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Interview mit Willie Walsh, IAG

«Sechs weitere Airbus A380 würden Sinn machen»

IAG-Chef Willie Walsh im exklusiven Interview über die Flottenplanung seiner Gruppe, die Konkurrenzsituation in Wien und die Boeing 737 Max.

Man kann momentan nicht über Luftfahrt reden, ohne das Thema Umweltschutz anzuschneiden. Nervt Sie das?
Willie Walsh: Nein! Ich rede schon lange darüber. Ich erinnere mich daran, dass ich 2006 bei einem Treffen des Iata-Vorstands eine Rede hielt und sagte, wir müssten uns da verbessern. Von anderen europäischen Airlinechefs würde ich damals unterstützt, der Rest der Welt war noch nicht soweit. Heute ist das anders. Reden Sie mit irgendeinem Chef einer Fluglinie – alle sind sich des Themas bewusst und machen irgendwas.

Was machen Sie denn persönlich? Kompensieren Sie Ihre Flüge?
Ich kompensiere manche Flüge, aber nicht alle.

Warum nicht alle?
Weil das Vereinigte Königreich eine Flugticketabgabe für Passagiere bereits eingeführt hat, auch als Umweltsteuer.

Und das ist nicht gut?
Es nervt mich, dass wir eine Steuer zahlen müssen, die aufgrund der Auswirkungen der Luftfahrt auf die Umwelt eingeführt wurde, die Einnahmen daraus aber nicht dafür eingesetzt werden, das zu ändern.

Sind Sie also gegen jede Art der Luftfahrtsteuer?
Zumindest, wenn sie falsch ausgelegt ist. Das Problem ist, dass die die Steuern nach der Profitabilität ausgerichtet sind. Und wenn Sie die Profitabilität der Fluglinien verringern, bleibt weniger Geld, um zum Beispiel in neue Flugzeuge zu investieren, die umweltfreundlicher unterwegs sind als ältere.

Stehen solche Entscheidungen bei Ihnen in nächster Zeit an?
Ja. Wir haben eine kleine Flotte von Embraer, die für BA Cityflyer ab London City unterwegs sind und wollen diese ersetzen.

Ich hatte die Möglichkeit, in einem 737 Max-Simulator zu fliegen und das MCAS im Betrieb zu sehen.

Welche Flugzeuge schauen Sie sich dabei an?
Sowohl die E2-E190 von Embraer als auch der Airbus A220 kommen in Frage. Wir wollen mindestens 26 neue Flugzeuge kaufen.

Und was ist Ihr Favorit? Immerhin fliegt BA Cityflyer bereits mit Embraer…
Eine Entscheidung fällen wir in den kommenden Monaten. Ich halte beide Jets für sehr gute Produkte und habe noch keinen Favoriten.

Sie haben im Januar auch einmal erwähnt, dass Sie gerne «mehr mit Boeing machen» würden. Dabei sprachen Sie explizit von der Boeing 737 Max als großartigem Flugzeug. Hat sich Ihre Meinung seither geändert?
Nein, überhaupt nicht. Ich finde immer noch, dass wir mehr mit Boeing machen sollten. Vor allem bei den Mittelstreckenfliegern. Angesichts des Umfangs unseres Betriebs sehe ich keinen Grund, warum wir uns nur auf Airbus beschränken sollten. Teils scheint der Eindruck zu herrschen, dass wir immer ein reiner Airbus-Betreiber sein werden. Aber das ist nicht gesund. Zwischen den Flugzeugbauern muss Wettbewerb herrschen.

Haben Sie wirklich volles Vertrauen in die 737 Max – trotz der beiden Abstürze und der vielen negativen Schlagzeilen?
Ja. Boeing wird das Problem lösen. Und nach allem, was ich persönlich weiß, hätte ich kein Problem, an Bord einer Boeing 737 Max zu reisen – ich würde mich wohlfühlen.

Dann sagen Sie mir, was Sie wissen.
Ich weiß, was alle wissen. Aber ich hatte auch die Möglichkeit, in London Gatwick in einem 737 Max-Simulator zu fliegen und das MCAS im Betrieb zu sehen. Mit den Änderungen, die Boeing einführt – vorbehaltlich der Zustimmung der Aufsichtsbehörden – ist das Problem aus technischer Sicht gelöst. Auch unter den Airlines herrscht ein größeres Bewusstsein über die technische Seite des Systems.

Schon 2012 hatten wir überlegt, die Vueling-Flotte von Airbus auf Boeing umzustellen.

Auch Boeings Kommunikation wurde scharf kritisiert. Haben Sie das auch als ungenügend wahrgenommen?
Im Gegenteil. Wir sind – noch – kein Max-Betreiber also erwarten wir auch nicht von ihnen, ständig mit uns zum Thema in Kontakt zu bleiben. Ich habe zwar nicht mit allen Betreibern der Max gesprochen, doch ich habe von keinem Airlinechef gehört, der sich über Boeings Kommunikation beschwert hat. Sie waren auch mir gegenüber sehr offen, als ich sie kontaktierte und über das Thema mehr erfahren wollte.

Also meinen Sie es wirklich ernst, wenn Sie sagen, IAG wolle mehr mit Boeing machen und ist «noch» kein Max-Betreiber?
Ja, sehr ernst. Es ist auch nicht das erste Mal, dass wir uns solche Gedanken machen. Schon 2012 hatten wir überlegt, die Vueling-Flotte von Airbus auf Boeing umzustellen.

Aber Sie haben es nicht getan.
Der Grund dafür war aber nicht, dass wir die Boeing-Flugzeuge nicht für gut halten. Aber die Auswirkungen, die das aufs ganze Geschäft gehabt hätte, wären zu groß gewesen. Für eine solche Fluggesellschaft ist es ein riesiger Aufwand, den Flugzeugtyp zu wechseln. Aber wir haben es damals wirklich überlegt.

Und heute wäre der Aufwand weniger groß?
Vueling ist heute als Airline deutlich reifer. Auch IAG ist als Organisation herangereift und wir könnten Vueling – sollte es Vueling sein – mehr Unterstützung beim Wechsel geben.

Wir sind sehr interessiert am A321 XLR

Das klingt ziemlich ernst! Könnte die 737 Max auch für andere Gruppenairlines fliegen?
Wir haben auch schon einmal erwogen, eine andere Flotte ab London-Gatwick einzusetzen. Immerhin war die Flotte dort mal eine 737-Flotte. Für Iberia würde es weniger Sinn machen, ebensowenig für Aer Lingus. Die Kombination von Airbus-Kurz- und Langstreckenjets ergibt bei beiden Sinn. Wenn dann auch noch der A321 LR und irgendwann der XLR dazukommen, dann ist die Kombination ideal.

Aber der XLR wurde noch nicht einmal offiziell angekündigt.
Nein, aber wir sind sehr interessiert an ihm. Für Aer Lingus würde er zusätzliche Nutzlast bedeuten. Dort ist die Reichweite nicht zentral. Für Iberia wäre die wiederum wichtig. Dort ist der LR noch nicht genügend.

Wo würde Iberia mit dem XLR denn hin können?
Er würde zum Beispiel Ziele wie Recife ermöglichen. Aber auch Afrika oder die US-Ostküste wären damit machbar.

Für Level haben wir den A321 LR vorgesehen.

Und Level? Geschäftsführer Vincent Hodder äußerte sich auch kürzlich positiv über den XLR.
Wir haben das Thema für Aer Lingus und Iberia untersucht. Für Level haben wir erstmal den A321 LR vorgesehen.

In unserem letzten Interview vor rund zwei Jahren waren Airbus A380 noch ein Thema – aus zweiter Hand. Inzwischen werden davon ja einige verfügbar. Sind Sie immer noch interessiert?
Ja. Bei British Airways würden wir definitiv darüber nachdenken.

Wenn Sie sie gratis kriegen?
Wenn wir sie zum richtigen Preis erhalten. Das größte Problem sind die Kosten des Umbaus, die ziemlich hoch sind. Wir müssen sicher sein, dass wir das so machen können, dass es sich für uns lohnt, und dann wird es ein Thema. Wir haben derzeit zwölf A380 in der Flotte von British Airways und könnten uns 18 vorstellen. Sechs weitere Airbus A380 würden also Sinn machen.

Nur für British Airways? Sie hatten auch mal laut über den A380 für Aer Lingus oder Iberia nachgedacht.
In erster Linie ist er ein Flugzeug für British Airways. Das Flugzeug funktioniert auf Routen mit hohem Passagiervolumen und eingeschränkter Verfügbarkeit von Slots. Bei Aer Lingus sind kleinere Flieger wie der A321 LR besser, weil man dann mehrfach täglich auf den entsprechenden Strecken fliegen kann und mehr Optionen hat.

Die Entwertung des argentinischen Peso spüren wir.

Innerhalb der Lufthansa-Gruppe werden die Flugzeuge in Sachen Kabine, aber auch teilweise bei der Bemalung so angepasst, dass sie – oder Ersatzteile – im Zweifel leichter austauschbar sind. Haben Sie keine ähnlichen Pläne?
Wenn wir gemeinsame Flugzeugtypen haben, tun wir das schon und haben dieselbe Kabine oder zumindest eine, die sich zu günstigen Kosten umbauen ließe. Ich glaube aber auch, es ist für uns als Gruppe wichtig, nicht nur eine Art Flugzeug zu haben.

Das jüngste IAG-Familienmitglied Level tut sich derzeit etwas schwer. Eigentlich läuft es nur in Barcelona wirklich gut.
In Barcelona lief es lange Zeit außergewöhnlich gut, bis dann die Entwertung des argentinischen Peso kam, die wir spürten. Dennoch sind wir dort zufrieden.

Anders als zum Beispiel in Paris. Dort läuft das Geschäft mit der Billig-Langstrecke weniger gut. Haben Sie sich verschätzt?
In Barcelona haben wir gesehen, dass die Nachfrage vom Preis getrieben wurde und sich dann materialisiert hat. In Paris ist das ungewöhnlicherweise nicht passiert. Zudem ist gerade auf Strecken wie Guadeloupe und Martinique eine ganze Menge an extra Kapazität hinzugekommen. Jetzt haben sich einige Anbieter wieder zurückgezogen, und es sieht für die Zukunft etwas besser aus. Es ist eine Herausforderung, aber das heißt nicht, dass wir dort keinen Erfolg haben werden.

In Wien sind Sie mit Level auf die Kurzstrecke gegangen. Auch das läuft nicht wirklich gut.
Die Kapazität, die nach Wien gegangen ist, ist wahnsinnig. Jeder ist dort in den Markt eingetreten.

Wir sind nach Wien gekommen, um zu bleiben.

Und warum haben Sie das auch gemacht?
Wie so oft war sich nicht jeder bewusst, was die Wettbewerber tun. Also haben wir alle Wien angeschaut und fanden es einen attraktiven Standort – was er auch war. Und dann sind wir alle gleichzeitig dorthin. Für die Passagiere in Wien ist das natürlich großartig, weil die Preise so niedrig sind.

Für Ihre Airline weniger. Wie lange geben Sie Level in Wien noch?
Wir sind dorthin gekommen, um zu bleiben. Wir werden uns nicht zurückziehen, auch weil das Feedback der Kunden wirklich großartig ist. Jetzt muss es nur noch finanziell funktionieren. Und das kann es. Die Kostenbasis, die wir dort haben, ist eigentlich sehr attraktiv.

Ähnliches sagen Ihre Konkurrenten in Wien auch. Aber alle werden dort doch auf Dauer keinen Platz haben. Wer geht als erstes?
Es wird interessant sein, zu sehen was passiert. Aber wenn zum Beispiel Ryanair dort 150 Millionen im Jahr verbrennt, ist das für Ryanair keine sehr nachhaltige Sache. Und das ist nicht, wie sie Geschäfte machen. Etwas wird sich also ändern. Ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass die Preise angepasst werden. So wie jetzt werden die Airlines in Wien nicht weitermachen.

Für Norwegian ist es eine Herausforderung

Level operiert seit dem Start in Wien auch auf der Kurz- und Mittelstrecke – genau wie Vueling, die im Grunde dasselbe Geschäftsmodell hat. Wird es beide Marken noch lange geben?
Wir haben die Marken sehr genau untersucht. Die Marke Vueling ist extrem stark in Spanien, Italien und Frankreich – wo wir auch sehr aktiv sind. Als wir uns die Langstrecke angeschaut haben, haben wir aber bemerkt, dass sie in anderen Märkten – etwa den USA – nicht funktionierte.

Sie haben nie über eine Umbenennung nachgedacht?
Es gäbe schon Situationen. Als wir zum Beispiel überlegt hatten Norwegian zu kaufen, habe ich Björn Kjos gesagt, dass wir vielleicht Vueling zu Norwegian machen könnten, weil nach unseren Untersuchungen die Marke Norwegian sehr gut ist. Aber: Wir waren wirklich überrascht, wie stark Vueling in ihren Märkten ist und lassen für den Moment gern alles so wie es ist.

IAG hat die Anteile an Norwegian wieder verkauft und Sie sagen, Sie haben kein Interesse mehr, die Airline zu kaufen? Warum denn, wenn die Marke so stark ist? Norwegian muss doch gerade auch sehr billig sein.
Das ist sie auch. Der Aktienkurs ist sich inzwischen deutlich gesunken. Aber wir haben entschlossen, das sein zu lassen. Wir hätten noch weiter so tun können, als wären wir interessiert, aber so arbeiten wir nicht. Das wäre auch nicht fair gegenüber Norwegian gewesen.

Wir haben uns Thomas Cook angeschaut, sind aber zum Schluss gekommen, dass das nicht passt.

Was hat sich denn geändert?
Es hat sich in den Verhandlungen herausgestellt, dass wir nicht zu einer Position gelangen konnten, in der wir uns wohl gefühlt hätten. Also war es besser, dass wir uns zurückziehen und ihnen alles Gute wünschen.

Und werden diese guten Wünsche erfüllt?
Für Norwegian ist es schon eine Herausforderung. Ich hoffe wirklich, dass sie es schaffen, aber ihre finanzielle Situation bleibt schwierig. Sie werden es sicher durch den Sommer schaffen, aber wie viele andere Airlines wird es gegen das vierte Quartal schwierig. Auch wir bei IAG merken den Druck, der dieses Jahr noch deutlich stärker ist als letztes. Wir waren zwar anders als viele Konkurrenten auch im vergangenen Quartal profitabel, aber haben fürs vierte Quartal unsere Wachstumspläne angepasst. Guckt man sich dann noch an, dass Norwegian noch mit den Problemen durch die Boeing 737 Max und 787 zu kämpfen hat, werden sie es sicher nicht leicht haben.

Auch die Airlines von Thomas Cook stehen zum Verkauf. Warum ist das nichts für IAG?
Wir haben sie uns angeschaut, sind aber zum Schluss gekommen, dass das nicht passt. Die Passagierzahlen von Thomas Cook hängen zu einem signifikanten Teil von Reiseanbietern ab. Und das wollen wir für unser Unternehmen nicht.

Wir müssen eine ähnliche Struktur, wie wir sie bei Iberia und British Airways haben, auch bei Aer Lingus einführen

Können wir noch über den Brexit reden oder stehen Sie dann auf und gehen?
Klar können wir über den Brexit reden, ich habe damit kein Problem.

Wären Sie am 29. März bereit gewesen?
Ja. Das wären alle. Aber natürlich ist die Verzögerung für viele wohl auch hilfreich. Jetzt gehen wir erstmal vom 31. Oktober aus, aber das kann sich auch noch ändern, je nachdem, wer die konservative Partei führen und wer Premier wird.

Und was passiert mit IAG am 31. Oktober oder wann immer sonst der Brexit nun kommt?
Das Leben geht ganz normal weiter. Wir haben alles in die Wege geleitet und immer sehr deutlich gesagt, dass unsere Struktur mit allen Regeln vereinbar ist. Wir müssen nun eine ähnliche Struktur, wie wir sie bei British Airways und Iberia haben, auch bei Aer Lingus einführen. Aber das ist vorbereitet und kann umgesetzt werden, sobald es nötig ist. Dafür standen wir in regelmäßigem Kontakt mit den nationalen Behörden

In Spanien schien das Thema Probleme zu bereiten – sind die gelöst?
Es wurde viel darüber berichtet, aber das waren falsch- oder schlecht informierte Medienberichte. Wir hatten einen sehr regelmäßigen und konstruktiven Dialog mit den nationalen Aufsichtsbehörden.

Sie haben kürzlich auch die Aktien, die von Käufern außerhalb der EU erworben werden können, limitiert. Macht das die Aktien nicht viel unattraktiver?
Diese Regelung war schon bei der Gründung von IAG in den Unterlagen festgehalten und wurde so auch von den Aktionären durchgewunken. Das Ganze hat nichts mit dem Brexit zu tun – auch wenn vielerorts davon ausgegangen wird. Zumindest einige Aktionäre waren sich dieser Regelung auch sehr bewusst.

IAG-Vorstandsvorsitzender Willie Walsh startete seine Karriere bei Aer Lingus als Pilot und war am Ende Boeing-737-Kapitän. Zeitgleich absolvierte er ein Wirtschaftsstudium am Trinity College. Nach und nach arbeitete er sich im Management hoch – bis ganz an die Spitze. 2005 ernannte British Airways den Iren zum Chef. In dieser Position zog Walsh die Strippen bei der Fusion mit Iberia und übernahm nach der Gründung von IAG dort das Steuer. Mittlerweile gehören zur International Consolidated Airlines Group neben British Airways und Iberia auch Aer Lingus, Vueling und Level.