Seit fünf Jahren steht Armenien auf der EU-Flugverbotsliste. Während sich ausländische Airlines im Markt etablieren, kämpft die heimische Branche mit Misswirtschaft, Kapitalknappheit und regulatorischen Defiziten.
Die EU Air Safety List wird seit dem Jahr 2006 zwei Mal jährlich von der Europäischen Union veröffentlicht und listet Fluggesellschaften, die nicht in den europäischen Luftraum einfliegen dürfen. In der letzten Ausgabe des als schwarze Liste bezeichneten Dokuments werden 129 Fluglinien genannt, darunter alle Fluggesellschaften aus Armenien.
Als Begründung heißt es, dass die Kontroll- und Zertifizierungsinstanzen in Armenien laut Europäischer Union nicht den internationalen Standards entsprechen. Diese Einschränkung stellt die armenische Luftfahrtindustrie vor große Herausforderungen. Die Nennung auf der Flugverbotsliste der EU erschwert es auch, eine nationale Airline zu gründen. Wiederholte Versuche sind in den letzten Jahren gescheitert.
In ganz Armenien wurden im vergangenen Jahr rund 5,4 Millionen Passagiere abgefertigt – ein Plus von 63 Prozent im Vergleich zu 2019 –, doch nur ein kleiner Teil davon wird von armenischen Fluggesellschaften befördert. Der Umstand, dass armenisch registrierte Fluggesellschaften nur in einem stark begrenzten Markt operieren können, schmälert nicht nur deren wirtschaftliche Erfolgschancen, sondern bietet gleichzeitig ausländischen Airlines die Möglichkeit, sich frei auf dem armenischen Markt zu etablieren.
Die moldawische Billigfluglinie Fly One nutzte die verfahrene Situation, um im März 2021 gemeinsam mit einem lokalen Investor die Fluggesellschaft Fly One Armenia zu gründen. Mit in Moldawien, Kambodscha und Armenien registrierten Airbus A319/320 bietet das Unternehmen inzwischen Flüge zu 23 Destinationen ab der Hauptstadt Jerewan an. Besonders gut etabliert hat sich offenbar der Umsteigeverkehr zwischen Russland und Westeuropa. Innerhalb von nur vier Jahren ist es Fly One Armenia gelungen, zur führenden armenischen Fluggesellschaft aufzusteigen.
Die armenische Luftfahrt steht an mehreren Fronten unter Druck: Fehlendes Kapital und Misswirtschaft haben dazu geführt, dass in den vergangenen Jahren zwar zahlreiche neue Fluglinien gegründet wurden, aber fast alle ihren Flugbetrieb nach kurzer Zeit wieder einstellen mussten.
Wie der lokale Nachrichtendienst Civilnet kürzlich zum Niedergang der nationalen Fluglinie Fly Arna berichtete, wurde dieses ursprünglich vielversprechende Projekt – eine Zusammenarbeit des Armenian National Interests Fund ANIF (51 Prozent) mit der Billigfluglinie Air Arabia (49 Prozent) – im Mai vergangenen Jahres wegen schwerer finanzieller Misswirtschaft aufgelöst.
Knapp zwei Jahre lang versuchte man, sich mit einem einzigen Airbus A320 auf dem lokalen Markt zu behaupten, bevor im Februar 2024 der Flugbetrieb eingestellt wurde. Der armenische Premierminister Nikol Pashinyan bezeichnete ANIF später als «Misserfolg und Schande» – ein deutliches Zeichen für die Enttäuschung der Regierung über das gescheiterte Projekt.
Laut Civilnet reiht sich Fly Arna damit in die lange Liste jener armenischen Fluggesellschaften ein, die seit 1991 gegründet und wieder aufgelöst wurden. Die durchschnittliche Lebensdauer einer Airline in Armenien soll demnach etwas mehr als fünf Jahre betragen – viele existieren sogar deutlich kürzer.
Einzige Ausnahme war die Fluggesellschaft Armavia, die sich zwischen 1996 und 2013 rekordverdächtige 17 Jahre in der Luft hielt. Dabei musste sie jedoch am 4. Mai 2006 einen Flugzeugabsturz nahe dem russischen Sochi mit 113 Toten sowie am Folgetag einen Totalschaden an einer weiteren A320 infolge eines Brandes bei Wartungsarbeiten in Brüssel verkraften.
Der jüngste Verlust eines Luftverkehrsbetreiberzeugnisses (AOC) betraf die im November 2015 gegründete Air Dilijans, die zuletzt nur noch eine Boeing 737-500 betrieb. Mit dem Verkauf dieser Maschine an Georgian Airways im April dieses Jahres erlosch auch ihre Betriebserlaubnis.
Die älteste noch aktive Fluggesellschaft des Landes ist Armenia Airways, gegründet 2013. Sie betreibt derzeit zwei rund 30 Jahre alte Boeing 737-300, die lediglich drei Destinationen – Teheran, Moskau und Delhi – bedienen.
Als Armenien noch Teil der Sowjetunion war, verfügte das Land über ein dichtes Inlandsflugnetz mit regelmäßigen Verbindungen zwischen Jerewan und Städten wie Stepanakert, Jermuk, Goris, Berd und Sisian. Dieses Angebot gehört seit der Unabhängigkeit 1991 der Vergangenheit an. Versuche, neue Inlandsdienste zu etablieren, endeten – wie so oft in Armenien – mit dem Bankrott der jeweiligen Airline.
So übernahm Sky Net Airlines im Jahr 2013 eine 19-sitzige Jetstream 32, um den Inlandsverkehr wiederzubeleben. Doch dazu kam es nie; die Maschine steht heute stillgelegt am Rande des Flughafenvorfelds und wartet auf ihre Verschrottung. Derzeit bietet nur noch eine armenische Fluglinie sporadische Flüge zwischen dem Flughafen Zvartnots in Jerewan und dem Flughafen Syunik nahe der Minenstadt Kapan an.
Im Oktober 2020 wurde Nov Air gegründet – als Nachfolgegesellschaft der bankrottgegangenen Atlantis European Airways oder Atlantis Armenian Airlines. Die abgestellten Maschinen der beiden Airlines stehen heute noch als stille Zeitzeugen auf einem Flugzeugfriedhof nahe der Zufahrt zum Flughafen Zvartnots. Mit einer 19-sitzigen Let-410 UVP E20 operiert Nov Air laut Flugplan dreimal wöchentlich zwischen Jerewan und Kapan.
Tatsächlich finden die Flüge nur unregelmäßig statt und dienen hauptsächlich dem lokalen Bergbauunternehmen Zangezur Mine, das zugleich auch 50 Prozent des Flughafens besitzt. Wie armenische Medien berichten, war die Fluglinie bis vor wenigen Wochen im Besitz von Aram Marutyan – dem ehemaligen stellvertretenden Leiter der armenischen Generaldirektion für Zivilluftfahrt und heutigen Honorarkonsul Österreichs in Armenien – bevor sie an die Mine veräußert wurde.
Die Familie Marutyan blickt auf eine lange Erfahrung im Luftfahrtgeschäft zurück: Sowohl Atlantis European Airways als auch Atlantis Armenian Airlines gehörten einst der Familie. Armenische Politiker betonen, dass durch gemeinsame Anstrengungen mittlerweile über vier Dutzend von der Europäischen Agentur für Flugsicherheit Easa festgestellte Mängel behoben wurden. Ein konkreter Zeitpunkt für die Streichung Armeniens von der schwarzen Liste ist bislang jedoch nicht absehbar.
Den Sicherheitsbedenken der Easa dürfte der Zwischenfall vom 14. Dezember 2024 nicht gerade förderlich gewesen sein: Eine Boeing 737-300 der armenischen Shirak Avia, die aus dem russischen Saratow kommend zum Flughafen Zvartnots unterwegs war, landete irrtümlich auf dem nahegelegenen russischen Militärflugplatz Erebuni – einem Standort, der nicht für die Abfertigung ziviler Flüge vorgesehen ist. Anstatt die Passagiere am Boden an ihr nur wenige Kilometer entferntes Ziel zu bringen, startete die Maschine erneut, um kurze Zeit später korrekt in Zvartnots zu landen.
In Kürze jährt sich Armeniens Aufnahme in die EU-Flugverbotsliste zum fünften Mal. Damit gesellt sich das Land weiterhin zu Staaten wie Russland, der Demokratischen Republik Kongo oder dem Sudan. Es scheint, als fehle Armenien bislang eine langfristige Vision, um seine Luftfahrtinfrastruktur nachhaltig zu entwickeln – weshalb wohl auch in Zukunft vor allem ausländische Fluggesellschaften von der positiven Passagierentwicklung der kleinen Kaukasusrepublik profitieren werden.