Letzte Aktualisierung: um 20:58 Uhr

Law is in the Air

Wie das Luftverkehrsrecht die Übernahme von ITA Airways beeinflusst

Eigentums- und Kontrollvorschriften sind ein Klassiker im internationalen Luftverkehrsrecht. Bei der Privatisierung von ITA Airways haben sie ganz praktische Folgen.

Das Interesse an der Übernahme der zurzeit noch in Gänze vom italienischen Staat gehaltenen Nachfolgerin der Alitalia, ITA Airways, hält sich in Grenzen: Bis Ende des Bieterverfahrens legten nur Lufthansa gemeinsam mit der Großreederei MSC sowie die amerikanische Investmentgesellschaft Certares Angebote vor. Letztere gründete zu diesem Zwecke eigens eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Mailand. Der Grund: Voraussetzung für einen Erwerb der ITA Airways ist, dass die Fluggesellschaft ihre Nationalität erhält, das heißt den gesetzlichen Anforderungen zu Eigentum und Kontrolle an europäischen Luftfahrtunternehmen gerecht bleibt.

Ihren Ursprung haben Vorschriften über Eigentum und Kontrolle und damit das Nationalitätserfordernis von Luftfahrtunternehmen im US-amerikanischen Recht. Der US Air Commerce Act von 1926 machte es erstmals erforderlich, dass mindestens 51 Prozent des stimmberechtigten Kapitals eines Luftfahrtunternehmens von US-Amerikanern gehalten werden und überdies der Vorstandsvorsitzende sowie zumindest zwei Drittel des Vorstandes durch Inländer besetzt sein mussten, um als US-Fluggesellschaft gelten und damit eine Betriebsgenehmigung erlangen zu können. Mit dem US Civil Aeronautics Act von 1938 erfolgte eine Anpassung dergestalt, dass sich nun gar 75 Prozent des stimmberechtigten Kapitals in Händen US-amerikanischer Staatsangehöriger befinden mussten.

Kein Einfluss feindlicher Staaten

Während der späteren internationalen Zivilluftfahrtskonferenz von Chicago im Jahr 1944 machte die US-Delegation Überlegungen zu Eigentum und Kontrolle auch zum Gegenstand einer multilateralen Debatte. Die Vereinigten Staaten waren der Ansicht, es bedürfe verbindlicher Regeln, um zu vermeiden, dass zivile Luftfahrzeuge unter Einfluss feindlicher Staaten den eigenen Luftraum nutzen würden. Aus dieser Sorge heraus hatte Washington schon Ende der 1930er-Jahre erheblichen Druck auf Staaten Lateinamerikas ausgeübt, nachdem sich dort das Deutsche Reich mittels zivilen Fluggeräts Zugang zu US-amerikanischem Einflussbereich verschafft hatte.

Dennoch sollten entsprechende Vorschläge im Rahmen des sodann geschlossenen und bis heute für den internationalen zivilen Luftverkehr maßgeblichen Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt (kurz: Chicagoer Abkommen) unberücksichtigt bleiben.  Umgesetzt wurden sie indes – in Gestalt des Rechts zum Entzug einer Betriebsgenehmigung – in den Komplementärabkommen, der sogenannten Transitvereinbarung (hier: Art. I, Abschnitt 5) sowie der sogenannten Transportvereinbarung (hier: Art. I, Abschnitt 6): «Each contracting State reserves the right to withhold or revoke a certificate or permit to an air transport enterprise of another State in any case where it is not satisfied that substantial ownership and effective control are vested in nationals of a contracting State […]»

Einhaltung der Verkehrsrechte

Nahezu wortgleich fand diese Eigentums- und Kontrollklausel Einzug in die dem Chicagoer Abkommen beigefügte Mustervorlage für bilaterale Luftverkehrsabkommen, sodann auch in das für den grenzübergreifenden Flugverkehr der Folgezeit weltweit wegweisende Bermuda I Abkommen und damit in Tausende diesem Vorbild folgender zwischenstaatlicher Verträge über den Flugverkehr.

Jenseits sicherheitspolitischer Erwägungen sichert das Nationalitätserfordernis ab, dass im Rahmen bilateraler Luftverkehrsabkommen gegenseitig gewährte Verkehrsrechte tatsächlich lediglich im Verhältnis der jeweiligen Vertragsstaaten ausgeübt werden, d.h. dass nur die jeweiligen Vertragsparteien bzw. deren Angehörige den Nutzen dieser Rechte ziehen, nicht aber Dritte. Verhindert wird auf diesem Wege überdies das Entstehen einer – im maritimen Schiffsverkehr üblichen – Flag of Convenience, bei der das Luftfahrtunternehmen eine Staatszugehörigkeit hat, die keinen genuine link zu ihren wirtschaftlich Berechtigten aufweist.

Voraussetzung für Genehmigungen

Auch mehr als 75 Jahre nach ihrer Entstehung sind Eigentums- und Kontrollvorschriften noch absolute Standardklauseln in Luftverkehrsabkommen. In unterschiedlicher Ausgestaltung finden sie sich bis heute in praktisch allen Vertragswerken zur Regelung zwischenstaatlichen Luftverkehrs, einschließlich solcher liberalen Typs wie den sog. Open Skies Abkommen.

Korrespondierend zu den Vorgaben bilateraler Luftverkehrsabkommen existieren auf nationaler Ebene Vorschriften zu Eigentum und Kontrolle. Auf diesem Wege wird mittels des einfachen Rechts die Erfüllung völkerstaatsvertraglicher Pflichten im Außenverhältnis sichergestellt. Dies geschieht, indem an das Vorliegen von Eigentums- und Kontrollverhältnissen die Voraussetzungen der nationalstaatlichen Erteilung einer zum Betrieb eines Luftfahrtunternehmens erforderlichen Genehmigung geknüpft werden.

«Zu mehr als 50 Prozent»

Ein entsprechendes Nationalitätserfordernis kennt für den Geltungsbereich der Europäischen Union  die Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 in ihrem Art. 4 lit. f), wonach einem Luftfahrtunternehmen bei Vorliegen der weiteren Genehmigungsvoraussetzungen eine Betriebsgenehmigung erteilt wird. Voraussetzung ist, dass «Mitgliedsstaaten und/oder Staatsangehörige von Mitgliedsstaaten zu mehr als 50 Prozent am Eigentum des Unternehmens beteiligt sind und es tatsächlich kontrollieren, entweder unmittelbar oder mittelbar über ein oder mehrere zwischengeschaltete Unternehmen, sofern nicht ein Abkommen mit einem Drittstaat, dem die Gemeinschaft als Vertragspartei angehört, etwas anderes bestimmt».

Mit dieser Klausel, die nicht an die Wesentlichkeit, sondern ausdrücklich an die Mehrheit des Eigentums («zu mehr als 50 Prozent») anknüpft, werden die Besonderheiten des europäischen Binnenmarktes berücksichtigt: Die Begrenzung von Eigentum und Kontrolle gilt lediglich noch gegenüber Drittstaaten, nicht aber zwischen den Mitgliedsstaaten. Die ansonsten übliche traditionelle Eigentums- und Kontrollklausel wurde durch den europäischen Gesetzgeber somit zu einer Unionsklausel weiterentwickelt, die nur voraussetzt, dass Eigentum und Kontrolle mehrheitlich bei Mitgliedsstaaten beziehungsweise deren Angehörigen liegen.

Moritz G. Heile ist freier Kolumnist von aeroTELEGRAPH. Er ist Rechtsanwalt und Gründer der Kanzlei GOODVICE in Berlin. Er berät und vertritt schwerpunktmäßig Unternehmen der Luftfahrtbranche und unterrichtet als Lehrbeauftragter für Luftverkehrsrecht an der Universität zu Köln. Die Meinung der freien Kolumnisten muss nicht mit der der Redaktion übereinstimmen.