Letzte Aktualisierung: um 13:02 Uhr

Interflug

«Die SED war allgegenwärtig»

Vor 55 Jahren gründete die DDR die Interflug. aeroTELEGRAPH sprach mit einem Ex-Navigator über die Sicherheit, die Politik und Flüge in den Westen.

Am 28. Juni 1991 bekam Bernd Bauer Post von Liquidator Jobst Wellensiek. «Wie Ihnen bekannt ist, befindet sich die Interflug Gesellschaft für internationalen Flugverkehr mbH in Liquidation. Das hat zur Folge, dass ihr bisheriger Arbeitsplatz wegen der damit verbundenen Betriebsstilllegung nicht mehr existent ist», stand in dem Brief. Damit endete eine mehr als 25-jährige Karriere im Dienste der DDR-Fluggesellschaft. Bauer flog für Interflug als Navigator in die weite Welt. Im Gespräch mit aeroTELEGRAPH erzählt er von seinen Erlebnissen.

Warum beschlossen Sie zu Interflug zu gehen?
Bernd Bauer: Das war nicht anders als bei vielen anderen auch. Am Anfang stand die Faszination fürs Fliegen. Mein Vater war schon Segelflieger, ich war Segelflieger und so wollte ich ein «großer» Flieger werden.

Was wurde geprüft, bevor Sie angestellt wurden?
Bauer: Es gab ein allgemeines Aufnahmegespräch vor Studienbeginn und dann wie üblich eine Flugtauglichkeitsprüfung.

Und Beziehungen brauchte es keine?
Bauer: Für das Studium selber nicht. Ich schloss an der TU Dresden als Ingenieur für Flugzeugführung ab. Aber später, für die Aufteilung im Cockpit in Bordmechaniker, Navigator und Pilot, brauchte es dann durchaus die richtigen Beziehungen. Ich hatte diese nicht. Ich war noch nicht in der Einheitspartei SED und wurde deshalb «nur» Flugnavigator. Darüber war ich nie glücklich. Ich wollte eigentlich an den Steuerknüppel. Aber ich hatte so immerhin einen Platz im Cockpit.

Welchen Status genoss man denn als Interflieger in der DDR-Gesellschaft?
Bauer: Ich hatte nicht den Eindruck, dass diese Position etwas Besonderes darstellte. Etwas beneidet wurden die Angestellten, die in den Westen durften, die so genannten NSW-Flieger. Aber es war nur eine Arbeit – inklusive Sonntag, Weihnachten, Tag und Nacht. Wir waren immer im Einsatz. Besonders geschätzt wurde das nicht. Die Jahresprämien, die uns eigentlich zustanden, wurden an die Putzfrauen verteilt um sie bei Laune zu halten – das waren schließlich die Werktätigen. Bei der Gewerkschaft FDGB gab es verbilligte Urlaubsreisen – aber nicht für uns. Die Fliegenden verdienen in deren Augen ja doch sooooo viel.

Was faszinierte Sie an Ihrer Arbeit?
Bauer: Das Fliegen steckt einfach so in mir drin, das fordert die Sinne und den Kopf. Es ist ein gesunder Stress. Ich bin zeitig weg von zu Hause und wollte in die Welt – da war die Fliegerei das Richtige. Wenn ich nicht Flieger geworden wäre, wäre ich zur See gefahren, als Offizier.

Was war denn Ihr schönstes Erlebnis?
Bauer: Als Navigator führte ich den Funksprechverkehr ab einer bestimmten Höhe. Meine Stimme war nach einigen Jahren bekannt in Osteuropa. Ich hatte Freunde auf der Erde – bei der Flugsicherung. Diese Menschen sah ich niemals, aber sie kannten eben meine Stimme. So kam es, daß mir die Flugsicherung in Riga «Guten Morgen» auf Lettisch beibrachte – «labas rytas». Sie taten das, einfach aus Spaß, weil sie meine Stimme immer wieder hörten. Das geschah alles auf der offiziellen Frequenz und war natürlich nicht erlaubt. Meine Kollegen nannten mich bald «voice of europe».

Spürte man den Einfluss der Politik bei der Arbeit?
Bauer: Die SED war allgegenwärtig – und einfach lästig. Ich mogelte mich schlicht durch. Meinen Eintritt in die SED zögerte ich solange wie möglich hinaus, aber es war unvermeidlich. Bei meiner Aufnahme stand ein altgedienter Genosse auf und stimmte gegen mich. «Wir brauchen keine Mitläufer», sagte er. Das war die Wahrheit und sehr ehrlich – aber es gehörte sich natürlich nicht. Ich wurde trotzdem in die Partei geschoben. Regelmäßig wurde ein so genanntes Parteilehrjahr abgehalten, eine politische Schulung und Diskussion im kleinen Arbeitskreis. Ich saß meist stumm da. Deshalb wurde mir ab und zu ein Vortrag zu einem bestimmten Thema zugeteilt. Dann schrieb ich etwas dazu aus der Zeitung ab und las es als eigene Worte vor. Dafür wurde ich im Protokoll lobend erwähnt.

Aeroflot-Flüge spionierten immer wieder den Westen mit unautorisierten Tiefflügen oder Routenabweichungen aus. Bekamen Sie auch mal so etwas bei Interflug mit?
Bauer: Davon weiß ich nichts. Wir haben so etwas nicht gemacht, so weit es mir bekannt ist. Ich war ja aber nur ein kleines Licht in der dritten Reihe.

Welches waren denn die beliebtesten Strecken bei Interfliegern?
Bauer: Schlicht formuliert waren das die Strecken, auf denen Westgeld als Tagegeld ausgezahlt wurde.

Wer durfte ins nicht-sozialistische Ausland fliegen?
Bauer: Das wichtigste war eine familiäre Bindung. Wer Frau und Kinder hatte und einigermaßen politisch zuverlässig war, der durfte in den Westen fliegen. Ich durfte dann nach zehn Jahren dank einer Empfehlung meines Vorgesetzten auch in den Westen fliegen.

Hatte man auch Kontakt zu Personal von West-Airlines?
Bauer: Unsereins machte da einen großen Bogen darum. Der Bericht über eine solche Begegnung wäre schneller zu Hause gewesen als ich selbst. Höhergestellte konnten sich das eher erlauben.

Die Sicherheit bei Ost-Airlines gilt im Rückblick nicht als vorbildlich. Wie erlebten Sie das?
Bauer: Es gab wohl Probleme. Aber die sowjetische Technik war robust und eigentlich zuverlässig. Bei meinen Flugzeugtypen, der Iljuschin Il-18 und der Tupolew Tu-134, kann ich mich nicht an ernsthafte technische Probleme erinnern. Die Werft in Schönefeld arbeitete sehr gut und sie verstand ihre Sache. Flugzeuge, die dagegen aus der Werft in Minsk kamen, wurden in unserer Werft noch einmal durchgesehen. Und das war auch gut so!

Gab es im Gegenzug auch Dinge, wo Interflug überlegen war?
Bauer: Ich glaube unser Verhältnis im Cockpit war einfach menschlicher als bei westlichen Gesellschaften. Klar gab es mal Differenzen, aber es war anders. Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen am Boden waren freundlicher, friedlicher als heute. Aber Überlegenheit war das nicht. Überlegenheit bei der Interflug – dazu fällt mir wirklich nichts ein.

Was passierte in der Zeit nach der Maueröffnung, was änderte sich da bei Interflug?
Bauer: Mich überraschte das alles total. Wie ein Blitz durchfuhr es mich. «Nun ist Schluß mit Interflug, nichts wie weg, etwas Neues muss her», dachte ich mir. Ich wendete mich sofort von der Interflug ab. Als Navigator hatte ich keine Chance. Den gab es ja im Westen schon lange nicht mehr. Eine Umschulung zum Piloten kam nicht mehr in Frage. Zum Glück bekam meine Frau ein Angebot im Westen.