Die Landung einer russischen Ilyushin Il-76 mit unbekannter Mission erhitzt in Brasilien die Gemüter. Wer sich mit der Betreiberin Aviacon Zitotrans beschäftigt, stößt auf Geschichten über kubanische VIP-Hubschrauber, gerettete Elefanten und überlistete Taliban - sowie auf Sanktionen und Vorwürfe gegen die Fluggesellschaft.
In Brasilien sorgt gerade eine Ilyushin Il-76 für Aufregung. «Von den USA sanktioniertes russisches Flugzeug landet ohne Missionsinformationen in Brasilia», titelt etwa das Portal DF Mobilidade. Das russische Frachtflugzeug mit dem Kennzeichen RA-78765 war am 7. August in Moskau gestartet und nach Stopps in Baku (Aserbaidschan), Algiers (Algerien) und Conakry (Guinea) am 10. August am Flughafen der brasilianischen Hauptstadt angekommen.
DF Mobilidade schreibt, dass es sich wohl um einen Charterauftrag handelt, aber nichts dazu bekannt ist, ob es sich um einen kommerziellen Cargoflug, eine humanitäre Mission oder gar einen diplomatischen Einsatz handelt. Auch Politiker haben sich zu Wort gemeldet.
So sagt etwa Senator Marcio Bittar laut der Zeitung Gazeta Do Povo: «Das brasilianische Volk hat das Recht, in aller Klarheit über die Art der transportierten Fracht, die Besatzung und die Mission dieses Flugzeugs auf unserem Territorium informiert zu werden.» Die Zeitung merkt zudem an, dass die Il-76 nur einen Tag nach einem Telefongespräch zwischen Brasiliens Präsident Lula da Silva und Kremlchef Vladimir Putin in Brasilia gelandet sei.
Das Flugzeug, das den Medien und Politikern in Brasilien so viele Rätsel aufgibt, gehört der privaten russischen Frachtfluggesellschaft Aviacon Zitotrans aus Yekaterinburg. Die Airline, die im Juni ihren 30. Geburtstag feierte, gibt sich in gewisser Hinsicht sogar durchaus offen.
Gegründet am 2. Juni 1995, führte Aviacon Zitotrans bis 1999 Passagier- und Frachtflüge von Yekaterinburg hauptsächlich in die Vereinigten Arabischen Emirate und in die Türkei durch, wie sie selber zum Jubiläum auf ihrer Webseite schreibt. Ursprünglich bestand die Flotte aus Ilyushin Il-62, Il-76 und Tu-154. Doch dann spezialisierte sich die Fluggesellschaft auf reinen Charterfrachtbetrieb mit Il-76 TD. Aktuell besteht die Flotte aus fünf dieser Flugzeuge, wie die Portal CH Aviation und Flightradar 24 zeigen. Sie sind zwischen 31 und 37 Jahre alt.
Jedes der Flugzeuge hat eine maximale Zuladung von 46 Tonnen und einen Frachtraum von 18 x 3,45 x 3,4 Metern. «Die Flugzeuge sind mit Bordkränen ausgestattet und benötigen keine spezielle Bodenbe- und -entladeausrüstung», so Aviacon Zitotrans. Man könne mit den Maschinen auf kurzen, unbefestigten Landebahnen landen und liefere «in die entlegensten Winkel der Welt» große Güter und Maschinen, etwa Raketen- und Weltraumtechnologie, Hubschrauber, Seecontainer, Tiere, humanitäre Hilfe und medizinische Ausrüstung.
2004 unterzeichnete Aviacon Zitotrans einen Vertrag mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Von einer ihrer IL-76 gibt es sogar ein Miniaturmodell mit UN-Beklebung. «Mit der Kennung RA-76386 ist das 1993 gebaute Flugzeug seit 2004 in humanitärer Mission der UN im Einsatz», ist dazu heute noch im Produkt-Archiv des Herstellers Herpa zu lesen.
2020 brachte eine der Il-76 außerdem den «einsamsten Elefanten der Welt» in einer Initiative der Sängerin und Tierschützerin Cher aus Pakistan nach Kambodscha. 2022 transportierte die Fluggesellschaft 146 Katzen und 171 Hunde von Afghanistan nach Vancouver in Kanada. Die Tiere waren zuvor in Kabul in einer Tierklinik untergebracht, die aber im Zuge der Machtübernahme der Taliban aufgegeben wurde. 2024 lieferte die Fluggesellschaft einen VIP-Hubschrauber der kubanischen Regierung zur Wartung von Kuba nach St. Petersburg.
Eine der Il-76 die heute zur Flotte von Aviacon Zitotrans gehört, damals aber noch einen anderen Betreiber hatte, stand zudem von August 1995 bis August 1996 im afghanischen Kandahar. Die Taliban hatten das Flugzeug, das mit Waffen für die Armee von Präsident Burhanuddin Rabbani beladen war, abgefangen und festgesetzt. Der Crew gelang es nach rund einem Jahr aber, ihre Wächter zu überwältigen, die Il-76 mit dem Kennzeichen RA-76842 zu starten und mit ihr in die Vereinigten Arabischen Emirates zu fliehen.
All diese Geschichten erwähnt Aviacon Zitotrans in ihren Mitteilungen zum 30-jährigen Jubiläum. Was sie nicht erwähnt, sind die Sanktionen, welche die USA gegen die Fluglinie erlassen haben. «Das Amt zur Kontrolle von Auslandsvermögen des US-Finanzministeriums ergreift heute weitere Maßnahmen, um die Fähigkeit der Russischen Föderation zur Kriegsführung gegen die Ukraine zu schwächen», teilte die Behörde im Januar 2023 mit. Zu den Zielen dieser Maßnahmen gehörten auch Aviacon Zitotrans und vier ihrer Flugzeuge.
Die russische Frachtfluggesellschaft habe «Frachttransporte für sanktionierte Verteidigungseinrichtungen der Russischen Föderation abgewickelt», so das Amt. «Darüber hinaus hat Aviacon Zitotrans militärische Ausrüstung wie Raketen, Sprengköpfe und Hubschrauberteile in die ganze Welt transportiert», etwa nach Venezuela und Afrika.
«So versuchte Aviacon Zitotrans beispielsweise im September 2022, ein türkisches Unternehmen und türkische Diplomaten zu nutzen, um den Verkauf russischer Verteidigungsausrüstung ins Ausland im Auftrag von Rosoboroneksport OAO, einem von den USA designierten staatlichen Verteidigungsunternehmen der Russischen Föderation, zu erleichtern», schrieb die Behörde. Sie setzte sowohl das Unternehmen auf die Sanktionsliste als auch vier der fünf Il-76 (Kennzeichen RA-76842, RA-76502, RA-76846 und RA-78765).
Ausgiebig mit Aviacon Zitotrans beschäftigt hat sich anschließend auch Inform Napalm, ein Recherche-Projekt, das 2014 nach der russischen Annexion der Krim gegründet wurde. Dabei nutzte es vor allem auch Daten, die die ukrainische Hacktivistengruppe Cyber Resistance beschafft hatte. So veröffentlichte Inform Napalm in mehreren Artikeln zu der Fluggesellschaft unter anderem Aufnahmen von Zertifikaten, Frachtbriefen sowie Piloten-Dokumenten, deren Echtheit allerdings nicht unabhängig verifizierbar ist.
Laut Inform Napalm deuten die Informationen stark darauf hin, dass Aviacon Zitotrans im Auftrag des staatlichen Rüstungsexporteurs Rosoboroneksport auch heute noch militärische Güter transportiert, etwa in afrikanische Länder. Darüber hinaus - so ein weiterer Vorwurf - spiele die Flotte eine entscheidende Rolle bei der Umgehung internationaler Sanktionen, indem sie sanktionierte Güter für die russische Rüstungsindustrie transportiere.
Zu den Piloten sollen laut den Recherchen ehemalige und aktive Mitarbeiter verschiedener russischer Sicherheitsbehörden und der Armee gehören. «Insgesamt dient dieses Unternehmen als Instrument für den Transport verschiedener Güter im Interesse des russischen militärisch-industriellen Komplexes», bilanziert Inform Napalm.
Derweil hat die RA-78765 Brasilien wieder verlassen. Am 13. August flog sie nach Santa Cruz in Bolivien. Am 14. August ging es weiter, zuerst nach Bogota in Kolumbien und dann nach Caracas in Venezuela.
Im folgenden Video zu sehen ist die RA-78765 bei einer Landung 2021 in Eindhoven: