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Fragen Sie den Piloten

Wie nutzen sich Reifen ab? Und kann man etwas dagegen tun?

Würden sich die Reifen bereits vor dem Aufsetzen drehen, könnte man Abnutzung vermeiden. Warum also keinen entsprechenden Mechanismus einbauen? Das fragt Leser Wilfried Werner. Ein Linienpilot antwortet.

Die Idee, dass Flugzeugräder vor dem Aufsetzen in Rotation gleich der ungefähren der Aufsetzgeschwindigkeit versetzt werden sollten, wird regelmäßig vorgetragen. Betrachten wir zuerst, was erreicht werden soll: Materialschonung, motiviert durch den Wunsch nach Kostenersparnis durch weniger Reifenabtrag.

Es stellt sich daher die Frage, ob der Vorgang des Aufsetzens wirklich der Hauptgrund für den Verschleiß der Reifen ist. Die Antwort: Dies ist nicht der Fall. Die hauptsächliche Arbeit leistet der Reifen erst dann, wenn die Masse des Flugzeuges heruntergebremst wird und die Radbremsen ihre Arbeit verrichten.

Der Moment nach dem Aufsetzen ist entscheidend

In der Kabine spürt man den Moment deutlich, wenn der Computer oder der Pilot die Radbremsen zu nutzen beginnt und die Verzögerung einsetzt. Das Auffahren der Schubumkehr und das Aufrichten der Spoiler sind da eher Hintergrundrauschen.

Es ist also die Phase direkt nach dem Aufsetzen, wenn die 60 Tonnen eines beispielhaften A320 ihre 140 Knoten loswerden wollen, wenn die Reifen Stress haben – auch wenn der Moment des Reifenkontaktes mit dem Boden deutlich spektakulärer aussieht.

Auch beim Rollen kommt es zum Abrieb

Platz zwei und drei der Abnutzung belegen die Seitenführungsarbeit des Reifens bei der Nutzung der Highspeed-Taxiways nach der Landung, sowie, vor dem Start, die Abnutzung beim Rollen nahe «Max Takeofffweight» in engen Kurven. Durch die Flugzeuggeometrie verschiedener Modelle ist das teilweise eine Art Radieren auf der Stelle. Auch die Temperatur spielt eine Rolle: Je wärmer die Außentemperatur ist, desto mehr Abnutzung erfahren die Reifen.

Natürlich stellt der Abrieb beim Aufsetzen auch einen gewissen Prozentsatz des Reifenverschleißes dar. Aber würde es sich lohnen, um das zu vermeiden zusätzlich noch einen Elektromotor samt Verkabelung und Steuerlogik in jedes Rad zu verbauen – dessen Gewicht bei jedem Flug mitgeschleppt werden muss?

Nicht genug Einsparpotenzial

Sollte ein messbares Einsparpotential vorhanden sein, wären solche Anwendungen schon lange installiert. Aber bislang gab es keine Rechtfertigung dafür. Neben der Idee, die Reifen elektrisch zu drehen gab es vor Jahren bereits einen Vorschlag, die Rotation durch eine Art Taschen an den seitlichen Außenflanken der Reifen im Fahrtwind zu erzwingen. Trotz des deutlich geringeren Aufwandes hat auch diese Idee keinen Einzug in die kommerzielle Luftfahrt gehalten.

Ein weiteres Argument gegen die Nachrüstung eines Rotationssystems ist zumindest bei Airbus eine Logik, welche die Zunahme der Raddrehzahl während der Landung bewertet.
Während sich die Schubumkehr und die Spoiler durch minimales Einfedern der Fahrwerksbeine nutzen lassen, wird die Nutzung der Radbremsen erst nach dem «spin up» der Hauptfahrwerksräder über einen bestimmten Geschwindigkeitsgrenzwert freigegeben.

Andere Technik wäre nötig

Würden die Räder bereits vor dem Aufsetzen nahe der Aufsetzgeschwindigkeit rotieren, dann würde Airbus hier nachträglich eine andere technische Logik finden und bei den Luftfahrtbehörden zulassen lassen müssen.

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