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BAE 146 und Avro RJ

Wo sind all die Jumbolinos geblieben?

387 Exemplare des knuffigen Vierstrahlers aus Großbritannien wurden insgesamt gefertigt. Wo fliegen die letzten BAE 146 und Avro RJ heute?

Bereits 1973 entwickelte der britische Flugzeughersteller Hawker Siddeley, bekannt vom überaus erfolgreichen Turboprop-Flugzeug HS 748 und den dreistrahligen Trident-Jets, die HS 146. Sie war ein Schulterdecker mit vier Düsentriebwerken des Typs Avco Lycoming ALF 502 R-5 mit exzellenten Kurzstart- und Landeeigenschaften. Leider machte aber die Wirtschafts- und Ölkrise Mitte der 1970er-Jahre zunächst einen Strich durch die Rechnung. Die Entwicklung wurde verschoben.

Das Projekt nahm erst wieder Fahrt auf, als mehrere britische Flugzeughersteller 1978 zur British Aerospace, kurz BAE, zusammengeschlossen wurden. Fortan hiess das Projekt BAE 146 und der Erstflug fand am 3. September 1981 von der Produktionsstätte Hatfield bei London mit der BAE 146-100 mit dem Kennzeichen G-SSSH statt. Das SSSH im Kennzeichen sollte auf die besonders leisen Triebwerke hinweisen.

Erstkunden stornierten

Von Anfang an war ein Stretch vom 70-Sitzer über den 85-Sitzer hin zum 100-Sitzer geplant und somit wurde zeitgleich an der BAE 146-200 und BAE 146-300 gearbeitet. Die BAE 146-200 hatte ihren Erstflug am 1. August 1982 und die BAE 146-300 am 1. Mai 1987. Wurden von der Ursprungsversion -100 nur 33 Exemplare gefertigt, schaffte es die -200 auf 116 Stück und die -300 brachte es auf 71 Exemplare, sodass 220 BAE 146 gebaut wurden.

Leider wurden die Flugzeuge der ersten beiden kommerziellen Kunden nie ausgeliefert, denn sowohl BAF-British Air Ferries, mit einer Order von zehn Exemplaren, als auch Lapa aus Argentinien mit einem Exemplar, stornierten die Bestellungen noch vor den Auslieferungen. Dennoch betrieb der Erstkunde BAF aus Grossbritannien dann später als British World Airlines noch drei gebrauchte -300er.

Großbritannien, Brasilien, USA

Es gingen weitere Bestellungen ein und Erstabnehmer war die Royal Air Force, die 1983 mit der ZD 695 die erste BAE 146-100 in ihre Queens-Flight-Flotte aufnahm. Der erste kommerzielle Betreiber war Taba aus Brasilien, die im Dezember 1983 die erste BAE 146-100 in Empfang nahm. Der erste britische Betreiber war Dan Air London, die 1984 das erste 100er-Exemplar übernahm. Dan Air hatte bis zu fünf 100er und vier 300er im Einsatz.

Die britische Air UK, als zweiter ziviler Betreiber aus dem Herstellerland, hatte bis zu zwei 100er, acht 200er und zwölf 300er im Betrieb. Auch in den USA war das Muster überaus erfolgreich. Air Wisconsin war als United Express der Erstkunde der 200er-Version und betrieb letztendlich zwei 100er, 18 200er und fünf 300er. Aber auch PSA (20 200er), Air Pac (eine 100er), Aspen Airways (vier 100er), Aircal (sechs 200er), Presidential (eine 100er und acht 200er unter anderem im Auftrag von Continental und United) und Discovery Airways (fünf 200er) orderten dieses Muster.

Großes Interesse

Auch in Europa erfreute sich das Flugzeug großen Interesses. Speziell der Flughafen London-City mit seiner damals noch kürzeren Landebahn war bislang nur für Propellerflugzeuge und Geschäftsreisejets geeignet und mit der BAE 146 eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten, auf der kurzen Piste mit deutlich größeren Kapazitäten zu operieren. Speziell British Airways und Air France waren hier Vorreiter und liessen dieses Muster durch Partner wie Cityflyer Express und City Jet nach London-City operieren. Auch Crossair aus der Schweiz war mit vier 200er und einer 300er in Kooperation mit der Swissair dort im Einsatz. Aber auch in anderen Kontinenten war man erfolgreich. Ansett in Australien und Neuseeland orderte zwölf 200er und 21 300er und China Northwest Airlines kaufte sieben 300er.

Aufgrund der grossen Nachfrage wurde bald eine zweite Produktionslinie in Woodford bei Manchester eröffnet. Ab Februar 1992 wurde die Produktionsstätte in Hatfield bei London geschlossen und die gesamte Produktion wurde auf Woodford konzentriert. Auch wurde das Muster überarbeitet und verbessert mit Allied Signal (vormals Avco Lycoming und später Honeywell) LF 507 Turbofan-Triebwerken mit höherer Leistung, Glascockpit, EFIS Navigationssystem und geräumigem «Space Cabin Interieur». Fortan hießen neu produzierte und so modifizierte BAE 146-100 Avro RJ70, BAE 146-200 Avro RJ85 und BAE 146-300 Avro RJ100.

Start mit neuem Namen

Die erste Maschine war die Avro RJ85 mit dem Kennzeichen G-ISEE, die am 23 März 1992 in Woodford abhob. Und wieder war es mit Mesaba Airlines eine Airline aus den USA, die als Erstkunde für den Avro RJ85 als Northwest Airlink mit 36 Stück auftrat. Gleichzeitig avancierte sie zum größten Betreiber aller BAE 146/Avro RJ überhaupt. Das erste Flugzeug wurde 2000 abgeliefert. Der Prototyp des kleineren Avro RJ70 bekam das Kennzeichen G-BUFI und jener des größeren Musters Avro RJ100 G-OIII.

Insgesamt wurden zwölf Avro RJ70, 85 Avro RJ85 und 70 Avro RJ100 gefertigt, sodass insgesamt 167 Avros gebaut wurden. In Europa orderten speziell Lufthansa Cityline (18 RJ85), DAT als Tochter von Brussels Airlines (14 RJ85 und zwölf RJ-100) und Cityflyer Express (16 RJ100). Insgesamt verteilten sich die BAE 146/Avro-RJ-Flotten analog zur Erstauslieferung zu 44 Prozent nach Europa, 35 Prozent nach Nordamerika, 11 Prozent nach Asien, 7 Prozent nach Australien, 2 Prozent nach Südamerika und 1 Prozent nach Afrika.

In Europa oft nicht fabrikneu

Somit fand das Muster Anklang auf allen Kontinenten. Auch flogen die BAEs und Avros in den Farben vieler grosser Airlines, ohne dass diese selbst welche orderten, sie wurden stets durch Partner betrieben wie United durch Air Wisconsin, Northwest durch Mesaba, Lufthansa durch CityLine, Air France durch City Jet, Brussels Airlines durch DAT und British Airways durch Cityflyer. Interessant ist auch, dass viele uns aus Europa bekannte BAEs und Avros gar nicht fabrikneu zur Erstauslieferung an diese Airlines gelangten, sondern erst gebraucht übernommen wurden.

So stammt die Flotte von City Jet aus Irland überwiegend von Mesaba. Auch Eurowings, die einst 18 BAE 146 (acht 200er und zehn 300er) einsetzte, bekam diese gebraucht unter anderem von Hamburg Airlines, Crossair und Meridiana. Oft hatten diese Flieger noch ganz woanders ihre Karriere begonnen.

Umbauten und Neuentwicklungen

Aufgrund des geringen Lärmpegels eignete sich dieses Flugzeug ideal für nächtliche Frachtflüge. Die Firma Hayes International in Dothan, Alabama, rüstete bereits 1987 die ersten fünf BAE 146-200 zu BAE 146-200 QT (Quiet Trader) für den Frachtspezialisten TNT um. Auch Braathens, Malmö Aviation und West Air Europe orderten umgebaute BAE 146 in der Quiet Trader-Version und auch die 300er-Version wurde entsprechend umgerüstet.

2007 schloss BAE eine Kooperation mit dem rumänischen Unternehmen Aerostar in Bacau für entsprechende Umbauten. Insgesamt wurden so 16 BAE 146-200 und elf BAE 146-300 zu Frachtern umgebaut. Auch von Passagier- in Frachtversion umrüstbare Quick-Change-Varianten wurden angeboten. BAE wollte auch den Avro RJ als Frachterumbau anbieten. Ein entsprechendes Interesse bestand hier ebenfalls von ASL, die für Fedex operiert.

Projekt auf Eis

Allerdings wurde keine Bestellung erteilt und man legte das Projekt wieder auf Eis. Zudem arbeitete man bei BAE an einer nochmals verbesserten Version des Avros. Im Jahr 2000 wurde der Avro RJX mit 5 Prozent mehr Leistung, 16 Prozent weniger Treibstoffverbrauch, 17 Prozent grösserer Reichweite gelaunched. Der Prototyp, der Avro RJX-85 mit Kennzeichen G-ORJX machte am 28 April 2001 seinen Erstflug ab Woodford, gefolgt von der RJX-100 G-IRJX am 23. September 2001. Als Erstkunden traten die britische Flybe mit 14 Exemplaren und die Druk Air aus Bhutan auf.

Allerdings gingen auch keine weiteren Bestellungen mehr ein. Die Terroranschläge in den USA am 11. September 2001 und die dadurch eingebrochene Nachfrage in der Luftfahrt taten ihr Übriges. Eine Markteinführung war nun nicht mehr realisierbar. Somit stoppte BAE im November 2001 das Projekt und beendete auch mögliche Projekte mit einer nur zweistrahligen Variante. Auch wurde verkündet, das Avro RJ-Programm einzustellen.

Viele Unfälle

Der zweite Prototyp der RJX-85 wurde nicht mehr zu Ende gebaut. Flybe musste die Bestellung nicht stornieren, man wurde einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Wäre der Avro RJX gebaut worden, wir hätten heute viele davon in der aktuellen Lila-Bemalung bestaunen können. Am 26 November 2002 wurde der letzte Avro RJ-85 an die finnische Air Botnia ausgeliefert, danach wurde die Produktionslinie in Woodford geschlossen. Der Prototyp des Avro RJX-100 mit Kennzeichen G-IRJX ist das letzte große in Großbritannien gebaute Passagierflugzeug. Er ist im Runway Visitor Park des Flughafens Manchester ausgestellt.

Die BAE 146 und Avro RJ verzeichneten zusammen insgesamt 19 Unfälle der A1-Kategorie mit Totalverlust und 294 Toten. Die schlimmsten Unfälle anhand der Anzahl der zu Tode gekommenen Insassen waren jene am 29. Januar 2003 mit einer Avro RJ100 von Turkish Airlines im Anflug auf Diyarbakir in der Türkei bei schlechter Sicht und am 28 November 2016 mit einer Avro RJ85 der bolivanischen Lamia im Anflug auf Medellín mit Treibstoffmangel. Somit sind knapp 5 Prozent aller produzierten BAE 146 und Avro RJ verunglückt.

Iranische Airline Spitzenreiterin

Von der BAE 146-100 sind weltweit gerade noch vier von einst 33 im Einsatz, davon eine in Asien und drei in Europa. Die 200er ist noch mit 18 weltweit aktiven Exemplaren präsent, dazu kommen noch zwei in der Quick-Change- und vier in der Quiet-Trader-Version. Die meisten davon finden sich in Nordamerika.

In Europa sind es nur noch fünf, inklusive den Frachtern. Gebaut wurden einst 116 200er. Von der BAE 146-300 findet man weltweit nur noch zwölf Exemplare, die Hälfte davon sind Quiet-Trader-Frachter. In Europa findet man davon drei aktive Exemplare, in Asien zwei und in Australien noch eine. Die Quiet-Trader-Frachter der 300er-Version sind mit vier von sechs Exemplaren speziell noch in Australien aktiv. Gebaut wurden einst 71. Somit stehen also weltweit noch 40 Flugzeuge von einst 220 BAE 146 bei 17 Fluggesellschaften im Dienst, also 18 Prozent der gesamten Fertigung. Die Top-Drei-Betreiber sind Mahan Air aus dem Iran mit 61,5 Prozent aller noch fliegenden BAE 146, gefolgt von Qantas Link aus Australien mit 14,7 Prozent und Skyjet Airlines auf den den Philippinen mit 14,3 Prozent.

Von Bolivien bis Europa

Von den nur zwölf gebauten Avro RJ70 finden sich heute nur noch zwei aktive wieder, eine in Bolivien und eine in Grossbritannien. Von den 85 RJ85 sind heute noch 43 aktiv bei 15 Airlines. Zwölf davon findet man in Europa, gefolgt von Nordamerika mit elf Exemplaren. 33 Avro RJ100 der 72 gebauten Exemplare stehen heute noch in Diensten von 14 Fluggesellschaften. Somit sind weltweit noch 78 Avro RJ von 167 gebauten im Dienst und somit etwas mehr als 46 Prozent der gesamten Fertigung.

Die Top-Drei-Betreiber des Avro RJ sind BRA aus Schweden, City Jet aus Irland mit je knapp 20 Prozent und Ecojet aus Bolivien mit 5 Prozent der aktuell noch aktiven Avro RJ. Die BAE 146 und Avro RJ zusammen bringen es auf 118 noch aktive Exemplare von 387 gebauten, also auf 30 Prozent und somit ein Drittel der gesamten Produktion. Zur Zeit der Einstellung der BAE 146/Avro RJ/RJX-Programme im Jahre 2001 und der letzten Auslieferung Ende 2002 gab es längst Konkurrenzmodelle mit ähnlicher Kapazität, aber mit nur zwei Triebwerken.

Neues Leben Wasserbomber

Speziell die Embraer 190/195 avancierte zum BAE/Avro-Ersatz weltweit. Aber auch Produkte wie die Bombardier CSeries/A220, der Sukhoi Superjet, die Comac ARJ21 und künftig die Mitsubishi Spacejet dürften die letzten BAEs und Avros ersetzen. Dennoch ist ihr Leben noch lange nicht zu Ende.

Die Rolle als Wasserbomber in Nordamerika ist diesem Muster wie auf den Leib geschrieben. So war es die im Segment der Feuerlöschflugzeuge tätige Conair/Aero Flite aus Abbotsford in Kanada, die speziell die Avro RJ85 zu Wasserbombern umrüstete, um 11.500 Liter Löschmittel zu transportieren und speziell bei Waldbränden abzusetzen. Den Anfang machten ehemalige Lufthansa Cityline Passagier-Avro RJ85, denen diese neue Aufgabe zukam.

Lebensdauer verlängert

Aktuell befinden sich neun Exemplare der ARJ85AT in der Flotte. Auch Neptune Aviation Services aus Missoula, Montana, rüstete sechs BAE 146-200 zu BAE 146-200A/AT Wasserbombern um, genauso wie Air Spray aus Chico in Kalifornien mit fünf BAE 146-200A/AT. Somit sind 20 der aktiven BAE 146/Avro RJ Wasserbomber. Auch zu Forschungszwecken ist die Avro RJ aktiv, z.B. als E-Fan X Elektro-Hybrid-Testflugzeug in Kooperation mit Airbus. Die Avro RJ100 G-WEFX hat dazu ein Elektrotriebwerk erhalten.

Last but not least hat BAE ein LEP-Life Extension-Programm aufgelegt, welches die maximale Lebensdauer von 40.000 auf 60.000 Landungen pro Flugzeugleben erhöht. Dies wird auch dazu beitragen, dass dieses Flugzeug nicht so schnell vom Himmel verschwindet.

Malmö – Stockholm und Busunga und Manila

Die aktuell am häufigsten mit 18 Starts pro Woche und Richtung geflogene Strecke mit einer BAE 146 ist jene der philippinischen Skyjet Airlines zwischen Busunga und Manila, obwohl Skyjet Airlines nur je zwei 100er und 200er betreibt. An zweiter Stelle kommt die iranische Mahan Air mit 15 wöchentlichen Starts pro Richtung zwischen Shiraz und Teheran. Mahan Air kommt unter den Top-Drei-BAE 146-Strecken auch der dritte Platz mit elf Starts pro Woche und Richtung zwischen Kerman und Teheran zu. Mahan Air betreibt derzeit eine 200er, vier 300er, zwei RJ85 und drei RJ100.

Die stärkste Avro RJ-Strecke ist aktuell jene zwischen Dublin und London-City mit 36 Starts pro Woche und Richtung. Durchgeführt werden diese Flüge von der irischen City Jet, die aktuell zehn Avro RJ85 betreibt. Diese Strecke wird im Auftrag der Aer Lingus überwiegend in deren Farben bedient. Auf Platz zwei der Top-Drei Avro-RJ-Strecken kommt die schwedische BRA, denn Malmö – Stockholm/Bromma kommt auf 27 wöchentliche Starts pro Richtung.  BRA betreibt aktuell zwei Avro RJ85 und acht Avro RJ100. Den dritten Platz belegt Tez Jet aus Kirgistan mit ihren beiden Avro RJ85 und der Rennstrecke zwischen Osh und Bishkek, die es auf 17 wöchentliche Starts pro Richtung bringt.

Dieser Text von Detlef Döbberthin stammt von unserem Partner Jetstream, dem internationalen Luftfahrtmagazin.