Letzte Aktualisierung: um 19:09 Uhr

David Calhoun

Boeing-Chef schießt gegen Vorgänger – und bereut es direkt

Rund zwei Monate ist David Calhoun Chef von Boeing. Wie groß die Herausforderung ist, zeigen auch aktuelle Aussagen über seinen Vorgänger Dennis Muilenburg.

Es gibt besinnlichere Möglichkeiten, Weihnachten zu feiern, als Chef eines angeschlagenen Weltkonzerns zu werden. David Calhoun entschied sich trotzdem dafür. Am 23. Dezember 2019 teilte Boeing mit, dass Aufsichtsratspräsident Calhoun den bisherigen Konzernchef Dennis Muilenburg beerben wird. Am 13. Januar 2020 trat der 62-Jährige sein Amt an.

Calhoun soll nun schaffen, was Muilenburg nicht schnell genug gelungen war: Eine neue Zertifizierung für die Boeing 737 Max bekommen, verärgerte Airline-Kunden besänftigen, das Vertrauen in Boeing und seine Flugzeuge wieder herstellen, dem Konzern eine neue Sicherheitskultur einimpfen und ihn finanziell vor zu großem Schaden bewahren.

Muilenburg und der Regenbogen

Rund zwei Monate nach seinem Amtsantritt zieht Calhoun nun in einem Gespräch mit der Zeitung New York Times eine erste öffentliche Zwischenbilanz und äußert sich zu seinem Vorgänger. Mit Blick auf die Probleme, mit denen er sich konfrontiert sieht, sagt Calhoun: «Es ist ehrlich gesagt mehr, als ich erwartet hatte.» Es gehe dabei auch Führungsschwäche.

Mit seinem Vorgänger geht der neue Chef teils hart ins Gericht. So kritisiert Calhoun, dass Dennis Muilenburg in der Zeit vor dem ersten 737-Max-Absturz im Oktober 2018 die Produktion zu schnell hochgefahren habe, obwohl die Lieferkette noch nicht bereit dafür gewesen sei. «Ich werde nie beurteilen können, was Dennis da motiviert hat», so Calhoun, womöglich der steigende Aktienkurs. Später im Gespräch sagt er, wenn jemand für den Topf voll Gold über den Regenbogen gelaufen wäre, dann wäre das Muilenburg gewesen.

Calhoun im Aufsichtsrat

Wichtig ist, an dieser Stelle anzumerken, dass Calhoun schon seit 2009 im Aufsichtsrat von Boeing saß. Als er im März 2018 in die gehobene Position des sogenannten Lead Director berufen wurde, lobte sogar ausgerechnet Muilenburg, Calhoun sei genau der richtige Mann, um mit ihm «in eine aufregende Zukunft von Innovation und Wachstum» zu gehen.

Warum aber hat der Aufsichtsrat Muilenburgs Strategie nie wirklich hinterfragt? Calhoun erklärt gegenüber der New York Times, man habe angenommen, dass der Konzernchef fähig sei, die Risiken gut einzuschätzen. Muilenburg ist selbst Ingenieur und hatte sich seit den 1980er-Jahren nach und nach an die Boeing-Spitze hochgearbeitet.

Die Rolle der Piloten

Mit Blick auf die 737-Max-Abstürze in Indonesien und Äthiopien übernimmt Calhoun in dem Gespräch laut der Zeitung einerseits Verantwortung, zeigt aber auch mit dem Finger auf andere. So nennt er es einen «fatalen Fehler» von Boeing, anzunehmen, Piloten würden sofort richtig auf Fehler der Flugsteuerungssoftware reagieren. Jedoch sagt er auch, in den Ländern der Abstürze hätten Piloten nicht ansatzweise so viel Erfahrung wie in den USA.

Auf die Frage, ob amerikanische Piloten besser mit einer Fehlfunktion zurechtkommen würden, will der Boeing-Chef nur antworten, wenn er nicht zitiert wird. Die Reporter lehnen ab. Calhoun sagt daraufhin: «Vergessen Sie es.» Und: «Sie können die Antwort erraten.»

Ingenieure abschirmen

Über die Zusammenarbeit mit der US-Luftfahrtbehörde FAA sagt der Boeing-Chef, es sei nicht so schwierig gewesen, die eigene Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Die Behörde habe sich lediglich nicht mehr einengen lassen wollen. «Sie hatten die Nase voll davon.»

Mit Blick auf die eigenen Ingenieure sagt Calhoun, sein Ziel sei es, die technischen Experten möglichst vom Druck des Geschäftlichen abzuschirmen. Insgesamt werde es Jahre brauchen, Boeing wieder aus dem Loch zu herausbringen, das man sich geschaufelt habe.

Schwierige Lage für Calhoun

Wie schwierig es ist, öffentlich Kritik am eigenen Konzern zu äußern und dabei trotzdem nicht zu sehr gegen das eigene Team zu schießen, merkte Calhoun zwei Tage später. Laut der Zeitung Wall Street Journal schrieb er an führende Boeing-Manager, er bedauere den New-York-Times-Artikel. Dieser lege nahe, dass er sein Versprechen gebrochen habe, Muilenburg, dem Führungsstab und den eigenen Leuten Rückendeckung zu geben, wenn es am meisten zähle. «Ich möchte Ihnen versichern, dass mein Versprechen intakt bleibt.»