Kollision von zwei Jets

Wie ein Augenzeuge die Nacht der Katastrophe von Überlingen erlebte

Vor 20 Jahren stießen eine Boeing 757 und eine Tupolev Tu-154 bei Überlingen zusammen. Eine Verkettung kleiner Fehler führte zum drittschlimmsten Flugzeugunglück in Deutschland. Ein Augenzeuge von damals berichtet.

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Tobias Keller hatte bis um 23 Uhr im Studio gearbeitet und befand sich gerade im Auto auf dem Heimweg. Da bekam er einen Anruf. «In Überlingen ist ein Flugzeug abgestürzt», sagte der Kollege in der Leitung.«Kannst du da nicht schnell hinfahren?» Da er in der Nähe wohnte, drehte Keller ab und fuhr in der dunklen Nacht zum 2. Juli 2002 Richtung Bodensee.

«Als ich auf der Bundesstraße 33 von Singen Richtung Osten fuhr, sah ich bald den von Blaulicht und Scheinwerfern erhellten Horizont», so Keller, der damals in Zürich als Radioreporter und -moderator arbeitete. Irgendwann bog er in einen Feldweg ein und ließ sein Auto stehen. Er lief zu Fuß weiter. «Plötzlich ragte eine Flügelspitze senkrecht aus einem Feld», erinnert sich Keller.

«Mein Körper zitterte. Ich hatte Tränen in den Augen»

Die Senke um das Trümmerteil herum sei zu einem mit Kerosin gefüllten See geworden. «Man konnte kaum atmen. An diesen Geruch erinnere ich mich noch heute», so Keller. Die Teile seien sehr weit herum verstreut gewesen. «Damals war es erst eine Vermutung, dass es sich um ein russisches Flugzeug gehandelt haben könnte.» Er sei durch die Gegend gelaufen und plötzlich habe er ein Trümmerteil mit kyrillischen Schriftzeichen entdeckt. «Auch ein Rumpfteil mit zwei Notausstiegen sah ich am Boden liegen.»

Glücklicherweise habe er keine Leichen gesehen, sagt Keller. «Das Ganze ging mir auch schon so sehr nah. Mein Körper zitterte. Ich hatte Tränen in den Augen. Aber ich musste trotzdem funktionieren, professionell klingen und beschreiben, was ich sah und roch – das war mein Job», erinnert sich der Radiomann, der damals als einer der ersten an der Unglücksstelle war.

Trophäenjäger kamen aus dem Gebüsch hervor

Keller erlebte schreckliche Dinge in jener Nacht. «Irgendwann hörte ich plötzlich Stimmen aus einem Gebüsch», so Keller. Wenige Sekunden später seien zwei Männer herausgetreten, die Trümmerteile in den Händen hielten. «Es waren irgendwelche Instrumente aus einem Cockpit. Sie haben sie gesammelt, als Trophäen. Unfassbar», so Keller, der heute für das schwedische Fernsehen SVT als Reporter arbeitet.

Trümmerteile der Tupolev Tu-154 bei Überlingen. Bild: BFU

Was Keller damals noch nicht wusste: Die Katastrophe von Überlingen mit 71 Toten würde als drittschlimmstes Flugzeugunglück in Deutschland in die Geschichtsbücher eingehen. Nur die Tragödie einer Ilyushin Il-62 von Interflug bei Königs Wusterhausen im Jahr 1972 (156 Todesopfer) und dem Absturz einer Tupolev Tu-134 von Aeroflot in Berlin Schönefeld im Jahr 1986 (72 Todesopfer) waren folgenschwerer.

Die Gefahr erst nicht erkannt

Was den Zusammenstoß einer Tupolev Tu-154 der russischen Bashkirian Airlines mit einer Boeing 757 von DHL bei Überlingen aber so außergewöhnlich machte, waren die unglückliche Verkettung von kleinen Fehlern, die sie auslöste. Der Frachter hatte in jener Nacht beim Lotsen der schweizerischen Flugsicherung Skyguide, die auch den süddeutschen Luftraum kontrollierte, um Erlaubnis gebeten, auf Flugfläche 360 (also rund 36.000 Fuß) steigen zu dürfen, um so Treibstoff sparen zu können. Die Maschine war in Bergamo gestartet und hatte Brüssel zum Ziel.

Zur gleichen Zeit war der Charterflug aus Moskau mit Ziel Barcelona und Schulkindern im Alter zwischen 8 und 16 Jahren an Bord ebenfalls auf Flugfläche 360 unterwegs. Dem Fluglotsen in Zürich, der gerade alleine arbeitete, weil sein Kollege eine Ruhepause machte, fiel das erst nicht auf. Er war abgelenkt, da er noch eine verspätete Landung in Friedrichshafen betreuen musste. Um 23:34:42 Uhr meldete das Kollisionswarnsystem TCAS in beiden Cockpits akustisch eine Unterschreitung des Sicherheitsabstandes.

Gegenteilige Anweisungen

Der Skyguide-Lotse erkannte im gleichen Moment die Gefahr ebenfalls und reagierte. Er wies die beiden Piloten der Tupolev Tu-154 an, umgehend auf Flugfläche 350 zu sinken. Das TCAS, das in solchen Fällen von sich aus eine Problemlösung errechnet, gab aber das Gegenteil vor: Die russische Maschine sollte steigen, der DHL-Frachter sinken. Weil die russischen Piloten dem Lotsen folgten, kam es zur Katastrophe.

So ereignete sich die Kollision. Bild: BFU

Am 1. Juli 2002 um 23:35:32 Uhr kollidierte die westwärts fliegende Tupolev Tu-154 in etwa 10.630 Meter Flughöhe mit der nordwärts fliegenden Boeing 757. Beim Zusammenstoß durchtrennte das Seitenleitwerk des DHL-Jets den Rumpf der russischen Maschine. Diese fiel noch in der Luft auseinander. Der Frachter war selbst unmanövrierbar geworden und stürzte ebenfalls ab.

Folgen für Skyguide und den Lotsen

Das Unglück sorgte für viel Kritik an Skyguide. So hatten an jenem Abend diverse Systeme nicht funktioniert. Sie musste in der Folge sicherstellen, dass bei Reparaturen an den Systemen immer entweder technische oder menschliche Reserven und Sicherungen vorhanden sind. Zudem mussten ab dann rund um die Uhr mindestens zwei Angestellte im Einsatz stehen und der richtige Umgang mit Notfallverfahren immer wieder trainiert werden.

Für den Lotsen,  der das Unglück mit verantwortete, war das aber zu spät. Ein Mann, der beim Absturz seine Frau und beiden Kinder verloren hatte, erstach ihn zwei Jahre nach der Katastrophe von Überlingen an seinem Wohnort.

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