Airbus sieht sich gezwungen, kurzfristig in die weltweite A320-Familien-Flotte einzugreifen. Nach einem «jüngsten Ereignis» an einem Flugzeug der Familie hätten Analysen gezeigt, dass intensive Sonnenstrahlung sicherheitsrelevante Daten für die Flugsteuerung verfälschen kann, teilte der europäische Hersteller am Freitagabend (28. November) mit.
Betroffen sei eine «signifikante Anzahl» von Flugzeugen der Airbus-A320-Familie im aktiven Dienst. Auf Nachfrage von aeroTELEGRAPH erklärt Airbus, dass über 6000 Flugzeuge weltweit betroffen sind. Per sogenannter Alert Operators Transmission (AOT) fordert Airbus die Betreiber auf, unverzüglich verfügbare Software- und/oder Hardware-Schutzmaßnahmen umzusetzen, um den sicheren Betrieb der Flotte zu gewährleisten.
Airbus A320 weltweit müssen überprüft werden
Airbus räumt ein, dass die Vorgaben zu operativen Einschränkungen und Störungen für Fluggesellschaften und Fluggäste führen werden, entschuldigt sich dafür und betont zugleich, dass Sicherheit «oberste und übergeordnete Priorität» habe.
Je nach Flugzeugtyp und -konfiguration fällt der Eingriff unterschiedlich aus, so Airbus auf Anfrage von aeroTELEGRAPH. Viele Jets können das Software-Update direkt dort erhalten, wo sie sich gerade befinden; andere müssen dafür an ihre Basis zurückkehren. Bei älteren Exemplaren ist möglicherweise zunächst eine Hardware-Änderung nötig, bevor das Update eingespielt werden kann. Die Aktualisierung selbst gilt als unkompliziert.
Betroffene Airbus A320 müssen sofort angepasst werden
Die europäische Luftfahrtbehörde Easa veröffentlichte weniger als zwei Stunden später eine dringliche Lufttüchtigkeitsanweisung, die auf Airbus' Warnung beruht. Diese verlangt, dass betroffene Flugzeuge vor dem nächsten Flug mit einem Software-Update umgerüstet werden. Erlaubt sind lediglich Überführungsflüge zu Wartungsstandorten mit bis zu drei Zyklen und ohne Passagiere.
Nach der Maßnahme darf der betroffene Computer nicht mehr installiert werden, und auch bei nicht betroffenen Flugzeugen ist der Einbau untersagt. Ziel ist es, eine mögliche nicht vom Cockpitpersonal veranlasste Höhenruderbewegung auszuschließen, die im Extremfall die strukturelle Integrität des Flugzeugs beeinträchtigen könnte.
Kosmische Strahlung war für Probleme bei Airbus A320 verantwortlich
Auch wenn Airbus von intensiver Sonnenstrahlung spricht: Gemeint ist nicht einfach starke Sonneneinstrahlung, sondern hochenergetische solare Partikelstrahlung, wie sie insbesondere bei Sonnenstürmen auftritt. Diese Form der Strahlung kann in großen Flughöhen elektronische Systeme beeinflussen und einzelne Datenbits in Computern verändern, sogenannte Single Event Upsets.
Solche Effekte sind in der Luftfahrt zwar selten, aber bekannt. Im nun analysierten Fall könnte die Strahlung Daten verfälscht haben, die für die korrekte Funktion der Flugsteuerung entscheidend sind.
Air Astana verschiebt Abflüge für Updates
Als erste Fluggesellschaft meldete sich Air Astana aus Kasachstan zu Wort. Airbus habe eine Anweisung herausgegeben, die alle Fluggesellschaften verpflichte, das Computersystem zur Höhenkontrolle und die Betriebssoftware dringend zu aktualisieren. «Die Anweisung schreibt vor, dass die Arbeiten vor dem nächsten Flug jedes Flugzeugs abgeschlossen sein müssen.»
Air Astana werde daher Abflüge von ihren Basen verschieben, um das obligatorische Update durchzuführen und so die Flugsicherheit zu gewährleisten. Man unternehme alle Anstrengungen, die Auswirkungen auf den Flugplan so gering wie möglich zu halten, dennoch seien Flugänderungen und -verspätungen möglich, so die Fluglinie.
Wizz Air bereite Passagiere auf Flugstreichungen vor
Wizz Air teilte mit, man bestätige «dass einige ihrer Flugzeuge zu den weltweit über 6500 Flugzeugen der Airbus-A320-Familie gehören, die ein Software-Update benötigen». Man habe die notwendigen Wartungsarbeiten umgehend eingeplant, um die vollständige Einhaltung der empfohlenen Sicherheitsmaßnahmen zu gewährleisten. «Daher kann es am Wochenende zu Flugausfällen kommen», erklärt die ungarische Fluggesellschaft.
Die Nachrichtenagentur Reuters, die das AOT-Dokument von Airbus einsehen konnte, berichtet, das Problem liege bei einem Computer namens Elac (Elevator and Aileron Computer). Dieser sendet Steuerbefehle an die Hohenruder, die die Nickbewegung beziehungsweise den Neigungswinkel des Flugzeugs kontrollieren. Hersteller Thales, erklärte, dass die betreffende Funktionalität durch eine Software unterstützt werde, für die man jedoch nicht verantwortlich sei.
Vorfall, der alles auslöste geschah bei Jetblue
Wie aeroTELEGRAPH aus mehreren Quellen erfuhr, handelte es sich bei dem von Airbus erwähnten «jüngsten Ereignis» um einen Vorfall bei Jetblue Ende Oktober. Dabei verlor ein A320 im Landeanflug plötzlich an Höhe, wodurch es mehrere Verletzte gab. Auch laut dem Portal Aviation Herald war dabei der Elac beeinträchtigt.
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