Zulassung
Evakuierung in 90 Sekunden – warum eigentlich?
Um zugelassen zu werden, müssen neue Flugzeugmodelle innerhalb von 90 Sekunden evakuiert werden können. Woher kommt diese Zahl?
Mann auf Notrutsche: Im realen Fall läuft einiges anders als im Test.
Mann auf Notrutsche: Im realen Fall läuft einiges anders als im Test.
Die Evakuierung des Airbus A350 von Japan Airlines in Tokio-Haneda war knifflig. Es war Rauch in der Kabine, draußen brannte es, der Jet lag mit der Nase vornüber und die Anlage für die Bordansagen funktionierte nicht mehr. Und so dauerte es mehrere Minuten, bis alle das Flugzeug verlassen hatten. Doch die Besatzung schaffte es meisterlich, alle 367 Passagiere und zwölf Besatzungsmitglieder in Sicherheit zu bringen.
Damit ein neues Flugzeugmodell überhaupt zugelassen wird, muss der Hersteller aber beweisen, dass es viel schneller gehen kann. Er muss zeigen, dass es in 90 Sekunden geht. Und das, wenn nur die Hälfte der Notausstiege verfügbar sind. Diese erschwerte Bedingung machte man, weil es möglich ist, dass nach einem Unfall die Türen nicht mehr funktionieren oder weil Feuer oder Trümmer draußen sie nicht mehr benutzbar machen.
Tests mit Douglas DC-7 und Lockheed Starliner
Die 90 Sekunden sind keine Zufallszahl. Sie wurden in den Sechzigerjahren von der amerikanischen Luftfahrtbehörde festgelegt. Zuvor unternahm sie ausführliche Tests. 1964 simulierte sie einen Crash mit einer Douglas DC-7, um zu sehen, wann und wo es zu Todesfällen kam. Diesem Test folgte ein zweiter mit einer Lockheed L-1649 Starliner. Das Resultat war klar: Je schneller die Reisenden aus dem Flieger sind, desto höher die Überlebenswahrscheinlichkeit.
Bei den Tests zeigte sich, dass man in der Kabine rund zwei Minuten überleben konnte. Dann kam es zu einem sogenannten Feuersprung (Englisch Flashover), bei dem ein Brand schlagartig in einen Vollbrand übergeht. Die Federal Aviation Administration FAA führte deshalb 1965 eine Zeit von 120 Sekunden ein, in der das Flugzeug geräumt sein muss. Zugleich wurde damals auch obligatorisch gemacht, die Passagiere mit den Sicherheitsvorkehrungen vertraut zu machen und Seile als Aussteighilfen bei Notausgängen anzubringen.
Todesfälle sind massiv zurückgegangen
Schon zwei Jahre später verschärfte die FAA ihre Regeln. Die amerikanische Luftfahrtbehörde senkte die Evakuierungs-Zeit von 120 auf 90 Sekunden. Zudem verlangte sie neu eine verbesserte Innenbeleuchtung, in maximal zehn Sekunden oder weniger aufblasbare Notrutschen, eine verbesserte Verteilung der Ausgänge, selbstlöschende Materialien und einen besseren Schutz von Treibstoff- und Stromleitungen.
Die Branche machte seither viele weitere Fortschritte – auf technischer und betrieblicher Seite. Und so ist die Zahl der Todesfälle laufend zurückgegangen. Das Risiko zu fliegen sank seit Anfang der Siebzigerjahre dramatisch – um über 95 Prozent. Gemäß der Internationalen Luftverkehrs-Vereinigung Iata muss eine Person im Durchschnitt 25.214 Jahre lang jeden Tag einen Flug nehmen, um dabei umzukommen.
Es kann auch länger dauern im realen Fall
Die 90-Sekunden-Regel für die Zulassung von neuen Flugzeugmodellen bedeutet nicht, dass es auch im realen Fall so sein muss, wie sich im Fall des A350 von Japan Airlines gezeigt hat. Kommt die Evakuierung völlig unerwartet und sind die Umstände außergewöhnlich, wird die Zeit in der Regel überschritten. Doch der Faktor Zeit bleibt auch dabei wichtig.