Das deutsche Bundessozialgericht entschied vor einem Jahr, dass Pilotinnen und Piloten mit Freelancer-Verträgen faktisch Angestellte sind. Für Airlines bedeutet das Nachzahlungen, mögliche Strafverfahren – und das Ende einer gängigen Praxis. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Das deutsche Bundessozialgericht stuft Freelancer-Pilotinnen und -Piloen als abhängig Beschäftigte ein. Damit drohen nun Nachzahlungen, steuerliche Probleme und strafrechtliche Konsequenzen für die Geschäftsführung von Fluggesellschaften. Wo steht die Branche heute? Die Rechtsanwälte Moritz G. Heile und Raoul Beth geben Auskunft.
Vor einem Jahr, im September, veröffentlichte das Bundessozialgericht die Begründung eines Urteils – mit Folgen, die in der deutschen Luftfahrtbranche Schockwellen auslöste. Doch worum ging es in dem Fall?
Moritz Heile: Es ging in der Sache mit dem Aktenzeichen B 12 BA 9/22 R tatsächlich um etwas sehr Typisches in der gewerblichen Luftfahrt, vor allem bei kleineren Unternehmen: Ein Pilot flog an etwa sechs bis sieben Tagen pro Monat für einen Auftraggeber, um dessen Personal an einen Produktionsstandort zu befördern. Zu diesem Zweck war ein Rahmen-Dienstvertrag über freie Mitarbeit, also ein sog. Freelancer Vertrag geschlossen worden. Der Pilot sollte somit nicht Angestellter sein, sondern eine feste Tagespauschale pro Einsatz bekommen und ein vom Unternehmen gestelltes Flugzeug nutzen. Einzelne Aufträge wurden dann individuell zwischen beiden nach Bedarf abgesprochen. Aufgaben des Piloten umfassten die Vorbereitung, Durchführung, Nachbereitung und Dokumentation der Flüge, aber es sollte ihm freistehen, Einsätze abzulehnen und auch für andere Auftraggeber tätig zu werden.
Die Deutsche Rentenversicherung wollte trotzdem ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis anstatt freier Mitarbeit annehmen?
Heile: Richtig, jedenfalls für die Dauer der einzelnen Aufträge. Und vom Bundessozialgericht bekam sie Recht. Danach ist der Wille der Vertragsparteien für die Bewertung, ob eine selbstständige Tätigkeit oder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, nicht entscheidend und ebenso wenig ein fehlendes Weisungsrecht. Für das Gericht war maßgeblich, dass alles Wesentliche der Zusammenarbeit bereits im Rahmenvertrag geregelt war – und vor allem die persönliche Abhängigkeit des Piloten, die sich aufgrund seiner Eingliederung in den Betrieb des Unternehmens ergebe. Schließlich seien die einzelnen Flugaufträge einschließlich Start, Ziel und zu transportierender Personen vorgegeben gewesen und es sei ausschließlich ein fremdes Betriebsmittel, also das zur Verfügung gestellte Flugzeug zu nutzen gewesen. Daher habe kein unternehmerischer Gestaltungsraum bestanden, der für Selbstständige typisch ist.
Was bedeutet das für Luftfahrtunternehmen, die Freelancer beschäftigt haben? Welche praktischen Auswirkungen haben sich in den vergangenen zwölf Monaten ergeben?
Heile: Das bedeutet vor allem, dass die bisherige Praxis nicht weitergeführt werden darf. Aber das ist nicht alles: Wir erleben schon jetzt infolge von Betriebsprüfungen oder sozialversicherungsrechtlichen Statusfeststellungsverfahren, dass zu Lasten von Luftfahrtunternehmen eine rückwirkende Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen für einen Zeitraum von bis zu vier Jahre festgesetzt wird, und zwar sowohl des Arbeitgeber- als auch des Arbeitnehmeranteils. Hinzu kann ein gesetzlicher Säumnisaufschlag von 12 Prozent treten. Wer sich solchen Forderungen ausgesetzt sieht, sollte aber nicht zu schnell beigeben: Schließlich hatte das Bundessozialgericht noch 2008 in einem vergleichbaren Fall anders entschieden und einem Piloten die Selbstständigkeit zuerkannt.
Raoul Beth: Wir beobachten außerdem, dass die Versicherungsträger nachzuentrichtende Beiträge oftmals schlicht anhand des gezahlten Entgelts freier Mitarbeiter berechnen, sodann Sozialversicherungsbeiträge aufgeschlagen und im Ergebnis ein fiktiver Bruttolohn angenommen wird, der der wirtschaftlichen Realität selten entspricht. Schließlich sind Honorare freier Mitarbeitender regelmäßig höher als die Bruttoeinkommen Festangestellter, gerade wegen der Erwartung des Entfalls der Abgabenpflicht auf Seiten des Auftraggebers. Aber auch steuerrechtlich ist das Ganze problematisch. Soweit Piloten auf ihren Honorarrechnungen bisher Umsatzsteuer ausgewiesen haben, und ihre Auftraggeber diese als Vorsteuer gezogen haben, wird nun regelmäßig eine falsche Umsatzsteuererklärung des Auftraggebers vorliegen. Denn bei den Piloten dürfte die gesetzliche Unternehmereigenschaft fehlen, sodass sie nicht zum Ausweis der Umsatzsteuer berechtigt sind. Hier bestehen dann Berichtigungspflichten. Werden diese nicht erfüllt, kann dies eine strafbare Steuerhinterziehung darstellen.
Stichwort strafrechtliche Verantwortlichkeit. Was droht hier?
Beth: Der Einsatz von Scheinselbstständigen erfüllt regelmäßig den objektiven Tatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und kann mit Freiheitstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden. Adressat der Sanktion ist die Geschäftsleitung des einsetzenden Unternehmens. Darüber hinaus sind auch Bußgelder gegen das Unternehmen selbst möglich. Aber: Wer sich über seine Arbeitgeberstellung getäuscht hat, befand sich im sog. Tatbestandsirrtum und wird deshalb mangels Vorsatzes nicht bestraft. Das wird mit Blick auf Altfälle vor der Entscheidung des Bundessozialgerichts vor einem Jahr regelmäßig der Fall sein. Anders aber, wer heute noch immer Freelancer im Cockpit einsetzt. Hier besteht das Risiko staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen und sich anschließender Sanktionen.
Gilt die Entscheidung zu Piloten auch für das Kabinenpersonal?
Heile: Nicht unmittelbar. Aber auch hier gilt, dass Luftfahrtunternehmen überprüfen sollten, wie Flugeinsätze geplant und einzelne Aufträge vergeben werden. Schließlich lässt sich einiges aus der Pilotenentscheidung übertragen, beispielsweise die Vorgaben von Start, Ziel und Flugrouten, aber auch der Einsatz fremder Betriebsmittel. Wer sich aber auf die Suche nach Gestaltungsmöglichkeiten.
Moritz G. Heile ist freier Kolumnist von aeroTELEGRAPH. Er ist Rechtsanwalt und Gründer der Kanzlei GOODVICE in Berlin. Er berät und vertritt schwerpunktmäßig Unternehmen der Luftfahrtbranche und unterrichtet als Lehrbeauftragter für Luftverkehrsrecht an der Universität zu Köln.
Raoul Beth ist Fachanwalt für Strafrecht in Berlin. Sein Schwerpunkt liegt in der Beratung und Vertretung von Unternehmen und Individualpersonen in den Bereichen des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts sowie der Ordnungswidrigkeiten.
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