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Interview mit Klimaforscher Reto Knutti

«Wir müssen mittelfristig den Ausstoß auf null bringen»

Klimaforscher Reto Knutti spricht im Interview über den Einfluss des Luftverkehrs auf das Klima, den Sinn von Biokerosin und Kompensation, sparsamere Flieger und wirksame Gegenmaßnahmen.

Eine Zeitung betitelte ihn kürzlich als «zuverlässigen Faktenlieferant». Und das will Reto Knutti genau sein. Der 46-jährige Klimaforscher möchte die Öffentlichkeit aufklären und sie auch wachrütteln. Seine Stimme wird gehört – auch international. Der Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich war Leitautor für den letzten und vorletzten Klimazustandsbericht des Weltklimarates IPCC. aeroTELEGRAPH hat sich mit Knutti über die Thematik Luftfahrt und Klimawandel unterhalten.

Es gibt immer noch Menschen, die nicht an den Klimawandel glauben. Sie führen dann gerne eine Kälteperiode wie die aktuelle im Wonnemonat Mai als Argument an. Was antworten Sie ihnen?
Ich antworte ihnen zum Teil gar nicht mehr. Denn diese Menschen haben kein Gehör für wissenschaftliche Fakten. Wetterkapriolen hat es immer gegeben und wird es immer geben. Es geht vielen Klimazweiflern oder -leugnern im Grunde nicht um Fakten, sondern dass die Klimadebatte grundlegende Werte infrage stellt, die sie hochhalten, etwa Gewinnmaximierung oder grenzenlose Freiheit. Aber um etwas zu verändern, müssen wir auch das tun.

Was ist denn genau inzwischen erhärtet in Sachen Ausmaß des Klimawandels?
Klimaveränderungen geschehen über lange Zeit. Inzwischen haben wir meteorologische Daten aus mehr als hundert Jahren. Daraus sehen wir, dass es weltweit rund ein Grad wärmer wurde. Bereits das hat deutliche Folgen: Die Gletscher schmelzen, die Wassertemperaturen steigen, Regenfälle und Extremereignisse verändern sich. Und die wissenschaftlichen Forschungen ergeben, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent der Mensch der dominante Schuldige für die Erwärmung ist.

Die Welt wäre nicht mehr die gleiche.

Und was würde es bedeuten, wenn wir mit dem Status Quo fortfahren?
Die wissenschaftlichen Klimamodelle ergeben für einen solchen Fall eine Erhöhung der durchschnittlichen Temperatur auf der Erde um weitere vier bis fünf Grad bis Ende des Jahrhunderts. Bereits die Erwärmung um ein Grad in den vergangenen hundert Jahren hatte spürbare Folgen. Man kann sich nur ausmalen, was ein vier bis fünf Mal so starker Effekt auf die Natur auslösen würde. Die Welt wäre nicht mehr die gleiche. Der Klimawandel bewirkt auch gravierende politische, soziale und wirtschaftliche Veränderungen. Um sie zu verhindern, müssen wir jetzt handeln.

Auch der Luftverkehr stößt Treibhausgase aus und ist damit Teil des Problems. Aber wie groß ist sein Beitrag wirklich? Die Internationale Energieagentur spricht von einem Anteil von 2,0 bis 2,5 Prozent an den weltweiten von Menschen verursachten CO2-Emissionen. Der WWF nennt einen deutlich höheren Anteil. Wer hat jetzt Recht?
Beide. Die 2,0 bis 2,5 Prozent CO2 sind korrekt. Hinzu kommen aber weitere Klimaeffekte des Luftverkehrs, Flugzeuge stoßen ja nicht nur CO2 aus, sondern weitere Schadstoffe und Partikel. Sie verstärken den negativen Klimaeffekt. Man rechnet deshalb bei Flügen mit mindestens einem Faktor zwei. In der Schweiz zum Beispiel liegt der Beitrag der Luftfahrt etwa schon bei rund 20 Prozent, und wächst rasant.

Die Branche rühmt sich, viel getan zu haben in den letzten Jahren. So sank der Kerosinverbrauch pro Passagier und Kilometer seit 1990 um 43 Prozent. Sehen Sie das auch als Erfolg an?
Absolut. Das ist eine sehr gute Entwicklung. Sie bringt dem Klima etwas und hilft den Fluggesellschaften nebenher auch noch Geld zu sparen. Das Problem ist nur, dass dieser Erfolg durch das Wachstum des globalen Flugverkehrs zunichte gemacht wird. Immer mehr Menschen fliegen immer mehr. Kein anderer Bereich wächst in puncto CO2-Emissionen so stark.

Als weitere Maßnahme planen die Fluggesellschaften der Welt ab 2020 klimaneutral zu wachsen – mit dem Emissionshandelssystem Corsia. Ist das ein taugliches Werkzeug?
Die Kompensation ist eine mögliche Maßnahme. Wenn wir so die CO2-Emissionen an einem anderen Ort nachweislich reduzieren können, hilft das, den Klimaeffekt zu verringern. Aber es reicht nicht aus. Wir müssen mittelfristig den gesamten Ausstoß auf null bringen, nicht nur den Zuwachs.

Wir müssen den Ausstoß von Klimagasen auf null bringen.

Bis 2050 wollen die Airlines die Emissionen gegenüber dem Stand von 2005 halbieren – dank neuer Technologien, neuer betrieblichen Maßnahmen wie neuer Flugrouten und neuer Treibstoffe. Das reicht also nicht aus?
Nein. Wenn wir den Klimawandel mit seinen Folgen wirklich stoppen wollen, müssen wir den Ausstoß von Klimagasen auf null bringen. Reduktion alleine genügt nicht. Das Ziel ist: Keine Emissionen von Treibhausgasen mehr. Aber das gilt natürlich nicht nur für den Luftverkehr, sondern für alle Bereiche. Industrie, Straßenverkehr, Privathaushalte, Landwirtschaft – alle müssen sie sich ändern.

Easyjet setzt auf Elektroantriebe bei kurzen Flügen. Eine Lösung?
Natürlich ist das ein guter Ansatz. Ich bin aber selbst sehr skeptisch, ob es wirklich innerhalb nützlicher Frist gelingen wird, batteriebetriebene Flugzeuge zu entwickeln, die viele Menschen über große Distanzen günstig transportieren können.

Was wären denn tauglichere Lösungen?
Es gibt durchaus vielversprechende Ansätze. Einer davon ist die so genannte CO2-Sequestrierung oder -Abscheidung. Dabei bindet man das Gas aus der Luft und pumpt es zurück in den Boden. Es gibt bereits Anlagen, die das können. Noch ist der Vorgang aber sehr teuer. Eine Tonne CO2 aus der Luft zu holen kostet heute noch rund 530 Euro. Das heißt, ein Economy-Ticket Frankfurt – New York würde rund 1200 Euro teurer. Doch es ist hier wie mit vielen neuen Technologien: Die Preise sinken mit der Zeit, wenn sie reifer werden und Skaleneffekte zu greifen beginnen.

Fliegen wird als zwangsweise teurer?
Alle Maßnahmen kosten Geld. Diese Zusatzkosten werden die Flugtickets verteuern. Bisher trägt der Flugverkehr nicht alle Kosten, die Schäden an Klima und Umwelt zahlt die Gesellschaft. Das muss sich ändern. Nur so gibt es auch eine Lenkungswirkung auf den Konsum. Und man darf nicht vergessen: nichts tun kostet mehr, und unsere Kinder werden dafür zahlen müssen.

Und die andere vielversprechende Möglichkeit zur CO2-Reduktion?
Die Nutzung synthetischer Treibstoffe, entweder aus Biomasse oder solche, die mit Sonnenlicht Wasserstoff herstellen, wäre CO2-frei. Auch hier sind die Kosten noch zu hoch, die verfügbaren Mengen minimal. Das kann sich aber ändern.

Man kann etwas tun, indem man Nonstopflüge wählt und mit Fluggesellschaften reist, die eine moderne Flotte haben.

Fluggesellschaften setzen bisher vor allem auf so genanntes Biokerosin. Ist das auch eine gute Sache?
Ja. Sofern die Treibstoffe nicht aus landwirtschaftlichen Produkten hergestellt werden und so mit der Ernährung der Menschen konkurrieren, ist das eine Lösung. Altöl. Sägemehl, Algen oder Ähnliches – Biokerosin, das so hergestellt wird, ist klimaneutral. Aber dass das je in großen Mengen verfügbar sein wird, ist unwahrscheinlich.

Bisher schauten wir auf die Makroebene, gehen wir auf die Mikroebene. Was kann ich als Passagier tun, um sich möglichst wenig klimaschädlich zu verhalten?
Man kann schon etwas tun, indem man Nonstopflüge wählt und mit Fluggesellschaften reist, die eine moderne Flotte haben. Doch das reicht nicht. Vielleicht kann man mal den Zug nehmen oder einen Strandurlaub buchen, der weniger weit weg liegt. Das würde viel bringen. Und noch wichtiger wäre es, sich zu fragen, ob es wirklich jeden Flug braucht. Mit einem Flug nach Australien stoße ich als Passagier 6,9 Tonnen COaus und damit genau so viel wie ein durchschnittlicher Österreicher im ganzen Jahr, der auf 8,9 Tonnen an CO2-Emissionen kommt.  Es ist sicher auch gut, wenn man die Emissionen seiner Flüge kompensiert.

Kompensationsmodelle werden von vielen kritisch angesehen – sie gelten mitunter als Ablasshandel. Wie sehen Sie das?
Natürlich gibt es diesen Effekt, dass man das Gefühl hat, dann ohne schlechtes Gewissen fliegen zu können. Aber es ist dennoch besser als nichts zu tun. Man muss jedoch darauf achten, dass die Kompensation auch wirksam ist. Wenn die mit dem Geld unterstützen Projekte so oder so getätigt worden wären, dann bringt das natürlich nichts. Es muss ein zusätzlicher Effekt sein. Zudem ist es aktuell noch billig, solche Projekte in Entwicklungsländern zu unterstützen. Doch irgendwann ist alles Einfache getan und die Kosten steigen. Langfristig ist die Kompensation also nicht ausreichend, und wir müssen zeigen, dass wir selber auch einen Schritt machen.

Die Fleisch- und Milchwirtschaft ist ein großer Verursacher von Treibhausgasen… bringt es etwas, weniger Fleisch zu essen und Milchprodukte zu konsumieren – quasi als Kompensation fürs Fliegen?
Wie gesagt: Alle Verursacher sind gefordert. Es braucht überall ein Umdenken. Nur mit null Emissionen können wir den Klimawandel stoppen. Ein bisschen weniger Salami essen und Joghurt löffeln bringt etwas, es reicht aber alleine auch nicht aus.

Wie oft fliegen Sie eigentlich selbst?
Auch ich komme nicht darum hin, ab und zu beruflich fliegen. Wenn man sich in der Wissenschaft international vernetzen will, hilft es, sich auch einmal treffen zu können. Das gilt ja auch für viele Geschäftsreisen. Letztes Jahr flog ich zwei Mal, dieses Jahr bisher ein Mal. Unsere Hochschule versucht, Flüge zu vermeiden und wenn Flüge zwingend sind, kompensieren wir die meisten.