Letzte Aktualisierung: um 22:57 Uhr

«Der Speck muss runter!»

[image1]Harzige Zeiten für Lufthansa & Co. Experte Cord Schellenberg erklärt, wieso, wie man das Problem löst und wer es richtig macht.

Gleich mehrere Negativschlagzeilen aus der Luftfahrt in einer Woche: Hohe Verluste bei Lufthansa und Air France und die Pleite der dänischen Cimber Sterling. Auch die Airline, die hauptsächlich im Chartergeschäft tätig war, hatte im vergangenen Jahr einen Verlust von rund elf Millionen Euro eingeflogen und hatte langfristig offenbar keine Aussichten auf Besserung mehr. Die Zeiten sind durchwachsen, Airlines suchen nach neuen Strategien, um langfristig profitabel zu sein. Wie die Erfolgsaussichten sind, schätzt Cord Schellenberg, Luftfahrtexperte und Vizepräsident des Luftfahrt-Presseclubs, im aeroTELEGRAPH-Interview ein.

[image2]Lufthansa und Air France-KLM legten dieser Tage ziemlich durchwachsene Resultate vor. Und beide fahren nun eine Strategie, in der sie auf Kurz- und Mittelstrecken überlegen, es mehr wie die Billigflieger zu machen und dafür vorhandene Kapazitäten ihrer Töchter zu nutzen. Für wie sinnvoll halten Sie diese Maßnahmen?
Cord Schellenberg: Die traditionellen europäischen Fluggesellschaften können die Augen nicht vor der Realität verschließen: Die «Günstigflieger» übernehmen das Ruder. Sie bieten den Fluggästen günstige Preise, immer öfter sogar einen guten Service und sind deshalb außerordentlich beliebt. Dieses Geschäftsmodell hat sich im Europaverkehr durchgesetzt, die Full Service Carrier müssen nachziehen, wenn sie erfolgreich im Markt bleiben möchten.

Eigentlich wollen die Großen aus Europa sich durch einen hochklassigen Service hervorheben. Ist es da schlau, nun die Low-Cost-Schiene zu fahren?
Schellenberg: Wir werden sehr wahrscheinlich eine Spreizung des Marktes erleben: Auf der einen Seite die klassischen Low-Cost-Anbieter mit einer All-Economy-Bestuhlung an Bord, auf der anderen Seite die Full-Service-Airlines mit entweder ebenfalls durchgehender Economy-Class oder zuweilen noch mit einer Business Class auf den Langstrecken-Zubringerflügen. Wenn sie ihre Kosten senken, können die Full-Service-Airlines hier durchaus eine große Rolle spielen. Allerdings: Einige Low-Cost-Carrier wie Aer Lingus, easyJet und Vueling setzen immer mehr auf Extra-Service gegen Bezahlung – beispielsweise für die Lounge-Nutzung am Flughafen oder das Essen an Bord. Damit bewegen sich diese «Value Carrier» immer mehr auf das Geschäftsmodell der traditionellen Fluggesellschaften im Kurzstrecken Verkehr zu, der Wettbewerb wird hart bleiben!

Die Golf-Anbieter machen es anders und wollen mit Luxus-Angebot die zahlungsbereiten Kunden ködern. Eignet sich das nicht auch für Lufthansa & Co.?
Schellenberg: Es wird immer ein paar Luxus-Kunden geben – aber wollen die nicht viel lieber im eigenen Geschäftsreisejet sitzen, als im Linienflugzeug? Alle Langstreckenfluggesellschaften müssen sich den spezifischen First Class Markt sehr genau anschauen: In welchen Verkehrsgebieten lohnt sich First Class langfristig, wo ist eine herausragende Business Class mehr gefragt? Ich erwarte, dass die Business Class auf den meisten Routen künftig die First Class als Premium-Kabine ablösen wird. Die Fluggäste werden mehr First Class Komfort zu Business Class Preisen erhalten, dafür wird der Wettbewerb der Fluggesellschaften um die Geschäftsreisenden sorgen.

Was ist das europäische Problem?
Schellenberg: Auf eine einfache Formel gebracht: Hohes Angebot, hohe Kerosinpreise, hohe Kosten. Über Jahre haben die großen europäischen Fluggesellschaften ihre Verluste im Europa-Verkehr hinter den sprudelnden Gewinnen aus dem Langstreckenverkehr verstecken können. Das geht heute nicht mehr, da die Golf-Airlines auf der Langstrecke immer stärker wachsen und Passagiere von den europäischen Fluggesellschaften absaugen.

Bei welchen Airlines kann man sich etwas abschauen?
Schellenberg: Ryanair und easyJet beispielsweise arbeiten hoch profitabel, mit Aer Lingus gibt es sogar eine frühere Traditionsfluggesellschaft, die eine notwendige Fitnesskur erfolgreich gemeistert hat und wieder Gewinne schreibt. Diese Kur haben andere noch vor sich – der Speck muss runter!

Wo sehen Sie weiteres Krisenpotential?
Schellenberg: Ich glaube, dass die aktuelle Situation genügend Herausforderung bietet. Man darf nicht den Fehler machen, die europäischen Fluggesellschaften abzuschreiben. Sie verfügen über viel Erfahrung und mutige Manager – Lufthansa hat in den vergangenen Jahrzehnten einige Krisen aus eigener Kraft gemeistert.

Am Kerosinpreis, der für große Teile der Verluste verantwortlich gemacht wird, dürfte sich mittelfristig nichts ändern – wie können Airlines dennoch langfristig profitabel bleiben?
Schellenberg: Der Kerosinpreis ist gesetzt. Mit ihm muss jeder zurechtkommen. Aber natürlich wird nicht jede Fluggesellschaft die notwendige Fitnesskur meistern. Malév, Spanair oder aktuell Cimber Sterling sind der Beweis dafür, dass es auch mal keine erfolgreiche Geschäftsperspektive gibt. So schwer das für die Mitarbeiter und Kunden der betroffenen Fluggesellschaften ist, so sehr stärkt die Konsolidierung die anderen, gesünderen Airlines.

Wird sich die Einnahmenstruktur ändern?
Schellenberg: Lufthansa hat es in den vergangenen Monaten vorgemacht: Mehr Passagiere zu höheren Ticketpreisen bei gleichzeitig verlangsamtem Wachstum. Das erscheint mir – zusammen mit den angekündigten Stellenstreichungen und Kostensenkungen – eine gute Formel.

Wie sehen sie die weitere Entwicklung in Europa?
Schellenberg: Es werden weitere Airlines aus dem Markt ausscheiden, aber sicherlich auch neue hinzukommen. Andere wiederum werden wachsen – Vueling beispielsweise profitiert vom Aus der Spanair und setzt stark auf Wachstum. Ich bin weiterhin Optimist, denn der Flugverkehr wächst weltweit stark, denn er profitiert sowohl generell von der Globalisierung als auch speziell von den Emerging Markets wie China, Indiens und Brasilien, um nur drei Länder herauszugreifen.

Trotz Krisenmeldungen können sich die Flugzeugbauer vor Bestellungen kaum retten, scheint es. Wie passt das zusammen?
Schellenberg: Fluggesellschaften müssen ihre Zukunft selber in die Hand nehmen. Dazu gehört eine moderne, effiziente und umweltfreundliche Flotte. Die Amerikaner habe einmal den Fehler gemacht, auf alte Flotten mit 727, DC-9 oder 747-200 zu setzen, weil ihnen das Geld für Investitionen in neue Jets fehlte. Diese Strategie wurde von steigenden Ölpreisen abgestraft, das gilt heute noch viel mehr als damals. Sicher dürfen die Wünsche der Airlines nicht in den Himmel wachsen, es wird also zu Bereinigungen in den Orderbüchern von Airbus, Boeing & Co. kommen. Aber bei den dicken Polstern, auf denen die großen Flugzeughersteller momentan sitzen, sehe ich darin keine wirkliche Gefahr. Eine Abkühlung des Marktes ist viel gesünder als eine Überhitzung!