Eine Juristin verlässt das deutsche Luftfahrt-Bundesamt und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Flugmedizin-Abteilung. Sie spricht von falschen Gutachten, ineffizienten Verfahren und Missachtung von Grundrechten. Das LBA hüllt sich in Schweigen.
Verbeamtung auf Lebenszeit - das ist für viele Menschen ein Traum. Ein Traum, den man nicht so einfach aufgibt. Nina Coppik hat genau das getan. Die Juristin war eineinhalb Jahre lang bei der deutschen Luftfahrtbehörde, dem Luftfahrt-Bundesamt oder kurz LBA angestellt. Sie arbeitete im Referat L6. Dort ist unter anderem die Flugmedizin angesiedelt.
Coppik betreute als Referentin Widerspruchs- und Klageverfahren von Pilotinnen und Piloten, die von den Amtsärzten gegroundet wurden. Jetzt hat sie sich entschieden, die Behörde zu verlassen. Und das mit deutlichen Worten. Die Juristin schrieb beim Portal Linkedin, sie könne ihre Tätigkeit im LBA-Referat L6 «aus Gewissensgründen» nicht länger fortführen.
Sie erhielt Zuspruch von vielen Pilotinnen und Piloten, die schlechte Erfahrungen mit genau dieser Abteilung gemacht haben. Aber was ist das konkrete Problem? Das erklärt Coppik im Gespräch mit aeroTELEGRAPH – und zeichnet ein Bild, das Fragen aufwirft.
Der Bereich L6 beim Luftfahrt-Bundesamt kommt dann ins Spiel, wenn die routinemäßige Untersuchung durch den Fliegerarzt, die jede Pilotin und jeder Pilot jährlich durchlaufen muss, das nötig macht. Das kann sein, wenn jemand Herzprobleme bekommt, eine chronische Krankheit diagnostiziert wird - oder auch den Sehtest nicht besteht.
Es folgt eine sogenannte Verweisung an das Luftfahrt-Bundesamt mit Sitz in Braunschweig. Dort kommen die medizinischen Sachverständigen, also Ärztinnen und Ärzte ins Spiel. Und dabei kommt es laut Coppik zu so vielen Problemen, dass sie sich nach eineinhalb Jahren entschied, ihren Job wieder aufzugeben.
So würden Ärzte Verwaltungsentscheidungen über Flugtauglichkeit oft ohne juristische Beteiligung treffen. Und das habe teilweise zur Folge, dass bestimmte Grundsätze nicht eingehalten würden. «Pilotinnen oder Piloten wurden wiederholt untauglich befunden, obwohl wichtige Befunde noch fehlten», sagt Coppik. Das widerspreche dem sogenannten Amtsermittlungsgrundsatz. Ärzte seien verpflichtet, die zusätzlichen Befunde einzufordern.
Das sei vielfach erst im Widerspruchsverfahren geschehen. Also, wenn die betroffenen Pilotinnen und Piloten offiziell Einspruch gegen den Entscheid eingereicht hätten. Effizient ist das nicht - und es kostet die Betroffenen Zeit, in der sie ihrem Beruf nicht nachgehen können. Als Coppik aufhörte, lagen allein bei ihr ein paar Dutzend offene Fälle auf dem Schreibtisch.
Auch ein Beispiel nennt die Juristin: Wer beim Standardtest für das rot-grün-Sehen scheitert, landet auch beim Luftfahrt-Bundesamt. Dort sollte man eigentlich weitere Untersuchungen anweisen. «Doch Sachverständige forderten diese häufig nicht an», sagt Coppik.
Ein weiteres Problem: die Qualifikation der medizinischen Sachverständigen. «Ein HNO-Arzt begutachtet kardiologische Fragen, ein Allgemeinmediziner beurteilt neurologische Erkrankungen», berichtet Coppik. «Das kann fatal sein», so die Juristin.
Das liegt auch daran, dass es nicht für jedes Fachgebiet auch die richtige Ärztin gibt. Aber es gebe die Möglichkeit externer Gutachter. Das würde aber nur selten genutzt. Coppik versteht das nicht. «Wenn ich einen Verkehrsunfall habe, gehe ich ja auch nicht zu einem Mietrechtsexperten.»
Auch bei den Verfahren selbst sieht Coppik Defizite. Gerichtsfristen würden ignoriert, Hinweise des Verwaltungsgerichts nicht konsequent beachtet. Das Verwaltungsgericht Braunschweig, zuständig für diese Fälle, sei ohnehin überlastet – eine Kammer mit drei Personen bearbeite sämtliche Klagen. «Eine Klageerhebung bedeutet also noch nicht, dass es jetzt schneller geht.»
Coppik berichtet, sie sei mit ihrer Haltung immer wieder angeeckt. «Es wurde mir vorgeworfen, ich wolle alle flugtauglich schreiben. Einmal hieß es: ‹Es gibt kein Recht auf Fliegen.›» Sie selbst widerspricht: «Es gibt das Grundrecht der Berufsfreiheit. Für Pilotinnen und Piloten sind ihre gesamten Existenzen bedroht – gerade, wenn sie jung sind und hohe Schulden von der Ausbildung haben.»
Coppik hat ihren Antrag auf Entlassung gegenüber der Abteilungs- und Referatsleitung angekündigt und begründet und von den beiden keine Rückmeldung erhalten, berichtet sie. «Der Präsident hat mir geantwortet, dass er die Vorfälle prüfen werde. Vorher hatte ich aber schon zigmal gegenüber der Referats- und Abteilungsleitung auf Missstände hingewiesen.»
Jetzt wechselt sie laut eigener Aussage die Seiten und wird das Fliegende Personal in Sachen Medizinrecht beraten. Für sie stand fest: «Die Tätigkeit beim LBA war weder mit meinem Fliegerherzen noch mit meiner Vorstellung von juristischer Berufsethik vereinbar.»
Das Luftfahrt-Bundesamt äußert sich mittlerweile auf seiner Homepage öffentlich zum Post von Coppik. Das geschehe «zum Schutz aller seiner Beschäftigten». «Die in dem Post gegen das LBA und insbesondere gegen das Referat L 6 erhobenen Unterstellungen weisen wir zurück.»
Bei den in dem LinkedIn-Post angedeuteten Vorgängen handele es sich um insgesamt sechs Fälle, die unter Wahrung des Datenschutzes im Wege der Rechts- und Fachaufsicht zur verwaltungsverfahrensrechtlichen Prüfung und auf entsprechende Anforderung dem Bundesministerium für Verkehr vorgelegt worden seien. «Die Prüfung dauert aktuell noch an.»
Zu den strukturellen Vorwürfen von Coppik nimmt das Luftfahrt-Bundesamt keine Stellung. Auch auf eine Anfrage von aeroTELEGRAPH reagierte die Behörde bis zum Erscheinen dieses Artikels nicht.
Coppik betont, sie habe die sechs Fälle beispielhaft für die Gesamtproblematik verwendet. Gäbe es lediglich diese sechs Fälle, sei das zwar auch schon schlimm, doch es seien weitaus mehr, so die Juristin. Die Anzahl von Reaktionen auf ihren Beitrag - weit über 100 - bestätige sie in ihrer Sichtweise.