Letzte Aktualisierung: um 19:25 Uhr

Segelfliegen

Eindrückliche Rekorde im Segelflug

Immer wieder werden neue Rekord im Segelflug erreicht. Möglich macht das auch der enorme technische Fortschritt. Eine Bestandesaufnahme.

Lilienthals Fluggeräte waren reine Gleiter. Er brauchte eine Anhöhe, um abgleiten zu können. Und so war es auch in der Anfangszeit des Segelfliegens auf der Rhön. Nicht umsonst musste man ja auf einen Berg gehen. Dann wurde im vom Wind angeblasenen Hang der Hangflug und über den Gewitterflug der Thermikflug entdeckt. Später gab es an den Dünen der Kurischen Nehrung oder an den Alpillen bei St. Remy in der Provence Dauerflugrekorde im Hangwind.

Daher hat sich bei Laien die Vorstellung erhalten, dass man zum Segelfliegen Wind benötigt. Gelegentlich hört man auch nach einer durch fehlenden Auftrieb erzwungenen Landung im Gelände, die meist etliche Neugierige anlockt, die Bemerkung: «Gab es keinen Wind mehr?» Der Pilot stellt dann klar, dass man zum in der Luft bleiben nicht Wind, sondern Aufwind braucht, jedenfalls bei dem am häufigsten genutzten Aufwind, der Thermik.

Auch der Wind wird genutzt

Aber tatsächlich wird auch immer häufiger der Wind selbst genutzt, als Hangwind, wie in der Anfangszeit des Segelfluges, und in zunehmendem Maße der Wellenaufwind. Letzterer hat den Vorteil, dass er schwerpunktmäßig im Winterhalbjahr (einschließlich Herbst und Frühling) auftritt, und damit auch in den langen Zeiträumen ohne nutzbare Thermik lange Flüge und lange Streckenflüge erlaubt. Wellenwetterlagen ermöglichen aber nicht nur extrem lange Strecken zu bewältigen, sondern bieten auch die einzige Möglichkeit, große Höhen zu erreichen.

Wellen entstehen unabhängig von der Sonneneinstrahlung unter besonderen meteorologischen Bedingungen . Wenn die Welle lange genug steht (tatsächlich handelt es sich um stehende Wellen im physikalischen Sinne), kann man sie von Sonnenauf- bis -untergang nutzen, dem maximalen Zeitraum, in dem man Segelflug legal betreiben kann. So ist auch der fast unglaubliche Streckenweltrekord von 3008,8 km Länge möglich geworden. Er wurde 2003 von Klaus Ohlmann im Wellensystem der argentinischen Anden erflogen, wozu er 15:17 h benötigt. Das ergibt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 197 km/h!

Ein Rekordflug in Deutschland

Dies bedeutet eine extreme physische und mentale Belastung des Piloten. Er sitzt in einem engen, wenn auch bequemen Cockpit, muss die meiste Zeit durch eine Sauerstoffmaske atmen und jede Sekunde voll konzentriert sein. Unter den zahllosen Rekordflügen in der Segelfluggeschichte war auch der Flug von Hans-Werner Grosse am 25. April 1972 von Lübeck nach Biarritz besonders spektakulär. Er ging über 1460,8 km und dauerte 11:30 h, ein Schnitt von 127 km/h! Er nutzte eine kaum noch auftretende Wetterlage, bei der das Azorenhoch sich nordostwärts bis Skandinavien erstreckt. An seiner über Deutschland und Frankreich liegenden Südostflanke ergibt das eine starke Nordostströmung mit trockener kühler Luft, ideal für die Bildung früher und lang anhaltender Thermik.

Im Juni des darauf folgenden Jahres bin ich selbst in einer K6E, einem Segler der Holzklasse, 550 km von Göttingen bis kurz vor Paris in 7:17 h geflogen, in ähnlicher Wetterlage. Heute sind Segelflüge von 1000 Kilometer und mehr über Deutschland keine Seltenheit mehr. Der erste davon gelang Klaus Holighaus als sogenanntes FAI-Dreieck (kein Schenkel unter 25 Prozent der Gesamtstrecke). Ich erlebte einen sehr kurzen Schreckmoment im Rahmen eines dieser Rekordversuche, als ich bei einem 500-Kilometer-Dreiecksflug in starker Thermik über dem Spessart kreiste, und plötzlich aus einem Kreis heraus einen Hochleistungssegeler mit sehr bekanntem
Wettbewerbskennzeichen bemerkte, der in buchstäblich letzter Sekunde vor mir hochgerissen wurde, um einen near miss zu vermeiden. Passiert im Eifer der Rekordjagd, obwohl ein kreisendes Segelflugzeug schon aus einiger Entfernung gut zu erkennen sein sollte.

Segelflugzeuge enorm verbessert

Seither wurden Segelflugzeuge noch erheblich verbessert, und dies in mehreren Aspekten. Zunächst war es die Werkstoffentwicklung, die mit dem ersten Segelflugzeug in Kunststoffbauweise, dem Phönix (1957) und seinem Nachfolgemodell, dem Bölkow Phöbus (1964) in Glasfaser-Kunstharz-Technik, einen sprunghaften Leistungsgewinn gegenüber der Holz- oder Stahlrohrrumpfbauweise brachte. Beste Gleitwinkel von 1:40 wurden erreicht. Heute kommen Kohlefaser oder moderne Verbundwerkstoffe zum Einsatz, die wegen ihrer hohen Belastbarkeit sehr schlanke, widerstandsarme Bauweisen und damit insbesondere dünne Tragflächen großer Spannweite ermöglicht haben.

So hat das größte Segelflugzeug der offenen Klasse, die Eta, eine Spannweite von 30,9 Meter. An der Flügelwurzel beträgt die Profildicke nur etwa 15 Zentimeter. Die Eta erreicht eine beste Gleitzahl von über 70 (!). In ruhiger Luft würde man also mit 1000m Höhenverlust 70 km weit fliegen können. Dabei hat so ein Flügel ein Bruchlastvielfaches von über 5 g, das heißt er würde mehr als das Fünffache des Flugzeuggewichtes aushalten. Es mag überraschen, dass ein Verkehrsflugzeug mit stillgelegten Triebwerken immerhin auf Gleitwinkel von mehr als 1:20 kommt, das allerdings bei wesentlich höheren Geschwindigkeiten, als ein Segelflugzeug, einigen
hundert km/h dort gegenüber rund 100 hier.

Passagierflugzeuge gucken bei Seglern ab

Das hat auch die spektakuläre Notlandung eines Airbus A320 im Januar 2009 auf dem Hudson River bei New York ermöglicht, nachdem Vogelschlag beide Triebwerke hat ausfallen lassen. Im Juli 2000 musste ein A310 in Wien-Schwechat im Segelflug notlanden,weil sich das Fahrwerk nach dem Start auf Kreta nicht vollständig einfahren lies und der Captain den erhöhten Kerosinverbrauch durch den größeren Luftwiderstand falsch einschätzte, trotz mehrfacher Einwände seines Kopiloten, die er ignorierte. 270 Kilometer vor Wien fielen in 9500 Meter Höhe die Triebwerke aus. Das ergibt einen Gleitwinkel von 1:28 (!), also etwa dem des Segelflugzeuges ASK13, einem heute noch beliebten Schuldoppelsitzer in Stahlrohr-Holz-Bauweise. Aber das erscheint etwas zu hoch gegriffen, denn erstens war das Fahrwerk ja nicht ganz eingefahren und zweitens konnte ein Triebwerk auch noch kurzzeitig in Gang gesetzt werden.

Schon seit langem werden Verbundwerkstoffe auch in Verkehrsflugzeugen, besonders zur Gewichtseinsparung, verwendet, dem Segelflug abgekuckt. Ein zweiter entscheidender Faktor ist die Flügelform. Sie sollte im Langsamflug (in der Thermik) größtmöglichen Auftrieb bringen, und im schnellen Geradeausflug minimalen Widerstand. In einem starren Profil muss man einen optimalen Kompromiss zwischen diesen Anforderungen finden. Es werden daher in leistungsstarken Segelflugzeugen auch Wölbklappen verwendet, mit denen man das Flügelprofil entsprechend anpassen kann. Eine solche Optimierung für ein starres Profil gelang Walter Schneider, Ko-Konstrukteur von Wolf Lembke der LS-Typen, was er 1980 bei der sogenannten Vorweltmeisterschaft in Paderborn-Haxterberg bewies.

Sogar das Zwanzigfache

Er flog eine LS3, eigentlich ein Wölbklappenflugzeug, bei der er aber die Wölbklappen fixiert hatte und somit in der Standardklasse mit starrem Profil mitfliegen konnte. Die Idee: die LS3 (sogenannte Rennklasse) hatte ein auf optimalen Schnellflug zielendes Profil. Für die Thermik konnte man ja durchwölben. Vielleicht ergab diese Maßnahme ja eine Vorteil in der Standardklasse, bei nur geringem Verzicht in Bezug auf die erreichbaren Steigwerte in der Thermik. Ich meine mich zu erinnern, dass er damit einen deutlichen Vorteil erzielte und die Standardklasse gewann. Der Prototyp für die (bis heute sehr beliebte) LS4 mit überlegenen Flugleistungen in der damaligen Standardklasse war geboren!

Wichtig für den schnellen Reiseflug ist aber auch das Eigensinken im hohen Geschwindigkeitsbereich. Hochleistungssegelfluzeuge erreichen hier Werte von 2m/s oder weniger bei 200 km/h. Weiter ist ein Blick auf den Widerstandsbeiwert interessant, ein Faktor also, der für den Widerstand maßgeblich ist und u. a. von der Geschwindigkeit abhängig ist. Segelflugzeuge erreichen hier Werte von 0,3 oder weniger. Zum Vergleich, für gängige PKWs gilt das 10- oder sogar 20-fache!

Motor-Segler kein Widerspruch

Ein dritter Faktor, der zu einer erheblichen Leistungssteigerung im Segelflug beigetragen hat, ist die Meteorologie. Neben dem besseren Verständnis der Wetterverhältnisse sind es insbesondere die detaillierten Vorhersagen über die regionalen und zeitlichen Wetterentwicklungen, die auf umfangreichen Modellrechnungen basieren. Es gibt heute zahllose Wetter-Apps, die sehr verlässliche Vorhersagen des tageszeitlichen Verlaufs der Wetterentwicklung, insbesondere auch von Temperatur, Windstärke und -richtung, sogar von Thermikstärke und -höhe in einer weiträumigen geographischen Ausdehnung bieten, aber auch entsprechende Vorhersagemodelle zu Wellenaufwinden. Es gibt Vorhersagen der maximal erreichbaren Tagesstrecken und wo sie geflogen werden können, oder der in Wellen erreichbaren Höhen.

Viele Segelflieger haben sich das Ziel gesetzt, möglichst große Sterecken auch bei reinen Wellenwetterlagen zu fliegen, wie zum Beispiel der schon erwähnte Klaus Ohlmann. Das erlaubt natürlich eine viel verlässlichere Planung von großen Streckenflügen. Sehr viele Segelflugzeugmodelle sind heute motorisiert und werden damit zu Motorseglern. Das ist kein Widerspruch, denn die Motorhilfe dient in der einfachsten Form lediglich dazu, bei Ausbleiben von Aufwinden nicht außenlanden zu müssen, Stärkere Motoren erlauben auch den Eigenstart, so dass ein Pilot weitgehend unabhängig von Hilfspersonal wird, noch dazu wenn er über Einmann-
Aufrüsthilfen verfügt. Er kann also Wetterlagen nutzen, bei denen beispielsweise kein Vereinsbetrieb gegeben ist oder er von einem geeigneten Startplatz startet, um optimale Streckenflugbedingungen zu nutzen. Er könnte auf eine längere Nutzung der Thermik setzen und damit größere Stecken planen, als ohne Rückkehrhilfe, oder sich über unlandbares Gelände wagen.

Bis zu 120 Kilometer pro Stunde

In solchen technischen Ausrüstungen liegt sicher die Zukunft des Leistungssegelfluges, während die preiswerteren reinen Segelflugzeuge der Schulung, lokalen Flügen und weniger ambitionierten Strecken vorbehalten bleiben werden. Zu den verschiedenen Antriebsvarienten, insbesondere dem elektrischen ein anderes Mal mehr. Gegenüber dem Motorflug bleibt die wesentlich stärkere Wetterabhängigkeit des Segelfluges. Im
Grunde kann man sich nicht vornehmen, an einem bestimmten Tag einen bestimmten Flugplatz anzufliegen.

Mit wohl einer Ausnahme. Es gibt einen Motorsegler, die Stemme, der einen langen Reiseflug mit beispielsweise 120 km/h erlaubt und damit eine Brücke zu reinen Motorflugzeugen schlägt. Aber auch dieser Motorsegler kann nur Plätze anfliegen, auf denen Segelflug erlaubt ist.

Ulf Rosenow ist freier Kolumnist von aeroTELEGRAPH. Er war Professor für Medizinische Physik an der Universität Göttingen und betreibt seit mehr als 60 Jahren den Sport Segelflug und ist heute auch Fluglehrer. Die Meinung der freien Kolumnisten muss nicht mit der der Redaktion übereinstimmen.