Gewerkschaften fürchten einen Zusammenbruch der Flugsicherung in Bosnien und Herzegowina. Sie warnen vor Folgen für ganz Europa - und fordern mehr Immunität für Eurocontrol.
Flugsicherung ist in Europa national, aber auch international organisiert. So ist in Deutschland etwa die Deutsche Flugsicherung DFS zuständig. Die zentrale Koordination der Luftverkehrskontrolle in Europa übernimmt derweil Eurocontrol, die Europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt mit Sitz in Brüssel.
Und auch die Gewerkschaften der Fluglotsinnen und -lotsen haben einen europäischen Dachverband: die Air Traffic Controllers European Unions Coordination, kurz ATCEUC. Und dieser Dachverband zeigt sich nun in einem offenen Brief besorgt um die «Stabilität der Flugsicherungsdienste in ganz Europa».
Der Grund liegt in Bosnien und Herzegowina. Das Land hatte in der Vergangenheit einen Streit samt Schiedsverfahren gegen das slowenische Energieunternehmen Viaduct verloren - und muss ihm jetzt rund 39 Millionen Euro zahlen. Zwar hat all das eigentlich nichts mit Luftfahrt und Flugsicherung zu tun. Doch um an das Geld zu kommen, will Viaduct jetzt Zahlungen pfänden lassen, die Eurocontrol sonst an die bosnisch-herzegowinische Flugsicherung BHANSA überweist. Die bestätigt in einer Mitteilung, dass Eurocontrol die Zahlungen an sie eingefroren hat.
Auch Eurocontrol bestätigt auf Anfrage von aeroTELEGRAPH: «Aufgrund eines von einem belgischen Gericht erlassenen Drittpfändungsbeschlusses zur Vollstreckung eines Schiedsspruchs gegen den Staat Bosnien und Herzegowina ist Eurocontrol derzeit verpflichtet, die im Namen Bosnien und Herzegowinas erhobenen Streckengebühren einzufrieren.» Der Staat und die betroffene Flugsicherung würden an einer Lösung arbeiten.
Das Einfrieren der Gelder habe «eine unmittelbare Finanzkrise für BHANSA ausgelöst», so ATCEUC. Die Flugsicherung verliere alle Zahlungen für die Streckengebühren ihrer Flugsicherungsdienste. «Da diese Zahlungen 90 Prozent der Finanzierung der BHANSA ausmachen, steht die Agentur nun am Rande des operativen Zusammenbruchs.»
Es drohe ein vollständiger Ausfall der Flugsicherung im bosnischen Luftraum, die Schließung der Flughäfen Sarajevo, Banja Luka, Mostar und Tuzla, die Unterbrechung militärischer, humanitärer und medizinischer Flüge sowie Massenentlassungen von Fachkräften, so die ATCEUC. Zudem gelte: «Der Luftraum Bosnien und Herzegowinas ist ein wichtiger Knotenpunkt in Südosteuropa und bewältigt ein erhebliches Volumen europäischer Überflüge.» Umleitungen würden zu einer die Überlastung in den Nachbarstaaten führen und somit das ganze europäische Netzwerk beeinträchtigen, argumentiert der Dachverband.
Eurocontrol erklärt dagegen, ihr würden «zum jetzigen Zeitpunkt keine Informationen über etwaige Auswirkungen auf den Betrieb im Luftraum von Bosnien und Herzegowina» vorliegen.
ATCEUC warnt, Bosnien und Herzegowinas könnte kein Einzelfall bleiben, und fordert die belgischen Behörden auf, die Immunität von Eurocontrol zu stärken. Insbesondere die Immunität vor Pfändungsbeschlüssen Dritter für Flugsicherungsgebühren, die vom Central Route Charges Office von Eurocontrol eingezogen und an die Mitgliedstaaten ausgezahlt werden. «Das Fehlen eines solchen Rechtsschutzes gefährdet das Finanzsystem von Eurocontrol, was möglicherweise schwerwiegende Folgen für den europäischen Luftfahrtsektor hat.» Eine Stellungnahme von Eurocontrol lag bis zum Erscheinen dieses Artikels noch nicht vor.