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20 Jahre 261/2004

Fünf Dinge, die Sie zu Ihren Fluggastrechten wissen müssen

2004 beschloss die EU die Fluggastrechte-Verordnung, die regelt, wie Airlines Fluggäste entschädigen müssen. Einfach zu verstehen ist sie für Reisende nicht. Fünf wichtige Punkte.

Im Februar 2004 wurde sie beschlossen, ein Jahr später trat sie in Kraft: die EU-Verordnung 261/2004 «über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste», meist nur Fluggastrechte-Verordnung genannt. Bei Nichtbeförderung, Annullierung oder großer Verspätung von Flügen können sich Reisende auf die Verordnung berufen, um von Fluggesellschaften unter anderem Entschädigungen zu verlangen.

Wer das selber tun möchte, muss sich durch mehr als 4200 Wörter EU-Verordnungssprache kämpfen – und weiß auch dann noch lange nicht alles. Wir haben zum 20-jährigen Jubiläum fünf wichtige Punkte aufgeführt, die man zur Fluggastrechte-Verordnung wissen sollte:

1. Was für Fluggesellschaften gilt, die nicht aus der EU kommen

Startet der Flug in einem EU-Mitgliedsstaat, gilt die Fluggastrechte-Verordnung, und zwar unabhängig davon, wo der Flug hingeht und welches die durchführende Fluggesellschaft ist. Ebenfalls gültig ist die Verordnung bei Flügen, die außerhalb der EU starten und in der EU landen – aber nur, wenn die Fluglinie ihren Sitz in einem EU-Land, in der Schweiz, in Island oder Norwegen hat. Bei Airlines, die ihren Sitz in einem anderen Land haben, gilt dagegen: «Beim Flug mit einer Drittairline in einen EU-Mitgliedsstaat gilt die Verordnung nicht», erklärt Rechtsanwalt, Luftfahrtrechtsexperte und aeroTELEGRAPH-Kolumnist Moritz Heile.

«Startet beispielsweise in New York an Gate A ein Lufthansa-Flug und an Gate B ein Delta-Flug, beide nach Frankfurt und beide dreieinhalb Stunden verspätet, können sich die Passagiere von Lufthansa auf die Verordnung berufen, die von Delta nicht», so Heile.

2. Entschädigung bei Verspätung gibt es, findet sich aber nicht in der Verordnung

Der häufigste Grund, aus dem Fluggäste Kompensationen von Airlines fordern, sind Verspätungen. Wer aber in der Verordnung nach Kompensationszahlungen bei Verspätungen sucht, wird nicht fündig. Solche Entschädigungen sind dort nur für Annullierungen und Nichtbeförderung vorgesehen. Dennoch gibt es seit 2009 auch finanzielle Entschädigungen bei Verspätungen. «Damals entschied der Europäische Gerichtshof, dass eine Verspätung von mehr als drei Stunden sich auf betroffene Passagiere auswirkt wie eine Annullierung», erklärt Heile. «Das ist eine immense Erweiterung.»

3. Die Verordnung soll reformiert werden – aber wie?

Die Verordnung ist 20 Jahre alt. Und Entschädigungen bei Verspätungen sind nur einer von vielen Punkten, die nachträglich geregelt werden mussten. «Der Europäische Gerichtshof hat sich in mehr als 200 Fällen mit der Verordnung beschäftigt, weil instanzliche Gerichte sie nicht verstanden hatten», so Heile. «Das ist immens viel.» Ein Beispiel: Wer ist Ansprechpartner bei Wet-Lease-Flügen, und wer bei Codesharing? «Das mussten erst der Bundesgerichtshof und der Europäische Gerichtshof klären», sagt der Anwalt.

Daher gibt es seit mehr als zehn Jahren Bemühungen um eine Überarbeitung. Einer der vielen Aspekte dabei: Es soll Entschädigungen nicht mehr als Pauschalbeträge geben. Denn diese machen es möglich, dass Fluggäste ein Ticket für 49 Euro kaufen, aber mit 250 Euro entschädigt werden. Die Alternative, die im Sinne der Airlines wäre, sind prozentuale Kompensationen, die sich nach der Höhe des Ticketpreises richten. Dagegen fordern Rechtsdienstleister, die ihr Geld mit den Entschädigungen verdienen, eine Fortführung und sogar Erhöhung der Pauschalen. Ob und wann eine Reform gelingt? Ungewiss.

4. Die verschiedenen Wege, Ansprüche durchzusetzen

Jeder Fluggast kann sich selber an seine Airline wenden und aufgrund der Verordnung das einfordern, was ihm oder ihr zusteht. Auch ist es möglich, einen Anwalt oder eine Anwältin damit zu beauftragen. Zudem haben die EU-Mitgliedstaaten offizielle Durchsetzungsstellen eingerichtet, an die man sich wenden kann. In Deutschland ist das Luftfahrt-Bundesamt die offizielle Durchsetzungs- und Beschwerdestelle für die Rechte der Fluggäste.

Zudem gibt es Unternehmen wie Flightright und Co., die mal als Rechtsdienstleister, mal als Verbraucherportale, mal als Claim Compensation Agencies bezeichnet werden. Unter ihnen gibt es zwei Typen: Diejenigen, die Ansprüche im Auftrag der Fluggäste geltend machen und bei erfolgreicher Durchsetzung einen Anteil erhalten. Und solche, welche die Forderungen der Fluggäste gegen die Airlines aufkaufen und dann selber geltend machen.

5. Was in der Schweiz unterschiedlich ist

Die Schweiz ist kein EU-Mitglied, doch aufgrund eines Luftverkehrsabkommens mit der EU gilt die Verordnung auch für sie. «Allerdings ist hier noch nicht höchstgerichtlich entscheiden, ob aus Schweizer Sicht die Verordnung nur für Flüge zwischen der Schweiz und EU-Mitgliedsstaaten gilt, oder auch für Flüge zwischen der Schweiz und Drittstaaten», sagt Michael Hochstrasser, Schweizer Rechtsanwalt und Titularprofessor an der Uni Zürich. «Aus Sicht der EU müsste es auch für Drittstaaten gelten, aus Sicht der Schweiz haben wir das bilaterale Luftverkehrsabkommen geschlossen, um unserer Beziehungen zur EU harmonisieren, und es stellt sich die Frage, ob auch Flüge in Drittstaaten darunterfallen.»

Der Grund, warum dies bis heute nicht klar entschieden ist, ist einfach: «Es gibt sehr wenige Entscheidungen von Schweizer Gerichten zu 261. Denn die Kosten fürs Prozessieren sind fast immer höher als die Entschädigungen», erklärt Hochstrasser. «Außerdem ist bei uns die Vergleichsquote viel höher. Man findet sich vorgelagert beim Friedensrichter und die Sache eskaliert gar nicht bis zum Gericht.» So gebe es bisher zwar einzelne Urteile erstinstanzlicher Gerichte, diese würden aber keine klare Linie zeigen.

Ebenfalls eine Besonderheit: Die vielen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes zur Fluggastrechte-Verordnung sind nur bindend für die EU-Mitgliedsstaaten, aber nicht für die Schweiz. «Daher gilt etwa in Deutschland ein technischer Defekt am Flugzeug, der zu einem Flugausfall führt, nicht als außergewöhnlicher Umstand, der die Airline von der Pflicht zu Ausgleichszahlungen befreit», so Moritz Heile. «In der Schweiz ist das anders.»