einmalige Fotos schießen konnte. Dieses Flugmanöver, das normalerweise nur von Kunstflugstaffeln geflogen wird, verlangt von den Piloten größte Aufmerksamkeit. Diese Art von Präzisionsflug hatte ich bis anhin nur bei Flugshows als Zuschauer vom Boden aus mitverfolgen dürfen. Jetzt war ich allerdings plötzlich mittendrin und es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl, das mich sehr berührte.

Bei keiner Fluggesellschaft eingetragen

Insgesamt nahm ich an diesem Tag an drei Flügen mit einer Gesamtflugzeit von 106 Minuten teil. Unter Flugzeugenthusiasten/innen gibt es das ungeschriebene Gesetz, dass jede/r eine persönliche Flugstatistik führt. Darin wird auch die Fluggesellschaft festgehalten, mit der man geflogen ist. Da die Il-14 bei keiner Fluggesellschaft eingetragen ist, einigte man sich für den Eintrag auf Albatros Aero, den Namen des örtlichen Flugvereins.

Am Abend, als sich über der inzwischen teilweise verzogenen Wolkendecke die Sonne am Horizont langsam verabschiedete, konnten bei großartiger Hintergrundkulisse wunderschöne und spektakuläre Fotos vom Pinguin geschossen werden. Als sich die Il-14 etwas später beim Abendrot in der Bodennässe spiegelte, gab es für die Fotoprofis unter uns kein Halten mehr. Für einen Schnappschuss wurde gerne über eine halbe Stunde auf dem kalten Boden gelegen, um den besten Zeitpunkt der letzten Sonneneinstrahlung im Wasser nicht zu verpassen.

Ein Platz im Museum

Spätestens jetzt wurde allen klar, dass wir ein großartiges und mit sehr viel Leidenschaft gepflegtes Hobby teilen. Wir ließen den Tag bei einem gemeinsamen Grillfest auf dem Flughafengelände, natürlich immer in Sichtweite der Il-14, ausklingen. Ein grandioser Tag ging zu Ende und damit reiht sich ein weiteres spannendes Abenteuer in meine Fliegerbiographie ein.

Ich hoffe, dass unser Pinguin noch eine lange Zukunft vor sich hat. Möge die Zeitreise dieser einmaligen Maschine noch lange nicht zu Ende sein. In Russland zeichnet sich leider die Tendenz ab, dass viele Zeitgenossen der Il-14 immer öfter auf dem Schrottplatz enden. Möge die Il-14 für immer davon verschont bleiben und nach ihrer Pensionierung einen Platz in einem Museum finden.

Markus Dürst ist freier Kolumnist von aeroTELEGRAPH. Er ist gelernter Betriebsökonom und arbeitet bei Swiss International Air Lines. In seiner Freizeit schreibt er gerne Reiseberichte über besondere Flugerfahrungen. Er besitzt eine Privatpilotenlizenz. Die Meinung der freien Kolumnisten muss nicht mit der der Redaktion übereinstimmen.