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Antonoaldo Neves, Etihad Aviation Group

«Die Boeing 777X spielt in unserem Fünfjahresplan keine Rolle»

Etihad-Chef Antonoaldo Neves spricht im Interview über Konkurrenz am Golf, die Order von Boeing 777X, einen Allianzbeitritt sowie Kabine und Ziele der Airbus A321 LR.

Viele Jahre lang hat Etihad sich umstrukturiert, verkleinert und stabilisiert. Jetzt sind Sie wieder auf Wachstumskurs und kehren zum Konzept eines Netzwerk-Anbieters zurück. Was ist der Grund für diese neue Strategie?
Antonoaldo Neves*: Der Auftrag, den wir von unseren Aktionären erhalten haben, ist ganz einfach. Wir müssen auf lange Sicht finanziell nachhaltig lebensfähig sein. Die Größe spielt keine Rolle. Es geht um finanzielle Nachhaltigkeit und darum, ein außergewöhnliches Kundenerlebnis zu bieten. Im Oktober 2022 habe ich mir also den Geschäftsplan für die nächsten fünf Jahre angesehen. Und dieser Geschäftsplan setzte auf die Fracht. Damals waren die Frachtraten viel höher. Wenn sie hoch geblieben wären – nicht auf demselben Niveau, aber hoch – hätte ich eine Fluggesellschaft mit etwa 80 Langstrecken- und einigen Kurzstreckenflugzeugen haben können. Mehr nicht. Also habe ich den Aktionären gesagt, dass wir das noch einmal überdenken müssen, da sich die Marktbedingungen ändern könnten.

Und sie haben zugestimmt?
Ja. Wir haben viel Zeit investiert, um die lokale Dynamik zu verstehen. Und dann haben wir gesagt: Anstatt zu versuchen, Ultralangstrecken mit Ultralangstrecken zu verbinden und mit den beiden anderen großen Golfairlines zu konkurrieren, könnten wir auf Indien, den Nahen Osten, Pakistan und Südostasien setzen. Diese Regionen werden ein starkes Wachstum verzeichnen. Aber um sie zu bedienen, ist eine andere Art von Netz erforderlich. Wir müssen auf diesen Märkten eine dominante Präsenz haben und mit einem hervorragenden Produkt, hoher Qualität und hoher Frequenz konkurrieren. Wir müssen zwei Mal täglich nach Europa, an die Ostküste der USA und nach Südostasien fliegen. Und wir müssen mindestens vier Flüge pro Tag zu den meisten Zielen innerhalb von vier Stunden Flugzeit anbieten. Auf diese Weise können wir die Größe der Fluggesellschaft in Bezug auf die Flotte verdoppeln und die Größe der Fluggesellschaft in Bezug auf die Passagiere verdreifachen und gleichzeitig die Gewinnspannen erhöhen. Und so haben wir die Strategie angepasst.

Aber wie Sie schon sagten, es gibt in der Region eine Menge Konkurrenz …
Ja und nein. Wir sind die einzige Fluggesellschaft in der Region, die vier Flüge pro Tag zu einigen Zielen in der Region anbietet. Heute ist es für Sie bequemer, zum Beispiel von Riyadh über Abu Dhabi nach Madrid zu fliegen als über Dubai. Es gibt zwar Konkurrenz, aber die bietet meist nur einen Flug pro Tag oder Flüge mit längeren Umsteigezeiten.

Warum ist das so?

Weil ihre Flotte dafür nicht geeignet ist. Um bei den Frequenzen konkurrenzfähig zu sein, muss man auch kleinere Flugzeuge haben, die vollständig in das Netz und das Ertragsmanagement integriert sind.

Ich sehe heute keine signifikanten Ertragssynergien im Nahen Osten, die eine Konsolidierung rechtfertigen würden.

Sie haben Saudi-Arabien erwähnt. Das Land baut mit Riyadh Air eine zweite nationale Fluggesellschaft auf und spricht sogar über die Gründung einer dritten Fluggesellschaft. Haben Sie Angst vor diesen neuen Wettbewerbern, schließlich ist Saudi-Arabien ein sehr wichtiger Markt für Etihad.
Das ist er. Aber wenn man in dieser Branche bestehen will, muss man den Wettbewerb mögen. Ich habe kein Problem mit dem Wettbewerb. Er ist gut für uns. Er legt die Messlatte höher. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein Markt mit 120 Millionen Passagieren pro Jahr. Eines Tages werden es 200 Millionen sein. Es gibt also Platz für mehrere Fluggesellschaften. Man kann Geld verdienen, wenn es einen Markt gibt und die Region um fünf Prozent pro Jahr wächst. Und der Markt wird weiter wachsen.

Sie glauben also nicht, dass in der Golfregion ein Konsolidierungsbedarf besteht?
Fusionen können eine Menge Wert schaffen. Aber sie müssen Sinn ergeben. Sie müssen einen Mehrwert für die Aktionäre und die Verbraucherinnen und Verbraucher schaffen. Wenn man über eine Konsolidierung in unserer Branche nachdenkt, muss man sich das Netz ansehen. Ich glaube nur an eine Konsolidierung auf der Einnahmeseite, nicht auf der Kostenseite. Dort liegt das Geld und dort liegt die Wertschöpfung. Ein Zusammenschluss von Fluggesellschaften ist also sehr gut, um Drehkreuze zu stärken. Und ich sehe heute keine signifikanten Ertragssynergien im Nahen Osten, die eine Konsolidierung rechtfertigen würden. Ich sehe sie einfach nicht.

Etihad hat jetzt 89 Flugzeuge und fliegt über 70 Ziele an. Wo werden Sie in fünf, zehn Jahren stehen?
Ich kann Ihnen den Fünfjahresplan nennen. Wir können bis zu 150 oder 160 Flugzeuge einsetzen und etwa 110 Ziele anfliegen – wir können also 40 weitere Ziele anbieten.

Und mehr Frequenzen …
Sehr viel mehr Frequenzen. Das ist wirklich wichtig. Wir werden die Zahl der Flüge und die Zahl der Zielorte gleichzeitig erhöhen. Aber wir werden uns unsere Schlachten aussuchen. Wenn ich überall konkurriere, werde ich überall verlieren.

Ich habe die Option, diese Flugzeuge zu kaufen, aber ich habe auch die Option, weitere 787 zu kaufen.

Sie haben 25 Boeing 777 X bestellt.
Nein, das habe ich nicht.

Aber der Auftragsbestand von Boeing sagt das.
Die Verträge, die wir haben, wurden alle umstrukturiert. Ich habe die Option, diese Flugzeuge zu kaufen, aber ich habe auch die Option, weitere 787 zu kaufen. Wir haben eine großartige Beziehung zu Boeing. Aber im Moment spielt die 777X in unserem Fünfjahresplan keine Rolle.

Aber Sie brauchen doch einige Ultralangstreckenflugzeuge, oder?
Ja, wir brauchen Ultralangstreckenflugzeuge. Die Airbus A380 und die älteren Boeing 777 werden irgendwann die Flotte verlassen. Wir brauchen einen Ersatz für sie. Das könnte der A350-1000 sein oder es könnte die 777X sein.

Leiden Sie auch unter den Verspätungen von Flugzeugen?
Das tun wir alle. Das stimmt. Das ist ein großes Problem für die Branche. Aber wir hatten Glück. Wir waren eine der wenigen Fluggesellschaften der Welt, die während der Pandemie viele Flugzeuge erhielten. Wir sind die alten Flugzeuge losgeworden und haben neue Boeing 787 bekommen. Heute haben wir die jüngste Langstreckenflotte in der Region. Da geht es uns also gut und wir müssen nur mit Verzögerungen von etwa sechs Monaten rechnen.


Boeing 787 von Etihad Airways. Bild: aeroTELEGRAPH

Und bei den Kurz- und Mittelstreckenflugzeugen?
Eines der ersten Dinge, die ich bei meiner Ankunft getan habe, war, den Chef von Airbus anzurufen und ihm zu sagen, dass wir alle Aufträge bestätigen werden. Diese Flugzeuge werden zwar später als geplant eintreffen, aber das können wir verkraften. Außerdem haben wir in Rekordzeit alle unsere zuvor geparkten Airbus A320 umgerüstet, und sie fliegen jetzt wieder. Und wir haben uns Leasingverträge für sechs brandneue Airbus A321 von Bamboo Airways gesichert. Sie werden im Juni oder Juli in Betrieb gehen. Wir verfolgen hier einen sehr flexiblen Ansatz, und unsere Umsetzungsfähigkeit ist hervorragend.

Wie lange werden Ihre Airbus A380 noch fliegen?
So lange sie können. Sie werden mindestens bis 2032 fliegen. Aber die Frage, die ich meinem Team gestellt habe, lautet: Wie lange können sie noch fliegen? Um das entscheiden zu können, muss ich erst die Zahlen sehen. Und natürlich hängt das alles von den Marktbedingungen ab. Das Gute daran ist, dass Etihad eine sehr starke Bilanz hat. 65 Prozent unserer Flugzeuge gehören uns. Wenn sich also die Marktbedingungen ändern und verschlechtern, können wir immer Flugzeuge abstellen, ohne dass uns Leasingkosten entstehen.

Sie werden auch einige Airbus A321 LR erhalten. Auf welchen Strecken werden Sie diese einsetzen?
Wir werden nächstes Jahr zehn A321 LR bekommen. Unser Plan war es, diese Flugzeuge bis Juni zu erhalten. Sie werden sich ein wenig verspäten. Wir müssen noch entscheiden, für welche Ziele wir diese Flugzeuge einsetzen werden. Die strategische Absicht für diese Flugzeuge sind Frequenzen und Märkte mit geringerer Nachfrage. Wenn ich zwei Mal täglich mit einem Großraumflugzeug nach Kopenhagen fliegen würde, würde ich viel Geld verlieren. Aber es wird funktionieren, wenn ich einen A321 LR nach Kopenhagen einsetzen kann. Oder ich kann mit diesem Flugzeug sieben Tage die Woche nach Nizza fliegen. Aber ich kann nicht eine Boeing 777 sieben Tage die Woche nach Nizza schicken.

Wie wird die Kabine Ihrer A321 LR aussehen?
Wir werden 144 Sitze in der Economy Class sowie 14 flache Sitze in der Business Class und zwei Sitze im vorderen Teil der Kabine mit noch mehr Komfort haben.

Ich gebe nicht gerne Bestellungen bekannt. Das ist nicht mein Geschäft. Mein Geschäft ist der Verkauf von Flugtickets.

Sie haben viele offene Bestellungen – für Airbus A350 und Boeing 787. Reicht das für Ihren Bedarf?

Für den Fünfjahresplan, der bis 2030 reicht, sind wir gut aufgestellt. Aber darüber hinaus werden wir mehr Flugzeuge brauchen. Die ältesten Boeing 787 werden dann über zwanzig Jahre alt sein. Wir werden also darüber nachdenken müssen, sie zu ersetzen. Aber ich gebe nicht gerne Bestellungen bekannt. Das ist nicht mein Geschäft. Mein Geschäft ist der Verkauf von Flugtickets.

Werden Sie auch mehr Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge brauchen, weil Sie auf der Langstrecke wachsen wollen?
Wir werden auf etwa 150 bis 160 Flugzeuge kommen. Rund 80 bis 100 davon werden Großraumflugzeuge sein. Etwa 80 bis 60 werden also Schmalrumpfflugzeuge sein. Aber um mehr Flexibilität zu haben, werden wir 30 bis 40 LRs haben. Wir verfolgen also einen sehr flexiblen Ansatz bei den Schmalrumpfflugzeugen. Aber ja, wir werden irgendwann mehr brauchen.

Wird Air Arabia Abu Dhabi, das Joint Venture von Air Arabia und Etihad, auch eine Rolle spielen?
Sie spielen bereits eine wichtige Rolle. Wir lernen eine Menge von ihnen.

Aber wie unterscheiden Sie Etihad und Air Arabia Abu Dhabi voneinander?
Das ist von Markt zu Markt unterschiedlich. Dort, wo wir den Premium-Service benötigen, nutzen wir Etihad, an anderen Orten nutzen wir Air Arabia Abu Dhabi. Wie ich bereits sagte, werden wir diese 16 Business-Class-Sitze mit flachen Betten in den A321 LR und auch in anderen A321 Neo haben.

In Ihrem Streckennetz gibt es noch viele weiße Flecken, wie Westafrika, Zentralafrika, Südamerika oder die Westküste Nordamerikas. Werden Sie das ändern?
Langsam, sehr langsam. Im Ultralangstrecken-Geschäft müssen wir sehr wählerisch sein. Denn wenn Sie nach Los Angeles fliegen, müssen Sie zwei Flugzeuge einsetzen. Mit zwei Flugzeugen können wir zwei Mal täglich zu Orten wie Madrid, Barcelona und Lissabon fliegen. Kurzfristig steht die Ultralangstrecke also nicht ganz oben auf unserer Prioritätenliste. In zwei, drei, vier Jahren, wenn wir das Streckennetz ausgebaut haben, werde ich vielleicht Ultralangstreckenflüge hinzufügen.

Airbus A350 von Etihad. Bild: Simeon Lüthi/aeroTELEGRAPH

Was ist mit den deutschsprachigen Ländern? Etihad fliegt ganzjährig nach Frankfurt, München, Wien, Zürich und saisonal nach Düsseldorf. Gibt es Pläne, dort zu expandieren?
Ich bin ein großer Verfechter von Frequenzen. Ich hasse es, drei Mal pro Woche zu einem Ziel zu fliegen. Ich mag Beständigkeit. Deshalb möchte ich das ganze Jahr über mindestens täglich überall hinfliegen. Die Airbus A321 LR helfen dabei.

Katar hat den Open-Skies-Vertrag mit der Europäischen Union abgeschlossen. Ist das etwas, was die Vereinigten Arabischen Emirate auch tun sollten?
Open-Skies-Diskussionen sind eine Angelegenheit der Regierung. Das geht über das Interesse der Fluggesellschaft hinaus. Aber um ehrlich zu sein: Wir haben ein bilaterales Abkommen mit Portugal und wollen mehr Flüge nach Lissabon anbieten. Aber es gibt so gut wie keine Slots zur richtigen Zeit in Lissabon. Es ist also sehr kompliziert , dies auf einer breiteren Ebene zu diskutieren. Ich denke, es gibt Märkte, die von zusätzlichen Kapazitäten in die Vereinigten Arabischen Emirate profitieren würden und umgekehrt.

Etihad hat jetzt 32 Codeshare-Partner, aber Sie sind nicht in einer Allianz. Ist das etwas, das von Nutzen sein könnte?
Fluggesellschaften, die sich auf bestimmte Märkte konzentrieren, profitieren in hohem Maße von Allianzen. Die Flugzeuge von Etihad sind voll, unsere Auslastung liegt bei 86 Prozent. Der Beitritt zu einer Allianz kann zustande kommen, er kann aber auch ausbleiben. Für uns ist das nicht entscheidend. Es gehört nicht zu meinen drei wichtigsten Prioritäten. Meine oberste Priorität ist die Sicherheit. Meine zweithöchste Priorität ist es, dafür zu sorgen, dass wir die Pilotinnen und Piloten und Flugzeuge für unser Netz haben. Und meine drittwichtigste Priorität ist es, dafür zu sorgen, dass unsere Mitarbeitenden äußerst zufrieden sind, damit auch die Kundinnen und Kunden zufrieden sind.

Etihad bietet keine Premium Economy an. Ist das etwas, das Sie ändern könnten?
Aufgrund des Profils unserer Kundinnen und Kunden und der Art unseres Streckennetzes haben wir derzeit keinen Bedarf dafür.

Werden alle Ihre neuen Flugzeuge eine First-Class-Kabine haben?
Das haben wir noch nicht entschieden. Aber die First Class ist ein wichtiges Produkt für Etihad.

* Antonoaldo Neves (47) wurde im Oktober 2022 Chef von Etihad Aviation Group. Zuvor war der Brasilianer Chef von Tap, Azul und Partner bei McKinsey, wo er Unternehmen in der Luftfahrtbranche in Brasilien beriet. Seine Karriere begann der studierte Bauingenieur beim Bauunternehmen Odebrecht und dem Flughafenbetreiber Infaero. Neves besitzt einen Master of Business Administration der Darden Business School und einen Master in Corporate Finance von der IAG School of Business PUC-Rio.