Immer mehr Pilotinnen und Piloten sowie Kabinencrews arbeiten mit befristeten Verträgen, Scheinselbstständigkeit oder Leiharbeit. Laut einer Untersuchung der Universität Gent führt der Druck zu Übermüdung, Angst vor Krankheit und sogar Risiken für die Flugsicherheit.
Fluglinien geraten immer wieder in die Kritik, wenn es um die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeitenden geht. Meist werden jedoch nur punktuelle Probleme öffentlich bekannt. Im Sommer 2022 machte Wizz Air Schlagzeilen, weil Crews teilweise stark übermüdet waren. Im Sommer 2018 wurde eine Ryanair-Crew suspendiert, weil sie sich nach neun Stunden Arbeit nicht mehr fit genug für den Rückflug fühlte.
Eine neue Studie der Universität Gent bestätigt, dass die Arbeitsbedingungen bei gewissen Unternehmen durchaus problematisch sind. Immer mehr Piloten und Pilotinnen sowie Kabinenmitarbeitende sind von atypischen und prekären Beschäftigungsverhältnissen betroffen. Dazu zählen Leiharbeit, befristete Verträge, unfreiwillige Teilzeitmodelle sowie Scheinselbstständigkeit.
Laut der Studie, an der rund 6900 Cockpit- und Kabinenmitarbeitende teilnahmen, sind überproportional viele Beschäftigte aus osteuropäischen Ländern wie Polen, Tschechien oder Ungarn atypisch beschäftigt. Dort liegt der Anteil atypischer Beschäftigung bei etwa der Hälfte aller Beschäftigten. Ein weiteres Kriterium ist das Alter: Bei den unter 21-Jährigen waren 59 Prozent unbefristet angestellt.
Die schlechten Arbeitsbedingungen bei gewissen Fluggesellschaften (aber längst nicht allen) haben laut den Autorinnen und Autoren Folgen für die Flugsicherheit in Europa. Rund die Hälfte aller Studienteilnehmenden sagen, dass sie sich zu eingeschüchtert fühlen, um Entscheidungen des Managements infrage zu stellen. 30 Prozent der Pilotinnen und Piloten gaben heute an, sie hätten Angst um ihre Karriere, wenn sie widersprechen.
Gleichzeitig fühlen sich die Beschäftigten unter Druck gesetzt, überlange Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen und Anzeichen von Müdigkeit aus Angst vor Konsequenzen zu verbergen. Der Druck wächst, denn durch die Erholung des Flugverkehrs nach der Pandemie bei gleichzeitigem Personalmangel ist die Arbeitsbelastung für die Beschäftigten deutlich gestiegen. Sie haben längere Schichten und müssen auf Ruhepausen verzichten.
Fast jeder dritte Pilot und fast die Hälfte der Flugbegleiter gaben zu, manchmal zu zögern, sich krankzumelden, selbst wenn es aus Sicherheitsgründen notwendig wäre. Anonym sagen die Betroffenen: «Ich fühle mich wie ein Krimineller, nur weil ich krank bin». Ein anderer Flugbegleiter berichtete, dass der Leiter einer europäischen Basis geschrien habe: «Ihr seid hier, um zu verkaufen, verdammt noch mal».
Die Studie zeigt auch, dass der starke Fokus auf Bordverkauf wie Parfüm oder Alkohol die eigentliche Aufgabe des Kabinenpersonals gefährdet: die Sicherheit der Passagiere zu gewähren. Für die Crew bedeutet das Stress, weil sie zwischen Verkaufsdruck und Sicherheitsverantwortung hin- und hergerissen sind. Gleichzeitig gibt es oft unklare Regeln, was ihre Pflichten genau sind.
Laut der Studie sind die Arbeitsbedingungen «kein rein soziales Problem mehr, sondern haben direkte Auswirkungen auf Sicherheit, Wohlbefinden und Ermüdung – drei eng miteinander verknüpfte Faktoren. Ohne faire und stabile Arbeitsbedingungen sei ein sicherer und widerstandsfähiger europäischer Luftfahrtsektor nicht möglich.»
Die Autorinnen und Autoren fordern von der EU konkrete Schritte, um die Situation von Besatzungsmitgliedern zu verbessern. Dazu gehören: besserer Kündigungsschutz, klare Regeln für Heimatstandorte, mehr Aufmerksamkeit für das Wohlbefinden am Arbeitsplatz und stärkere Mitspracherechte für alle.
Die Studie der Universität Gent (UGent 2.0 – Evolving social challenges for aircrew and the need for regulatory response) können Sie hier herunterladen.
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