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Interview mit Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler

«Gerade auf der Kurzstrecke ist die Zukunft der Zug»

Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler über den Mindestpreis für Flugtickets, Bahn vs. Flug und die Zukunft der Luftfahrt.

Billigairlines nehmen Sie mit Ihrem Plan eines Mindestpreises für Flugtickets bereits auf die Schippe und preisen jetzt erst recht Flüge für 9,99 Euro an. Ärgert Sie das?
Leonore Gewessler*: Es stimmt mich traurig, wenn Teile der Branche die Dringlichkeit des Klimaschutzes nicht wahrnehmen. Die Klimakrise können wir nur gemeinsam bekämpfen – dafür müssen aber auch alle ihren Beitrag leisten. Es zeigt aber vor allem, dass wir mit unseren Maßnahmen das Richtige tun.

Aber braucht es den Mindestpreis überhaupt? Ein Unternehmen ist doch selbst schuld, wenn es seine Produkte unter Kosten verkauft…
Wenn die Tickets nur 9,90 kosten, dann zahlen die Umwelt und das Klima drauf. Denn irgendwer zahlt immer.

Sie haben mit dem Mindestpreis beziehungsweise der Anti-Dumping-Regel etwas erfunden, das weltweit für Schlagzeilen sorgt. Wissen Sie von ganz konkreten Bestrebungen in anderen Ländern, dem österreichischen Beispiel zu folgen?
Die Luftfahrtbranche steht im Kampf gegen die Klimakrise in ganz Europa vor großen Herausforderungen. Damit uns diese Transformation gelingt, werden wir umfangreiche Maßnahmen brauchen. Auch die Niederlande denken in dieselbe Richtung.

Wir sehen am Beispiel der Strecke Wien – Linz, dass der Umstieg funktioniert.

Ab wann wird der Mindestpreis gelten?
Wir arbeiten an der Umsetzung aller Teile des Pakets für einen Kurswechsel Richtung Klimaschutz im Flugverkehr.

Neben dem Mindestpreis für Flugtickets hat die Regierung diverse andere Maßnahmen verabschiedet, um die Klimabilanz des Luftverkehrs zu verbessern. Dazu gehört auch eine Erhöhung der Ticketabgabe für Kurzstreckenflüge bis 350 Kilometer. Haben Sie Berechnungen angestellt, welche Wirkung das auf den österreichischen Luftverkehr haben wird? Und aufs Klima?
Wir stehen im Klimaschutz vor einer großen Aufgabe und vor allem vor notwendigen großen Veränderungen. Diese Veränderungen betreffen gerade den Flugverkehr besonders. Das bedeutet nicht, dass wir in Zukunft gar nicht mehr fliegen werden, aber es heißt, dass wir überall dort, wo es möglich ist, auf klimafreundliche Alternativen umsteigen werden. Diesen Umstieg wollen wir mit den Maßnahmen anstoßen, denn gerade auf der Kurzstrecke ist die Zukunft der Zug.

Fallen die 30 Euro auch an, wenn jemand zum Beispiel von Wien über München nach Südamerika fliegt?
Die Flugticketabgabe bezieht sich wie bisher auf das gesamte Ticket – sie fällt dort am höchsten aus wo die Gesamtstrecke eines Tickets unter 350 Kilometer liegt.

Ist es nicht ein Risiko, dass Menschen aus den österreichischen Bundesländern künftig statt zu fliegen einfach in Massen mit dem eigenen Auto nach Wien reisen?
Wir sehen am Beispiel der Strecke Wien – Linz, dass der Umstieg funktioniert. Auf der Kurzstrecke ist die Bahn das attraktivere Angebot.

Wir müssen handeln, denn die Klimakrise macht keine Pause.

Denkbar wäre es auch, dass gewisse Passagiere wegen der Anti-Dumping-Regel und Ticketsteuer einfach in Budapest oder Bratislava abfliegen. Oder dass Fluggesellschaften sogar vermehrt Flüge ab dort anbieten. Dann wären Ihre Maßnahmen gleich doppelt kontraproduktiv: Die Klimawirkung ist dahin und die Wertschöpfung fällt im Ausland an.
Die Debatte über die Abwanderung von Flügen haben wir in den letzten Jahren immer wieder geführt und es ist völlig klar, wir werden auch europäische Maßnahmen brauchen. Am Ende ist aber auch klar – wir müssen handeln, denn die Klimakrise macht keine Pause. Und ich bin froh und auch überzeugt, dass es die richtige Entscheidung ist, wenn wir hier einen ersten Schritt machen. Aber auch der Ausbau der Alternativen wird ein Schwerpunkt sein – hier investieren wir in unserem Paket viel Geld. 500 Millionen Euro etwa in neue Nachtzüge.

Kritiker sagen, solche Maßnahmen müsse man auf gesamteuropäischer oder globaler Ebene treffen, sonst nützen Sie nichts. Was antworten Sie Ihnen?
Auch das wird es brauchen. Aber die Klimakrise ist die drängendste Frage unserer Zeit. Und ich finde es verantwortungslos, dann zu sagen – wir tun nichts, weil jemand anders auch nichts tut. Wir haben alle Verantwortung. Der Kampf gegen die Klimakrise braucht Mut und er braucht Menschen, die vorangehen. Das tun wir jetzt.

Im Rahmen des Rettungspakets für Austrian Airlines hat die Regierung Österreichs der Nationalairline eine zusätzliche Klima-Bedingung auferlegt: Sie darf keine Flüge mehr zu Zielen anbieten, wenn auf der Strecke die Bahn weniger als drei Stunden benötigt. Ist das nicht ungerecht für AUA?
Allein die Zugverbindung von Linz zum Flughafen Wien zeigt seit Jahren, dass es gut und auch bequem funktionieren kann. Überall dort, wo wir mit der Bahn ein attraktives Angebot schaffen, steigen die Menschen um. An diesem Angebot arbeiten wir – AUA kooperiert hier auch mit den ÖBB – und dort wo es dieses Angebot gibt, wird AUA nicht mehr fliegen.

Besteht kein Risiko, dass eine andere Airline die Strecke übernimmt?
Das glaube ich nicht. Die Menschen wollen das beste Angebot nutzen, und sie wollen eine gute Anbindung, nicht aber um jeden Preis fliegen. Und wir können im Lichte der Klimakrise auch nicht mehr auf jeder Kurzstrecke fliegen. Dieses Angebot werden wir dort, wo es noch nicht verfügbar ist, schaffen. Und dann werden die wenigsten noch den Wunsch verspüren, diese Strecken zu fliegen.

Der Flugverkehr hat eine Zukunft, aber diese wird anders aussehen als die Gegenwart.

Denkbar wäre aber auch, dass ein Tiroler, um nach Miami zu kommen, zuerst von Innsbruck nach Istanbul fliegt, dort umsteigt und dann weiterreist. Dadurch wäre die Strecke länger und die Emissionen wären größer.
Wir alle wollen mobil sein und diese Mobilität wollen wir klimafreundlich gestalten. Dazu gehören Langstreckenflüge aus Österreich und ein gutes System an Anbindungen auf der Schiene. Wenn wir diese Mobilitätsketten gut vernetzen, dann sind sie in jedem Fall das attraktivere Angebot – und dann werden die Menschen auch drauf setzen.

Die Luftfahrtbranche setzt in Sachen Klimaschutz ihre Hoffnung vor allem in alternative Treibstoffe, daneben etwas selten auch auf Elektroantriebe. Wie sehen Sie da die Zukunft?
Der Flugverkehr hat eine Zukunft – das ist unbestritten – aber diese Zukunft wird anders aussehen als die Gegenwart. Es wird viel mehr um die Langstrecke gehen und um interkontinentale Strecken. Dazu gehört natürlich auch eine Dekarbonisierung der Antriebe – hier gibt es viele Ansätze, aber auch noch großes Forschungspotenzial. Auch das wollen wir fördern.

Leonore Gewessler (42) ist seit Januar 2020 Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie der Republik Österreich. Sie studierte an der Universität Wien Politikwissenschaft und arbeitete danach in der Stadtentwicklung und in leitender Stellung für Umweltorganisationen. Sie ist Mitglied der Partei Die Grünen.