Der Flughafen der albanischen Hauptstadt Tirana hat sich zum Marktführer der Region hochgearbeitet. Betriebschef Pierfittorio Farabbi spricht im Interview über weitere Ausbaupläne, die Dominanz der Billigflieger und über Nordamerika-Flüge.
Mit 10,7 Millionen Fluggästen hat der Flughafen Tirana im vergangenen Jahr die Spitzenposition auf dem westlichen Balkan übernommen - wie geht es weiter?
Pierfittorio Farabbi*: Wir haben uns für dieses Jahr ein Ziel gesetzt: Zwölf Millionen Passagiere und der Abschluss einiger wichtiger Investitionen in die Terminal-Infrastruktur. Das wird es uns nicht nur ermöglichen, unsere betriebliche Leistung weiter zu verbessern, sondern vor allem, unseren Passagieren und Gästen ein unvergessliches Flughafenerlebnis zu bieten. Ich denke, diese Kombination ist es, die den Flughafen Tirana einzigartig macht: steigende Passagier- und Verkehrszahlen bei gleichzeitigem Ausbau der Flughafenkapazität, Digitalisierung des Betriebs und Nachhaltigkeit. Um diese Kombination zu verwirklichen, bedurfte es mutiger Entscheidungen, eines risikofreudigen Management-Teams und sehr kompetenter Mitarbeiter. Und durch umfangreiche und nachhaltige Investitionen wollen wir langfristig die Position des führenden Flughafens in den westlichen Balkanstaaten halten.
Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Unsere Vision ist es, noch weiter zu wachsen. Da wir uns gerade als regionales Drehkreuz positionieren, haben wir auch einen Plan, um diese Vision zu untermauern. Es ist ein ehrgeiziger Plan, der es uns ermöglichen wird, 15 Millionen Passagiere abzufertigen und den internationalen Flughafen Tirana unter die 50 größten Flughäfen in Europa zu bringen.
Sie verzeichnen ein Passagierwachstum von +220 Prozent im Vergleich zu 2019 - wie sieht es mit den aktuellen Kapazitäten des Flughafens aus?
Die Flughafenkapazität ist nicht nur eine Frage der verfügbaren Quadratmeter, sondern vielmehr die Kombination aller Teilsysteme des Flughafens. In den vergangenen drei Jahren haben wir mit Unterstützung unseres Alleingesellschafters, der Kastrati Group, Projekte in allen Bereichen für insgesamt mehr als 100 Millionen Euro abgeschlossen oder eingeleitet.
Nennen Sie bitte mal einige Beispiele.
Die Investitionen betreffen die Airside-Kapazitäten wie zusätzliches Equipment, verbesserte Rollwegsysteme oder die verlängerte Start- und Landebahn. Die Terminalkapazität - die letzte Ausbauphase wird in diesem Jahr abgeschlossen sein - sowie die Digitalisierung und Automatisierung durch neue elektronische Passkontrollstellen, C3-Scanner der nächsten Generation und so weiter haben alle das Ziel, dass unser Personal mehr Passagiere effizient und effektiv abfertigen kann. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir davon ausgehen, dass wir problemlos 12 bis 13 Millionen Fluggäste abfertigen können. Wobei das Ziel darin besteht, bis Ende des Jahres eine Gesamtkapazität von 15 Millionen zu erreichen.
Und danach?
In der nächsten Phase stehen weitere 200 Millionen Euro an Investitionen an, die das Terminal in eine hochmoderne Anlage umwandeln und dafür sorgen, dass wir - und das ist uns besonders wichtig - genügend grüne und nachhaltige Energie erzeugen können, um den gesamten aktuellen und künftigen Bedarf im Hinblick auf unsere Netto-Null-Ziele zu decken.
Wie sieht es mit den Terminal-Kapazitäten aus?
Wir planen, den derzeitigen Endausbau bis zum Jahresende abzuschließen. Dann werden wir mit dem Bau des neuen Ankunftsterminals beginnen, wodurch sich die Gesamtnutzfläche von den ursprünglich 15.000 Quadratmetern, die bei der Übernahme der Flughafenkonzession durch die Kastrati-Gruppe zur Verfügung standen, auf 100.000 Quadratmeter erhöhen wird. Das Gesamtprojekt umfasst auch eine neue zweistöckige Tiefgarage, einen speziellen Bereich für Charter- und Sonderflüge, eine neue Kiss-and-Fly-Zone und eine aktualisierte und verbesserte Steuerung der Passagierströme innerhalb des Gebäudes. Das bedeutet auch, dass das neue Layout mehr Platz für staatliche Behörden und die Büros der Fluggesellschaften, neue Geschäfte und Lounges sowie einen deutlich erweiterten Duty-Free-Bereich in Zusammenarbeit mit Lagardare Albania bieten wird.
Der Flughafen plant schon seit einiger Zeit, seine Start- und Landebahn für größere Flugzeuge zu verlängern. Wie ist hier die aktuelle Situation?
Ende dieses Jahres wird die Start- und Landebahn eine Länge von 3000 Metern aufweisen. Wenn Sie sich auf Flüge in die USA beziehen, so gibt es Flughäfen, die in diesem Sommer Direktflüge nach Nordamerika mit kürzeren Start- und Landebahnen anbieten werden, als wir sie bisher hatten. Unser Projekt zur Verlängerung der Start- und Landebahn zielt jedoch darauf ab, die Betriebsfähigkeit, Zugänglichkeit und Sicherheit unter allen Bedingungen zu verbessern. Ergänzt wird die Verlängerung durch die Modernisierung des Rollwegesystems und zusätzliche größere Flugzeugstellplätze für Großraumflugzeuge, die normalerweise für Langstreckenflüge eingesetzt werden. Gleichzeitig arbeiten alle Beteiligten daran, dass der Flughafen als Last Point of Departure für Flüge in die USA zertifiziert wird. Dies braucht Zeit, da wir gemeinsam alle notwendigen Verfahrensschritte durchlaufen müssen, aber wir sind bereits in Gesprächen mit potenziellen Fluggesellschaften für die Einrichtung längerer Strecken, wobei die USA und Kanada unsere oberste Priorität sind.
Bis wann könnte dieser langgehegte Traum Wirklichkeit werden?
Der Business Case ist vorhanden und er ist sehr realistisch und solide: Allein im Jahr 2024 hat der Airport Tirana fast 400.000 Reisende verzeichnet, die über mehrere Drehkreuze in der EU und im Nahen Osten nach und von Nordamerika geflogen sind. In den westlichen Balkanstaaten ist Air Serbia das beste Beispiel für eine Zusammenarbeit zwischen Fluggesellschaft und Flughafen bei der Markt-Entwicklung. Wir hoffen natürlich, dass Air Albania, unser Flagcarrier, irgendwann die erforderlichen Kapazitäten entwickeln kann, aber in jedem Fall untersuchen und verhandeln wir alle möglichen Optionen.
Und das Potenzial, eine solche Strecke erfolgreich zu betreiben, ist Ihrer Meinung nach tatsächlich gegeben?
Nach unseren Berechnungen könnten wir in der Hochsaison mehr als 1000 Passagiere pro Tag aus den/in die USA haben. Diese Schätzung wird auch durch die Tatsache untermauert, dass die Diaspora in Nordamerika nicht nur aus Albanien stammt, sondern auch aus den Nachbarländern, deren Bürger unseren Flughafen bereits nutzen. Albanien hat sehr enge Beziehungen zu den USA und die gegenseitigen wirtschaftlichen Interessen werden eine Direktverbindung - insbesondere nach New York - über den bereits geschätzten Visiting-friends-and-relatives- und Freizeitverkehr hinaus unterstützen. Der Geschäftsreiseverkehr ist eine Schlüsselkomponente, wenn es darum geht, den Fluggesellschaften eine neue Strecke schmackhaft zu machen, und er wird wesentlich zum Erfolg beitragen.
Wo sehen Sie sonst noch Potenzial? Welche Märkte sind von Interesse?
Neben Nordamerika sehen wir ein großes Potenzial im Nahen Osten und in Zentralasien: Im Nahen Osten haben wir einen starken Anstieg des Verkehrsaufkommens zu verzeichnen, allein die Passagierzahlen haben sich in den letzten drei Jahren verdreifacht. Osteuropa ist ebenfalls sehr interessant, und neben den Partnerschaften mit Fluggesellschaften bauen wir Brücken zwischen Reiseveranstaltern und Fremdenverkehrsämtern, um unsere jeweiligen Länder miteinander zu verbinden. Die ITB war in dieser Hinsicht zuletzt eine großartige Gelegenheit für den Flughafen Tirana, neue Märkte und Interessenten zu erschließen.
Wizz Air und Ryanair sind für rund 70 Prozent des Verkehrsaufkommens an ihrem Flughafen verantwortlich. Ist diese Billigflieger-Dominanz nicht auch ein Risiko für die Entwicklung des Flughafens?
Die Geschäftsmodelle von Billigfluganbietern und traditionellen Fluggesellschaften sind sehr unterschiedlich, und ihre Ziele, die auf denselben Markt ausgerichtet sind, sind verschieden und klar definiert. In dem Maße, wie wir das Passagieraufkommen steigern, fördern und unterstützen wir auch die Akteure beider Segmente bei der Erreichung ihrer Entwicklungsziele in Albanien.
Haben Sie ein Beispiel?
Ein gutes Beispiel ist IAG: Viele Jahre lang war British Airways die einzige Präsenz an unserem Flughafen. Erst letztes Jahr hat Iberia eine Direktverbindung nach Madrid aufgenommen. Und jetzt wird Vueling Direktflüge nach Barcelona auflegen. Wir sind der Meinung, dass das Portfolio an Optionen, das von Low-Cost- und traditionellen Fluggesellschaften angeboten wird, unseren Passagieren die beste Mischung in Bezug auf Frequenzen, Preise und Ziele bietet.
Der albanische Flughafenbetreiber Kastrati hat gezeigt, dass er den Flughafen Tirana sehr erfolgreich betreiben kann. Ziehen Sie auch Beteiligungen an anderen Flughafenprojekten im In- oder Ausland in Betracht?
Warum nicht? In der westlichen Balkanregion ist Tirana jetzt der Flughafen mit der größten Anzahl von Zielen und dem größten Verkehrsaufkommen, und all dies wurde in den letzten vier Jahren erreicht, seit die Kastrati-Gruppe die Flughafenkonzession übernommen hat. Dazu mussten wir unser Team neu aufstellen, die Zahl der Mitarbeitenden mehr als verdoppeln und bewährte Praktiken und neue Verfahren einführen, die bisher nicht angewandt wurden. All dies führt zu einer Fülle von technischen Kompetenzen und beruflichem Fachwissen, die leicht auf andere Regionalflughäfen übertragen werden kann, nicht unbedingt nur auf dem Balkan. Aber auf regionaler Ebene könnten wir sicherlich unsere gemeinsamen, ähnlichen Kulturen, unser Wissen über die wichtigsten Marktteilnehmer und unsere Fähigkeit, Kapitalinvestitionen schnell und effektiv einzusetzen, nutzen. Kurz gesagt: Ich denke, dass die wichtigsten Faktoren unserer Erfolgsgeschichte, nämlich Investitionen und lokales Wissen, durchaus auch anderswo anwendbar sind.
Der Flughafen Vlora soll 2025 eröffnet werden. Welche Auswirkungen wird dies auf den Airport Tirana haben?
Jede Entwicklung der Infrastruktur ist gut für das Land, gut für die Wirtschaft und gut für die Region. Wir sehen diese Entwicklung als Ergänzung zur albanischen Erreichbarkeit, insbesondere für diejenigen, die die albanische Riviera erkunden wollen. Da im Land viele Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur und in neue Einrichtungen für das Gastgewerbe getätigt werden, wird der Flughafen Vlora sicherlich dazu beitragen, mehr Besucherinnen und Besucher anzuziehen, die auf der Suche nach neuen spezifischen Erfahrungen in Albanien sind. Daher ist der Flughafen Vlora eine willkommene Ergänzung des albanischen Portfolios für die Erreichbarkeit und wird sicherlich einen positiven Beitrag zu unserem Luftverkehrsmarkt leisten.
*Seit April 2023 ist Pierfittorio Farabbi Betriebschef (Chief Operating Officer, COO) des Flughafens Tirana. Zuvor arbeitete er als Generaldirektor und Manager an verschiedenen Easa-zertifizierten Flugplätzen und war bei für den Airline-Dachverband Iata tätig - in Süd- und Mittelamerika, Afrika, Asien und dem Nahen Osten. Der gebürtige Italiener absolvierte ein Postgraduiertenstudium in Luft- und Raumfahrttechnik am Politecnico di Milano sowie den Master in Aeronautical Science an der Embry-Riddle Aeronautical University in Daytona, Florida.