Letzte Aktualisierung: um 22:35 Uhr

Atemberaubende Routen, ungewöhnliche Flugzeuge

Die spannendsten Linienflüge in Nordamerika

Urlaub muss nicht immer Strand oder Berge sein: Flugzeugfans werden bei speziellen Flügen und Fliegern glücklich. aeroTELEGRAPH zeigt die Auswahl der sehenswertesten Linienflüge in Nordamerika.

Airbus A380 sind imposant und bequem, die Boeing 747 ist majestätisch, ein Flug über Grönland jedes Mal faszinierend, die Alpen von oben wunderbar. Doch für Flugzeugfans gibt es auf der Welt noch viel spannendere Dinge zu erleben. Sie suchen nach ganz speziellen Flugerlebnissen. aeroTELEGRAPH stellt die schönsten davon vor – im ersten teil die Auswahl in Nordamerika.

Boutique Air: Linienflüge mit Pilatus PC-12

Dieser Flug beginnt am internationalen Flughafen von Las Vegas. Allerdings nicht am Airline-Terminal: Der Linienflug mit Boutique Air nach Hawthorne bei Los Angeles boardet am Vorfeld der Privatjets. 2013 startete die Charterairline mit dieser Flugstrecke ihren Linienbetrieb. Wer schon immer einmal zu normalen Linienflugpreisen mit der Pilatus PC-12 fliegen wollte, der ist bei Boutique Air richtig.

Mittlerweile ist die Strecke zwischen Las Vegas und Los Angeles zwar aus ihrem Netzwerk verschwunden. Dafür hat Boutique Air landesweit rund 20 andere Flugstrecken aufgenommen, die man einfach über ihre Webseite aufspüren kann. Viele davon sind subventionierte Flüge zu kleineren Kommunen im Rahmen des Essential-Air-Service»-Programms. Das Rückgrat der Flotte bilden gut zwei Dutzend PC-12, ergänzt werden diese seit Kurzem von fünf Beechcraft/Textron King Airs.

Bis 20 Minuten vor Abflug dürfen die Passagiere am Terminal in Las Vegas eintreffen. Dann eskortiert der ein Polo-Shirt tragende Pilot das Grüppchen quer über das Businessjet-Vorfeld zur wartenden PC-12. Nach wenigen Minuten haben es sich die Passagiere auf den breiten Ledersesseln bequem gemacht, der Pilot startet die PT-6A-Turbine und der Flug kann beginnen. Als wir nach einem kurzen Sprint abheben, zieht die prächtige Skyline Las Vegas’ unter dem Flügel durch.

Über ausgedehnten Wüstenlandschaften steigt die PC-12 daraufhin auf eine Flughöhe von 20.000 Fuß (rund 6000 Meter). Im Reiseflug besuche ich auch das Cockpit und tratsche mit dem Piloten über sein Schweizer Arbeitsgerät. Viel zu bald wird der Sinkflug eingeleitet, und über der endlos scheinenden Agglomeration von Los Angeles nehmen wir Kurs auf die Piste 25 des Flughafens von Hawthorne. Nach etwas über einer Stunde ist der Hüpfer absolviert und hat an einem der Business-Flughäfen von Los Angeles sein standesgemäßes Ende gefunden.

Helijet: Im Hubschrauber über die kanadische Inselwelt

Einige hundert Kilometer weiter nördlich wartet der nächste spezielle Flug: Die kanadische Helijet bietet mit ihren Sikorsky S-76-Helikoptern Linienflüge zwischen Vancouver und den Städten Nanaimo und Victoria an. Ich entscheide mich für die zweite Destination. Der Flug startet praktischerweise direkt an der Waterfront der kanadischen Großstadt, wo Helijet auf einem Betonpier vier Landeplätze betreibt. Als ich dort ankomme, funkelt mir der Sikorsky-Helikopter schon in der Morgensonne entgegen. Das Check-in ist in 20 Sekunden erledigt, danach darf ich in einer Lounge inklusive Frühstücksbuffet auf meinen Flug warten. Schließlich wird unser Passagier-Grüppchen nach draußen eskortiert, wo uns zwei Piloten beim Einstieg begrüßsen.

Nach dem Start der zwei Turbinen dauert es nicht lange und der Helikopter erhebt sich in den wolkenlosen Morgenhimmel. Relativ steil steigen wir auf eine Flughöhe von 4500 Fuß (1400 Meter), von wo ich eine schöne Aussicht über Vancouvers Außenbezirke genieße. Doch das bleibt nicht die einzige Attraktion: Unser Flugweg führt uns direkt über den internationalen Flughafen der Metropole. Danach geht es weiter südwärts über den Strait of Georgia, bevor nach gut 20 Minuten Flugzeit die ersten Exemplare der südlichen Gulf Islands in Sicht kommen.

Die Aussicht an diesem sonnigen Sonntagmorgen ist prächtig und das Insel-Sightseeing aus geringer Flughöhe ist definitiv wunderschön! Da die Kabine aus Viererreihen besteht, muss man allerdings beim Boarding etwas umsichtig sein, um sich einen Fensterplatz zu sichern. Nach knapp einer halben Stunde im doch relativ lauten Helikopter sind die gut 120 Kilometer Flugdistanz überwunden und unsere S-76 steuert das am westlichen Ende der Innenstadt von Victoria gelegene Helipad an.

Mit alten Wasserflugzeug von Kenmore Air in die USA

Wer nach einem Hubschrauber-Flug genug hat und mehr auf Wasserflugzeuge steht, der findet sowohl ab Victoria wie auch ab Nanaimo eine beträchtliche Auswahl (und ab Vancouver natürlich sowieso). Beide Ziele sind zudem (Nanaimo nur saisonal im Sommer) durch Kenmore Air auch an Seattle in den USA angebunden. Dies ist denn auch der Weiterflug meiner Wahl, und nach einigen Stunden Flanieren durch Victoria boarde ich die 1958 gebaute De Havilland DHC-2 Beaver. Ein Original der Buschfliegerei, sie kommt abwechselnd mit den etwas größeren DHC-3 Otter auf der Strecke zum Einsatz.

Hatte sich der Sikorsky-Helikopter noch durch beträchtlichen Lärm ausgezeichnet, ist das Stottern des Pratt & Whitney R-985-Sternmotors beim Anlassen einfach klassisch schön. Nachdem wir gemütlich ein paar Minuten durch den Hafen von Victoria getuckert sind, verwandelt sich das Blubbern des Motors aber in ein infernalisches Dröhnen, als der Pilot neben mir den Leistungshebel nach vorne schiebt. Die Beaver schießt über das Wasser und hüpft bald von Wellenkuppe zu Wellenkuppe, bevor das Zerren des Wassers aufhört und wir uns in der Luft befinden.

Der Flug führt uns auf einer Flughöhe von nur 2500 Fuß (750 Meter) über adrette Küstenlandschaften, bevor nach etwa einer halben Stunde die ikonische Skyline von Seattle am Horizont auftaucht. Der Pilot verringert die Fluggeschwindigkeit und biegt dann via einer sehenswerten Schlaufe über Seattles Downtown in den Endanflug auf den Lake Union ein, die Wasserflugzeug-Basis der Metropole. Nach dem Anlegen suchen Pilot und Passagiere einen kleinen Nebenraum der Basis auf, um von zwei ungewohnt freundlichen TSA- Grenzbeamten in den USA willkommen geheißen zu werden.

Doch das Abenteuer ist hier noch nicht zu Ende: Die meisten von Kemore Airs Victoria-Flügen verkehren nach dem Stopp in Seattles Innenstadt weiter zum namensgebenden Vorort Kenmore. Wer den oftmals kostenlosen oder günstigen Weiterflug gebucht hat, darf für eine 10-minütige Extrarunde nochmals Platz an Bord der Beaver nehmen. Auf einer Flughöhe von 1000 Fuß (gut 300 Meter) überfliegen wir im schönsten Abendlicht die Küstenlandschaften des Lake Washington und die noblen Vororte der Metropole. Schließlich landen wir und docken an einem kleinen Anleger an. Ich nehme den nächsten Bus zurück in Seattles Innenstadt, denn natürlich hätte ich gar nicht nach Kenmore gemusst – aber einen quasi geschenkten Flug in einer Beaver kann man ja schlecht ausschlagen!

Alaska Airlines’ Milk Run

Ab Seattle startet auch gleich der nächste spezielle Flug. Dieses Mal befinde ich mich am grossen internationalen Flughafen, auch das Fluggerät ist um ein paar Nummern größer: Eine Boeing 737-400. Zur Abwechslung steht aber nicht das Flugzeug im Mittelpunkt, sondern seine spezielle Strecke. Die Boeing von Alaska Airlines begibt sich auf eine Flugroute, auf der sich die mittlerweile fünftgrößte Fluggesellschaft der USA in ihrer wilden Ursprünglichkeit zeigt: Von Seattle arbeitet sie sich die Westküste Alaskas empor. Mit drei Zwischenstopps in Ketchikan, Wrangell und Petersburg fliegt sie als AS65 in die Hauptstadt Juneau.

Dort übernimmt eine Schwestermaschine und fliegt als AS61 via Yakutat und Cordova bis zum Drehkreuz in Anchorage. Weil fast jede größere Siedlung entlang des Weges bedient wird, genießt der Flug den Kosenamen Milk Run – in Anlehnung an den Milchmann, der auf seiner Tour jedes Haus beliefert. Und speziell bei gutem Wetter wird den Passagieren auf den Fenstersitzplätzen auch einiges geboten. Tipp: Eher auf der östlichen Seite sitzen (nach Norden fliegend also rechts).

Nach einem frühmorgendlichen Start im verregneten Seattle dauert es fast zwei Stunden, bis die Maschine ihre erste Destination Ketchikan erreicht. Auch im engen Fjord stauen sich an diesem Tag die Wolken dicht an dicht. Ab Ketchikan laden übrigens auch zahlreiche Beaver und Otter auf Schwimmern zu abenteuerlichen Flügen ein, ein solcher führte mich einst in die Kommunen Thorne Bay und Hollis. Doch das betreffende Flugunternehmen, Pacific Airways, hat im Zuge der Corona-Krise erst kürzlich den Betrieb eingestellt.

Nach einem kurzen Turnaround steigt unsere Alaska-Airlines-Boeing nochmals auf 22.000 Fuß (6700 Meter), um innerhalb gut einer halben Stunde die Ortschaft Wrangell zu erreichen. In deren Fjord ist die Wolkenbasis etwas höher, weshalb es etwas mehr von den ansprechenden Landschaften zu sehen gibt. Nach einem abermaligen kurzen Austauschen von Fracht und Passagieren folgt das Filetstück der Route: Der 10-minütige Hüpfer ins etwa 50 Kilometer entfernte Petersburg wird bei guter Witterung im Sichtflug auf 1000 Fuß (gut 300 Meter) über dem Fjord geflogen.

Heute spielt das Wetter glücklicherweise mit und beschert mir so zahlreiche fantastische Ausblicke auf die Fjordlandschaften, inklusive einigen schwimmenden Eisschollen. Diese aus dem Fenster einer Boeing 737 zu sehen, macht das Ganze nur noch exklusiver. Nach einem erneuten kurzen Stopp vor der größeren Baracke, die als Terminal dient, nehmen wir den halbstündigen Weiterflug nach Juneau in Angriff. Dort zwingt die Meerenge (Gastineau Channel), an der die Hauptstadt von Alaska liegt, unserem Flug einen speziellen Anflug auf: Alaska Airlines hat dort schon 1994 zusammen mit der FAA einen GPS-basierten Anflug konstruiert, der die Maschine präzis durch die Meerenge zum Flughafen lotst. An Bord bekommt man von der zugrunde liegenden Technologie nicht viel mit, die Lage des Flughafens bleibt aber spektakulär.

Nach einem mit Sightseeing gefüllten Nachmittag in Juneau fliege ich tags darauf weiter nordwärts. An Bord einer weiteren Boeing 737-400 steuern wir erst das knapp 400 Kilometer entfernte Yakutat an, welches wir nach 45 Minuten Flugzeit erreichen. Glücklicherweise reisst die Wolkendecke kurz nach Juneau auf und gibt sagenhafte Wunder der Natur preis: Riesige Eisfelder, Dutzende schneebedeckte Berge und unberührte Küstenabschnitte erstrecken sich unter uns. In Yakutat beträgt die Bodenzeit ungewöhnlich lange 45 Minuten, weil unzählige Boxen mit frisch gefangenem Lachs verladen werden müssen. Dann hebt die Maschine ab zum nächsten gut halbstündigen Sightseeing-Flug nach Cordova.

Bald taucht draußen ein gigantischer Gletscher nach dem anderen auf – sie alle sind so riesig, dass sie selbst aus einer Flughöhe von 30.000 Fußs (gut 9000 Meter) noch fast das gesamte Flugzeugfenster einnehmen. Ein wahrlich erhabener Anblick! Im Anflug auf Cordova gehen die schroffen Eislandschaften dann in saftig grüne Wälder, tiefblaue Seen und mäandrierende Flüsse über und komplettieren so das stereotypische Bild Alaskas. Von Cordova dauert es nochmals gut 40 Minuten, bis wir – nach Passieren eines weiteren Gletschers und schöner Küstenlandschaften – den im Vergleich riesigen Flughafen von Anchorage erreichen. Tipp: Gleich neben dem Flughafen befindet sich mit dem Lake Hood die betriebsreichste Wasserflugzeug-Basis der Welt. Das Ufer des Sees ist auch von einigen schönen Bed & Breakfasts gesäumt, von deren Balkonen man in gemütlicher Atmosphäre das aviatische Treiben auf dem See beobachten kann.

Mit Ravn oder einem Nachfolger über Eisseen zu den Inupiat-Dörfern

Von Anchorage bringt mich eine weitere Boeing 737 der Alaska Airlines weiter nördlich nach Barrow (seit 2016: Utqiaġvik) – ihres Zeichens die nördlichste Stadt Amerikas, liegt sie sogar noch etwas nördlicher als das europäische Nordkap. Doch obwohl schon dieser Außenposten der Zivilisation mit seinen spartanischen Containersiedlungen eine Sehenswürdigkeit für sich ist, ist er erst der Ausgangspunkt für die nächste Tour: Mit einer Cessna 208B Grand Caravan geht es auf eine Versorgungsrunde nach Wainwright und Atqasuk, beides Kommunen des Inupiat-Stammes. Der Flieger gehörte damals noch Era Alaska, die sich später in Ravn Alaska umbenannte und kürzlich die Segel gestrichen hat. Die Regionalregierung Barrows hat allerdings schon zwei weitere Betriebe beauftragt, die Versorgungsflüge fortzuführen, die Tour müsste also in ähnlicher Form weiter möglich sein – und sonst gibt es noch viele ähnliche im ruralen Alaska.

Als wir von Barrow abheben, befinde ich mich eingepfercht zwischen Transportkisten auf dem hintersten Sitz in der Caravan. Ein Schneeschauer zieht vorüber, obwohl es bereits Mitte Juni ist. Nach dem Abheben und einem raschen Steigflug auf 1800 Fuß (550 Meter) erstreckt sich unter mir, soweit das Auge reicht, eine Eisschicht – der halb gefrorene Arktische Ozean. Nach einer guten halben Stunde erreichen wir das 150 Kilometer entfernt gelegene Wainwright. Kaum haben wir auf der Schotterpiste aufgesetzt und sind auf dem kleinen Vorfeld zum Stehen gekommen, stürmen schon Dutzende Einwohner mit Quads und Pick-Ups herbei, um die kostbare Fracht in Empfang zu nehmen. Keine Frage, dieser Flug ist eine zentrale Lebensader hier oben im kargen Norden!

Zur nächsten Kommune sind es knapp 100 Kilometer oder 22 Minuten, inzwischen habe ich einen Platz in der Sitzreihe direkt hinter dem Piloten gefunden und kann ihm interessiert über die Schultern schauen. Wir fliegen tief über die im Auftauen begriffene Tundra, erspähen Tausende noch teils gefrorene Tümpel und langsam unter der Eisschicht hervorbrechende Rinnsale. Am Ende eines etwas größeren Sees hebt sich aus dem Braun der Umgebung irgendwann das Braun der Schotterpiste von Atqasuk ab. Nächste Landung, nächste herbeistürmende Einwohner. Nach einem kurzen Turnaround sind wir schon wieder zurück in der Luft und nehmen über weitere tausend Seelein hinweg Kurs auf unseren Ausgangsort Barrow. Diesen erreichen wir nach gut 20 Minuten, doch da auf der Piste gerade noch eine Douglas DC-6 ausrollt, müssen wir noch einen Kreis über dem halb gefrorenen Ozean drehen. Mir soll es recht sein! Nach dem Orbit sind wir an der Reihe und gelangen so zurück an die Basis am nun riesig wirkenden Wiley Post-Will Rogers Memorial Airport, benannt nach einem frühen Flugpionier und einem Entertainer.

Mit dem britischen Unikat von Air North ins Goldgräberstädtchen

Springen wir noch kurz über die Grenze in den Norden Kanadas. Dessen Abgeschiedenheit ist dafür verantwortlich, dass auch dort noch einige robuste, verdiente alte Flugzeuge unterwegs sind. Die vielleicht prominenteste spezielle Linienverbindung, diejenige mit der altgedienten Douglas DC-3 von Buffalo Airways zwischen Yellowknife und Hay River, gibt es zwar seit einigen Jahren nicht mehr.

Etwas weiter westlich in den Beständen der in Whitehorse beheimateten Air North hält sich aber noch die Hawker Siddeley HS-748 aus britischer Produktion. Auch sie ist mittlerweile schon fast gänzlich von der moderneren ATR verdrängt worden. Die letzte von einst fünf Maschinen in der Flotte kommt aber noch sehr sporadisch noch auf Fracht- und Charterflügen zum Einsatz.  Wer viel Glück hat, kann mit dem traditionellen Turboprop die Multistopp-Route von Air North absolvieren: Von der Stadt Whitehorse über das Goldgräberstädtchen Dawson City und die Stammeskommune Old Crow bis ins Verwaltungszentrum Inuvik am Polarkreis.

Nachdem an einem sonnigen Sommermorgen in Whitehorse ihre zwei Dart-Turbinen von Rolls-Royce  angelaufen sind, rollt die 1970 gebaute HS-748 C-FYDU behäbig zur Startbahn. Damals, im Juni 2011, zeichnete sie noch allein für die Route verantwortlich. Als die Piloten die Startleistung setzen, zerren die Rolls-Royce-Aggregate heftig am Flugzeug und beschleunigen uns rasch. Bald erklimmen wir den Morgenhimmel und steigen über einige umgebende Berge hinweg auf eine Flughöhe von 14.000 Fuß (gut 4000 Meter).

Wir nehmen Kurs auf das 450 Kilometer entfernte Dawson City, die Flugzeit beträgt etwa 75 Minuten. Leider verschlechtert sich das Wetter zusehends und ich sehe nicht, wie das Flugzeug dem gekurvten GPS-Anflug durch das Yukon-Tal in Richtung Flughafen folgt. Erst kurz vor dem Touchdown sinken wir aus den Wolken heraus und landen etwas hart auf der Schotterpiste. Ich steige aus und sehe meine HS-748 wenig später von dannen ziehen, bevor ich mich im aufgehübschten historischen Goldgräberstädtchen umsehe.

Am nächsten Tag geht es weiter. Die 1971 gebaute C-FAGI gibt sich die Ehre und landet bei strahlendem Sonnenschein in Dawson. Kurzer 15-minütiger Turnaround, dann startet der nächste Flug. Die Schotterpiste von Dawson City misst nur 1,5 Kilometer, da wird jede einzelne Pferdestärke unserer Rolls-Royce-Turbinen benötigt, um die bis zu 20 Tonnen schwere Maschine in die Luft zu heben. Natürlich gelingt das Unterfangen ohne Probleme, wir kurven auf der Abflugroute etwas dem Yukon River entlang und drehen dann in Richtung unserer nächsten Destination: Das 400 Kilometer entfernte Old Crow.

Gut eine Stunde dauert es, dann tauchen wir in einer sehr ursprünglich-idyllischen Landschaft aus der Wolkendecke hervor und befinden uns schon über dem Porcupine River im linken Gegenanflug auf die Piste 22 des Old Crow Airports. Der Ort, der nur über eine Winterstrasse oder per Boot erreichbar ist, verfügt über eine Einwohnerzahl von knapp über 200, wovon der Großteil zum Stamm der Vuntut Gwitchin First Nation gehört. Nach einer sanften Landung auf der staubigen Piste kommen wir vor einem adretten Holzterminal zum Stehen. Ein halbes Dutzend Passagiere geht von Bord, doppelt so viele gesellen sich zu uns.

Sie bringen auch das Unterhaltungsprogramm für den weiteren Flug mit sich: Ein Schwarm von über hundert Mücken entert ebenfalls die Kabine und hält unsere Hände in der nächsten Stunde konstant in Bewegung. Die Turbinen stehen nur gut fünf Minuten still, dann erwachen sie schon wieder zum Leben und bugsieren uns einmal mehr in die Höhe, unserem Endziel entgegen: Inuvik, das administrative Zentrum des Nordens wartet. Knapp 300 Kilometer sind es, oder 50 Minuten.

Ich komme rasch mit der zugestiegenen Stammesangehörigen auf dem Nebensitz ins Gespräch und sie gewährt mir einen wertvollen Einblick in ihr tägliches Leben. Wie das Rentier noch immer die Nahrungsgrundlage ist zum Beispiel, wie aber bei der Jagd Pfeil und Bogen durch das Gewehr und der Hundeschlitten durch ein Ski-Doo ersetzt worden sind. Und auch die Jugendlichen im Dorf befinden sich in einer ziemlichen Identitätskrise – hin- und hergerissen zwischen MTV und Lady Gaga auf der einen und dem traditionell-puristischen Lebensstil der Inuit auf der anderen Seite. Nicht wenige von ihnen treibt dies in eine Alkohol- und Drogensucht oder gar in den Suizid.

Mit diesen berührenden Einblicken vergeht der letzte Hüpfer nach Inuvik sprichwörtlich wie im Flug. Über Hunderte Seen, eingerahmt von endlosen Wäldern, fliegt die altgediente HS-748 den etwas größeren Flughafen des Verwaltungszentrums an. Sie kehrt nun auf der gleichen Strecke nach Whitehorse zurück, ich dagegen bleibe über Nacht. Viel zu sehen gibt es außer der Mitternachtssonne nicht, bei den meisten Gebäuden handelt es sich um schlichte Zweckbauten. Herausstechen tun nur die Kirche in Iglu-Form und die kleine Moschee – diese wurde übrigens im 4’000 Kilometer entfernten Winnipeg gebaut und dann per Sattelschlepper und Boot hier in den Norden verfrachtet, wobei sie mehr als einmal von ihrem Gefährt stürzte oder sonst beschädigt wurde.

Mit dem Donnerschwein von Canadian North südwärts

Mein Weg aus Inuvik hinaus am nächsten Morgen wird etwas schneller, sicherer und zuverlässiger vonstatten gehen. Ich vertraue mich der Airline Canadian North an, die bis heute auf der Route nach Inuvik teilweise noch ältere Boeing 737-200 einsetzt – aber wohl auch nicht mehr lange. Die einzige verbliebene B737-200 Combi in der Flotte, die C-GOPW, kommt in diesen Tagen eher auf der Route von Yellowknife über Kugluktuk nach Cambridge Bay und zurück zum Einsatz, wo sie Schotterpisten anfliegt.

An jenem Tag ist es die 1982 gebaute C-GKCP, die bei ihrer Ankunft den Flughafen Inuvik mit einigem Getöse aus seiner Morgenruhe weckt. Flug MPE 445 mit Ziel Yellowknife und Zwischenstopp in Norman Wells steht zum Abflug bereit. Bis uns die zigarrenförmigen Pratt & Whitney JT8D-Triebwerke allerdings in den wolkenlosen Himmel stoßen können, vergeht einige Zeit: Ein Buschpilot hat seine Cessna etwas zu hart aufgesetzt, diese liegt mit eingeknicktem Fahrwerk auf Inuviks einziger Piste und blockiert sie.

Gut 20 Minuten dauert es, dann ist die Piste frei für den großen Donnervogel. Mit gehörigem Krach erheben wir uns in die Luft und erklimmen die Reiseflughöhe von 31.000 Fuß (9500 Meter). Doch nicht für lang: Schon bald senken die Piloten die Nase wieder und dirigieren ihre Maschine direkt in den Endanflug auf die Piste 10 des Flughafens von Norman Wells. Diese misst mit gut 1,8 Kilometern nur 300 Meter mehr als diejenige von London City, entsprechend eindrücklich ist das Bremsmanöver. Die Stadt wird vom Ölgeschäft dominiert, was auch ihre Bezeichnung in der Sprache der Eingeborenen widerspiegelt: Tlegohl heißt sie da, was so viel bedeutet wie: «Wo es Öl gibt».

Wir nehmen einige Mitarbeiter der Ölfirmen auf, dann geht es mit einem Raketenstart zurück in die Luft und weiter südwärts in Richtung Yellowknife. Auf dem knapp stündigen Flug zeigt sich die Natur des Nordens noch einmal von ihrer schönsten Seite: Sie verzückt mich mit dem mächtigen Mackenzie River, zahlreichen wild mäandrierenden Seitenflüsschen, unzähligen Teichen und Seen sowie dem teilweise noch gefrorenen Großen Bärensee. Viel zu bald nimmt dieses Schaulaufen der Natur ein Ende und die Piloten führen ihre klassisch schöne Boeing mit einem engen Sichtanflug auf die Piste 34 des Flughafens von Yellowknife.

Hier endet diese Tour auf interessanten Linienflügen durch Nordamerika. Selbstverständlich gibt es in den Weiten des Kontinents noch viele weitere lohnende Flugerlebnisse. Erzählen Sie uns und den Mitlesern von Ihren Erlebnissen in der Kommentarspalte.

Dieser Text von Tis Meyer entstand in Zusammenhang mit unserem Partner Jetstream, dem internationalen Luftfahrtmagazin.