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Law Is In The Air

Dürfen Regierungsflugzeuge einfach überall durchfliegen?

Nicht immer liegt es an der Technik, wenn Reisepläne von Polit-Größen durchkreuzt werden. Manchmal fehlen auch erforderliche Überfluggenehmigungen. Was gilt hier?

Wenn es bei Dienstreisen von Spitzenpolitikern zu Pannen kommt, ist Aufmerksamkeit garantiert. Jüngst erwischte es US-Außenminister Blinken, dessen Abreise vom Weltwirtschaftsforum in Davos sich wegen technischer Probleme an seinem Regierungsjet, einer Boeing 737, um sieben Stunden verzögerte. Die deutsche Bundeswehr wiederum sah sich im vergangenen Jahr gar veranlasst, infolge wiederholter Aussetzer bei Auslandsreisen zwei ihrer Regierungsflieger, zwei Airbus A340, vorzeitig auszumustern.

Doch nicht immer liegt es an der Technik, wenn Reisepläne durchkreuzt werden. Manchmal fehlen auch erforderliche Überfluggenehmigungen, wie zuletzt Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock auf ihrem Weg nach Ostafrika erfahren musste. Denn wer den Luftraum eines fremden Staates durchqueren will, bedarf dessen Erlaubnis.

Der friedliche Überflug als Normalität

Zu den Anfangszeiten des Luftverkehrs waren Nationalstaaten und deren Regierungen vergleichsweise großzügig, wenn es um den Überflug ihres eigenen Staatsgebiets ging. Wenngleich sich als weltweit anerkanntes Prinzip rasch die Lufthoheit und somit der Souveränitätsanspruch der Staaten im Luftraum oberhalb ihres Territoriums durchsetzen sollte, wurde dessen Nutzung zu Zwecken des reinen Transits durchaus zugelassen.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs trafen sich ab dem 18. Januar 1919 die Siegermächte zur Pariser Friedenskonferenz, in deren Rahmen auch ein Abkommen über den internationalen zivilen Luftverkehr entstehen sollte. Noch bevor die Konferenz zu Ende ging, einigten sich 26 der 32 an ihr teilnehmenden Staaten – unter anderem Frankreich, Italien und das Vereinigte Königreich – auf das erste multilaterale Vertragswerk der Luftverkehrsgeschichte: die Convention portant réglementations de la navigation aérienne, oder: das Pariser Luftverkehrsabkommen vom 13. Oktober 1919.

Militär-, Zoll- und Polizeiflugzeuge ausgeschlossen

Artikel 2 dieses Abkommens gewährte – in Anlehnung an das Internationale Seerecht – ein Recht friedlichen (oder: unschädlichen) Durchflugs zu Friedenszeiten (freedom of innocent passage), obwohl dieses durch Art. 15 Abs. 4 insoweit eingeschränkt wurde, als dass es nicht für internationalen Linienflugverkehr gelten sollte. Ansonsten aber würde es – so jedenfalls die überwiegende Meinung – sogar zu Landungen in dem Hoheitsgebiet anderer Vertragsstaaten berechtigen. Ausgeschlossen davon waren allerdings Militär-, Zoll- und Polizeiflugzeuge, da diese nicht nur aus dem Anwendungsbereich des Abkommens ausgenommen waren, sondern ihnen der Überflug fremden Hoheitsgebiets und die Landung ebenda sogar durch Art. 32 f. des Abkommens ausdrücklich untersagt waren.

Die praktische Bedeutung des Pariser Luftverkehrsabkommens, das am 11. Juli 1922 in Kraft trat, blieb indes beschränkt. Das lag einerseits daran, dass Vertragsparteien nur Staaten werden konnten, die auch Mitglied im 1919 gegründeten Völkerbund waren, anderseits weil mit den USA die schon seinerzeit im Luftverkehr weltweit führende Nation eine Ratifizierung ablehnte. Das allerdings lag vornehmlich daran, dass das Abkommen zugleich die Schaffung einer Internationalen Luftfahrtkommission, der Commission internationale de navigation aérienne CINA vorsah, deren Befugnisse Washington als zu weitreichend erachtete.

Chicagoer Abkommen änderte vieles

Mit Blick auf das Recht friedlichen Überflugs aber sahen auch nachfolgende multilaterale Abkommen vergleichbare Regelungen vor, beispielsweise die von Spanien initiierte Convenio ibero-americano de navegacion aérea, das Ibero-Amerikanische Luftverkehrsabkommen vom 1. November 1926, oder auch die Inter-American International Convention on Commercial Aviation, das Pan-Amerikanische Luftverkehrsabkommen vom 20. Februar 1928. Allerdings sollten auch diese Vertragswerke de facto keine Relevanz entfalten.

Ändern sollte sich die Haltung der Staatengemeinschaft zum friedlichen Überflug mit dem Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt vom 7. Dezember 1944, dem sog. Chicagoer Abkommen. Wie auch seine – siehe oben – Vertragsvorgänger stellt es in seinem Art. 1 das Prinzip der Lufthoheit an den Anfang und erklärt, dass ein jeder Staat die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über den Luftraum oberhalb seines Territoriums genießen soll. Somit ist der jeweilige Bodenstaat befugt, jedwede Flugaktivität einem Erlaubnis- und Regelungsvorbehalt zu unterstellen.

Heikle Abgrenzung

Insoweit aber trifft das Chicagoer Abkommen eine gewichtige Unterscheidung. Es gilt – wie sich schon aus seinem Titel (Convention on International Civil Aviation) ergibt – nur für den internationalen zivilen Luftverkehr. Diese ausschließliche Geltung für zivile Luftfahrzeuge folgt sodann ausdrücklich aus Art. 3 (a) des Abkommens: «This Convention shall be applicable only to civil aircraft, and shall not be applicable to state aircraft.» Wenngleich das Abkommen im Übrigen keine Definition für den Begriff des zivilen Luftfahrzeugs (civil aircraft) bereithält, leistet es eine – nicht abschließende – Aufzählung der vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgeklammerten Staatsluftfahrzeuge (state aircraft) in seinem Art. 3 (b): «Aircraft used in military, customs and police services shall be deemed to be state aircraft».

In der Praxis können sich hieraus mitunter Schwierigkeiten der Abgrenzung ergeben, etwa wenn ein in Staatseigentum stehendes Flugzeug zu Zivilzwecken oder ein sich in privatem Eigentum befindliches Luftfahrzeug im Auftrag eines Staates in Ausübung hoheitlicher Aufgaben genutzt wird. Richtig wird es sein, die Einordnung in Zivil- oder Staatsluftfahrzeug in Abhängigkeit davon zu stellen, mit welcher Absicht das Fluggerät Einsatz findet, auch wenn sich dies von Fall zu Fall zu verändern vermag.

Kein generelles Recht für Staatsflieger

Eines aber gilt für Zivil- und Staatsluftfahrzeuge gleichermaßen: Ein generelles Überflugrecht, gleich aus welchem Anlass, wird ihnen nicht gewährt. Vielmehr bedarf der Einflug in den Luftraum – auch nur zu Zwecken des reinen Transits – der Gestattung des jeweils darunter liegenden Bodenstaates. Dies geschieht regelmäßig mittels zwischenstaatlicher Luftverkehrsabkommen oder – seltener – mittels einzelfallbezogener, zeitlich begrenzter Erlaubnisse seitens der national zuständigen Luftfahrtbehörden.

Wenngleich sich die Vertragsstaaten zum Chicagoer Abkommen nicht auf ein generelles Überflugrecht einigen konnten, findet sich ein solches doch in einem seiner zwei Komplementärabkommen: der Transitvereinbarung vom 7. Dezember 1944. Sie trat schon am 30. Januar 1945 mit anfänglich 39 Vertragsstaaten in Kraft. Mit der Transitvereinbarung räumen sich dessen Teilnehmerstaaten die ersten zwei, die sogenannten technischen Freiheiten der Luft ein. Hierzu zählt das Recht, im Rahmen internationaler Flugliniendienste das Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates ohne Landung zu überfliegen, oder: das Recht des Überflugs aus Art. 1 Abs. 1: «Each contracting State grants to the other contracting States the following freedoms of the air in respect of scheduled international air services: 1. The privilege to fly across its territory without landing […]» Allerdings findet diese generelle Gestattung eine Einschränkung insoweit, als dass dem betreffende Bodenstaat freisteht, Flugrouten vorzugeben und zu bestimmen, welche seiner Landepunkte zu nutzen sind (Art. 1 Abs. 4 Nr. 1). Zugleich fallen Gebühren für die Nutzung fremden Luftraums an, beispielsweise für die Flugüberwachung (Art. 1 Abs. Nr.2).

Viele Staaten nicht dabei

Dass die Transitvereinbarung – und damit auch das Recht zum Überflug – schnell weitreichende Akzeptanz fand und heute 135 Teilnehmerstaaten zählt, überrascht nicht: Ohne Überflugrecht ist ein internationaler ziviler Flugverkehr kaum denkbar, denn in den wenigsten Fällen wird bei grenzübergreifenden Flügen nicht auch mindestens ein Luftraum durchquert, der weder Start- noch Zielpunkt der Reise ist.

Nichtsdestotrotz ist der Anwendungsbereich der Transitvereinbarung weniger umfassend als auf den ersten Blick anzunehmen. So sind mit der Russischen Föderation und der Volksrepublik China (mit Ausnahme der ehemaligen Kolonien Hongkong und Macau) zwei aufgrund ihrer geografischen Lage und Fläche für den internationalen Flugverkehr besonders bedeutsame Staaten ebenso wenig Vertragsparteien wie zum Beispiel Kanada, Brasilien oder mit Indonesien der größte Inselstaat der Welt.

Solche Nichtvertragsstaaten gewähren Überflugrechte üblicherweise durch bilaterale Luftverkehrsabkommen mit anderen Staaten oder aber mittels spezieller (Einzel-)Genehmigungen. Ein Beispiel dessen findet sich in Art. 2 Abs. 2 des Deutsch-Indonesischen Luftverkehrsabkommens vom 24. März 1971, dass den von jeder Vertragspartei bezeichneten Unternehmen, d.h. den designierten Fluggesellschaften u.a. das Recht einräumt, «das Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei ohne Landung zu überfliegen».

Anders bei militärischem Luftverkehr

Anders verhält sich die Situation bei nicht zivil genutzten Luftfahrzeugen, das heißt insbesondere solchen, die von Regierungen und Militär eingesetzt werden. Wie oben dargestellt, gilt für sie schon nicht der durch Chicagoer Abkommen, Transitvereinbarung und bilaterale Luftverkehrsabkommen gesteckte Rechtsrahmen für die Nutzung von (fremden) Lufträumen. Vielmehr sind sie sogar ausdrücklich von dessen Regelungen ausgenommen. Das ergibt sich für das Chicagoer Abkommen explizit aus dessen Art. 3 (c): «No state aircraft of a contracting State shall fly over the territory of another State or land thereon without authorization by special agreement or otherwise, and in accordance with the terms thereof.»

Wenngleich das Chicagoer Abkommen im Übrigen keine Anwendung auf eben jene Staatsluftfahrzeuge finden soll, unterwerfen sich die Vertragsstaaten aber doch durch Art. 3 (d) des Abkommens einer Regelung insoweit: «The contracting States undertake, when issuing regulations for their state aircraft, that they will have due regard for the safety of navigation of civil aircraft.»

Militärischer Luftverkehr

Daraus folgt zum einen, dass Staatsluftfahrzeugen – ausdrücklich – der Transit durch fremden Luftraum ohne Genehmigung des betreffenden Bodenstaates untersagt ist und dass die Vertragsstaaten der Sicherheit ziviler Luftfahrzeuge Berücksichtigung schenken müssen, wenn sie Staatsluftfahrzeuge Regelungen unterwerfen. Wenngleich letzteres eine wenig konkrete Anforderung ist, so lässt sich in der Regel beobachten, dass – falls und soweit möglich – auch militärisch genutzte Luftfahrzeuge den Luftraumregelungen ziviler Fluggeräte folgen.

Im Übrigen aber bestehen hinsichtlich der staatlichen und militärischen Nutzung von Luftfahrzeugen keine weitreichenden international verbindlichen Verträge oder Vorschriften. Wenngleich beispielsweise die Internationale Zivilluftfahrtorganisation dem Thema durchaus (auch) Aufmerksamkeit schenkt, fehlt es ihr insoweit an der erforderlichen Regelungsbefugnis. Einzig zuständig sind die Nationalstaaten. Eine gewichtige Ausnahme gilt: Der Luftraum über internationalen Gewässern unterliegt keinem staatlichen Souveränitätsanspruch, sodass jedenfalls hier die Nutzung von Staatsluftfahrzeugen unproblematisch, weil genehmigungsfrei möglich ist.

Seerechtsabkommen entfaltet Wirkung

Für die Nutzung des Luftraums fremder Staaten wiederum bedarf es der (vorherigen) Gestattung, wenn ein (Über-)Flug mit einem staatlichen Luftfahrzeug vorgesehen ist. Einzelne Staaten ermöglichen sich dies wechselseitig, beispielsweise für Militärmaschinen im Rahmen von Verteidigungsbündnissen wie der Nato. Jenseits dessen finden sich Erleichterungen in einem multilateralen Abkommen, das dessen auf den ersten Blick unverdächtig ist: Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (Englisch: United Nations Convention on the Law of the Sea) regelt für seine mehr als 160 Vertragsstaaten die Nutzung der Meere.

Im Zuge dessen vermittelt es in seinem Art. 38 Abs. 1 nicht nur Schiffen, sondern auch Luftfahrzeugen „das Recht der Transitdurchfahrt, die nicht behindert werden darf“ durch Meerengen, die der internationalen Schifffahrt zwischen einem Teil der Hohen See (oder einer ausschließlichen Wirtschaftszone) und einem anderen Teil der Hohen See (oder einer ausschließlichen Wirtschaftszone) dienen. Wenngleich es sich dabei um Hoheitsgewässer eines Staates handeln kann, die wiederum deren Lufthoheit unterfallen, ist das Recht friedlichen Überflugs jedweder (fremder) Luftfahrzeuge hier zu dulden.

Seerechtsabkommen entfaltet Wirkung

Die erlaubte Transitdurchfahrt versteht Art. 38 Abs. 2 des Seerechtübereinkommens sodann als die «Ausübung […] des Überflugs lediglich zum Zweck des ununterbrochenen und zügigen Transits durch die Meerenge», während Art. 39 Abs. 1 transitfliegende Luftfahrzeuge verpflichtet, (a) die Meerenge unverzüglich zu überfliegen, (b) sich der Androhung oder Anwendung von Gewalt zu enthalten, (c) jede Tätigkeit zu unterlassen, die nicht mit ihrem normalen ununterbrochenen und zügigen Durchflug zusammenhängen und (d) die weiteren einschlägigen Bestimmungen des Abkommens zu befolgen. Letzteres meint vor allem Art. 39 Abs. 3 des Seerechtsübereinkommens, wonach durchfliegenden Luftfahrzeugen auferlegt wird, (a) die Icao-Regeln der Luftfahrt einzuhalten und (b) jederzeit die von den Luftverkehrskontrollbehörden zugewiesenen Funkfrequenzen oder die entsprechende internationale Notfallfrequenz abzuhören.

Baerbocks unfreiwillige Pause kein Sonderfall

Befinden sich Staatsluftfahrzeuge nicht im Rahmen dieser (engen) Ausnahme, so bedürfen sie der ausdrücklichen, im Einzelfall zu erteilenden Überfluggenehmigung des jeweiligen Bodenstaates. Wenngleich oftmals eine Formalie, kann es bei längeren Flugreisen erforderlich werden, zahlreiche Erlaubnisse einzuholen, das heißt. von jedem einzelnen Staat, dessen Luftraum durchquert wird. Fehlt nur eine Freigabe, kann dies zu erheblichen Komplikationen führen wie im Fall von Deutschlands Außenministerin Baerbock: Nachdem eine Überfluggenehmigung Eritreas für den von ihr genutzten und durch die Luftwaffe betriebenen Airbus A321 zu spät angefordert wurde und sodann nicht vorlag, zog die Maschine eine Stunde Warteschleifen in der Luft, bevor sie sodann ins saudi-arabische Jeddah auswich.

Wenngleich es ihr kein Trost sein mag: Ein Sonderfall war dies nicht. Nur wenige Tage später sollte es ihren Kabinettskollegen, Gesundheitsminister Karl Lauterbach treffen. Auf seinem geplanten Rückflug von Nigeria verweigerte der Niger den Überflug seiner Regierungsmaschine, sodass es für ihn zunächst zurück an seinen Startflughafen Abuja ging.

Moritz G. Heile ist freier Kolumnist von aeroTELEGRAPH. Er ist Rechtsanwalt und Gründer der Kanzlei GOODVICE in Berlin. Er berät und vertritt schwerpunktmäßig Unternehmen der Luftfahrtbranche und unterrichtet als Lehrbeauftragter für Luftverkehrsrecht an der Universität zu Köln. Die Meinung der freien Kolumnisten muss nicht mit der der Redaktion übereinstimmen.