Letzte Aktualisierung: um 22:23 Uhr

Jonas Janukenas, Avia Solutions Group

«Wet-Lease wird in Zukunft wichtiger werden»

Avia Solutions Group ist mit Avion Express, Smart Lynx und Klasjet Marktführer im Wet-Lease in Europa. Im Interview spricht Chef Jonas Janukėnas über Ausbaupläne, die künftige Flotte und Herausforderungen.

Als im März 2020 die Pandemie ausbrach, stand die gesamte Branche unter Schock. Sie erlitten in jenem Jahr den ersten Verlust seit langer Zeit. Was dachten Sie damals, als Ihnen klar wurde, dass dies eine große Sache sein wird?
Jonas Janukėnas*: Natürlich war uns schnell klar, dass das ein großer Einschnitt war, als die ersten großen Länder in Europa Reisebeschränkungen einführten. Und niemand wusste damals, wie lange das dauern würde. Dennoch haben wir aus der Erfahrung der letzten Jahrzehnte gelernt, dass die Luftfahrt eine sehr widerstandsfähige Branche ist – auch weil sie so wichtig ist. Solange in vielen Gegenden der Welt eine neue Mittelklasse entsteht, die sich erstmals Flüge leisten kann, wird die Branche wachsen. Historisch waren es drei bis fünf Prozent jährlich. Das wird auch künftig so sein – trotz zwischenzeitlicher Rückschläge.

Im Jahr 2021 schreiben Sie bereits wieder Gewinn. Wie konnten Sie einen so schnellen Turnaround schaffen?
Uns hat geholfen, dass wir bereits vor der Pandemie ins Frachtgeschäft expandierten und über unsere Charterbroker-Tochter Chapman Freeborn den Markt bereits gut kannten. Wir betrieben 2020 bereits drei Boeing 747-400 F und suchten schnell weitere Frachter. Die Frachtpreise explodierten und davon wollten wir profitieren. Das ist uns auch gelungen. Inzwischen betreiben wir mit unseren Tochtergesellschaften Arcus Air Logistics, BBN Airlines Nordic, Magma Aviation, Smart Lynx eine Flotte von 34 Frachtern. Natürlich mussten wir aber im Passagierbereich harte Maßnahmen ergreifen und Stellen streichen. Wir mussten 30 bis 40 Prozent des Personalbestandes abbauen. Wir haben aber, anders als viele andere in der Luftfahrtbranche, keinerlei Staatshilfe beansprucht.

Und heute ist Avia Solutions Group wieder zuversichtlich?
Ja, wir sehen die Zukunft rosig. Wir sind als Gruppe so aufgestellt, dass wir Krisen überstehen, ja sogar davon profitieren können. So wurden beispielsweise gewisse Flugzeugmodelle plötzlich viel günstiger. Das haben wir ausgenutzt und unsere Flotte 2021 markant vergrößert. Zugleich kommt ja die Nachfrage stark zurück, wir stehen in Europa bereits bei 90 Prozent des Niveaus von vor der Pandemie. Viele Airlines haben in der Corona-Krise ihre Flotten und ihren Personalbestand verkleinert. Sie konnten den Wiederaufbau nicht so schnell vornehmen, wie es nötig gewesen wäre. Das war eine perfekte Gelegenheit für uns, Wet-Lease ist mit den Töchtern Avion Express, Klasjet und Smart Lynx ja das wichtigste Standbein von Avia Solutions Group. Die Zyklen der Branche bringen Chancen.

Avia Solutions Group kann erhebliche Kosteneinsparungen und Zuverlässigkeit bieten.

Erwartet wurde eigentlich das Gegenteil: In der Pandemie bauten viele Airlines ihre Flotten ab und hatten selbst zu viele Flugzeuge. Viele glaubten, dass das das Ende von Wet-Lease-Anbietern bedeuten würde. Das Gegenteil ist passiert. Weshalb?
Ich glaube, dass viele Fluggesellschaften in den vergangenen Krisen und vor allem in der Pandemie gemerkt haben, dass sie ihre Flotten nicht auf die Nachfragespitzen ausrichten sollten. Zudem gilt im Wet-Lease-Markt: Angebot schafft Nachfrage. Der Markt ist seit Anfang der Neunzigerjahre kontinuierlich gewachsen. Damals begannen auch wir mit wenigen, alten Flugzeugen. Wenn eine Fluggesellschaft kurzfristig zu wenig Flugzeuge hatte, sprangen wir vielleicht für eine Woche ein und konnten dafür hohe Preise verlangen. Inzwischen betreiben wir über 100 Flugzeuge und der Markt hat sich verändert, weil das Angebot größer wurde. Fluggesellschaften sehen, dass sie mit Wet-Lease Spitzen wie beispielsweise die Hochsaison im Sommer effizient ausgleichen können. Das geht eben nur dann, wenn auch das Angebot genügend groß ist. Avia Solutions Group kann erhebliche Kosteneinsparungen und Zuverlässigkeit bieten.

Die Saisonalität gilt aber ja auch für Sie, im Sommer könnten Sie wohl doppelt so viele Flieger brauchen wie im Winter…?
Das ist so. Wir haben aber Beziehungen zu Kunden in Nord- und Südamerika, Afrika und Südostasien aufgebaut. Dort sind die Saisons gegenläufig. Und wir kennen inzwischen die Märkte, die Bedürfnisse und die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Dadurch gleichen wir die schwächere Nachfrage aus Europa aus.

Wie viele Flugzeuge können sie denn im Winter auslasten?
Wir können deutlich mehr als die Hälfte unserer Flotte einsetzen.

Sie betreiben im Wet-Lease-Geschäft mit Smart Lynx und Avion Express sowie neuerdings auch Klasjet drei Airlines. Wäre es nicht sinnvoller, unter einer Marke aufzutreten?
Wir haben während der Pandemie unsere Flotte markant erweitert. Wir wollen aber agil bleiben. Und wenn ein Unternehmen zu groß wird, verliert es an Flexibilität. Deshalb behalten wir die drei Marken.

Gibt es keine Größenvorteile?
Natürlich braucht es auch eine gewisse Größe, um vorteilhafte Konditionen zu erhalten – sei es bei den Flugzeugen, bei der Wartung, bei den Systemen und beim Personal. Hier hilft uns die Gruppe. Wir können als Avia Solutions Group insgesamt anders auftreten. Andererseits können wir viele Dienste auch selbst anbieten, insbesondere dank unserer Wartungstochter FL Technics und unserer Ausbildungstochter BAA Training. Wir sind so nicht auf externe Anbieter angewiesen und dadurch viel schneller – und Geschwindigkeit zählt im Wet-Lease-Geschäft.

Die Boeing 737 Max ist ein sehr attraktives Flugzeug.

Der Wet-Lease-Markt in Europa ist sehr wettbewerbsintensiv. Einige Airlines expandieren gerade ebenfalls in diesem Markt, weil sie ihre Flieger sonst zu wenig auslasten können. Gibt es keine Überkapazitäten, die Ihre Rendite schmälern?
Wir sind die größten in Europa und wir wollen weiter wachsen. Ja, die Konkurrenz nimmt zu, aber unsere Größe hat viele Vorteile und die werden wir weiterhin ausspielen.

Also werden Sie das Wet-Lease-Geschäft weiter ausbauen?
Wet-Lease wird in Zukunft wichtiger werden. Outsourcing ist inzwischen in vielen Branchen ganz normal, um die Kapazität zu steuern. Die Luftfahrt setzt als eine der letzten noch wenig auf dieses Mittel. Das ändert sich gerade.

Wie groß wird Ihre Wet-Lease-Flotte in fünf Jahren sein?
Ich möchte da aus Konkurrenzgründen keine allzu genauen Angaben machen. Aber wir werden sicher um einen hohen zweistelligen Betrag wachsen.

Ihre Wet-Lease-Airlines setzen fast ausschließlich auf Airbus-Jets. Kürzlich haben Sie aber bei Smart Lynx vier Boeing 737 Max 8 eingeflottet. Weshalb?
Die Boeing 737 Max ist ein sehr attraktives Flugzeug. Sie ist größer und hat mehr Reichweite. Das ermöglicht uns neue Geschäfte. Als wir uns die vier Exemplare beschafften, waren die Preise zudem sehr attraktiv. Diese Gelegenheit haben wir ergriffen. Zugleich bauen wir ja gerade bei Klasjet aus. Bisher war die Fluggesellschaft eine reine Charterairline, jetzt tritt sie auch im Wet-Lease-Markt auf. Sie wird bis zum Sommer acht Boeing 737-800 in die Flotte aufnemen und bis Ende 2023 werden es schon 15 Boeing 737-800 sein. Gewisse Kunden wünschen sich Boeing-Jets und mit diesem raschen Ausbau reagieren wir darauf.

Und sind Airbus A320 Neos und A321 Neos ein Thema?
Wir werden sicherlich zu einem gegebenen Zeitpunkt auf Airbus A320 Neo und A321 Neo wechseln.

Denken Sie auch über Regionaljets nach?
Ich würde das nicht ausschließen, aber es gibt keine konkreten Pläne. Wir wollen keine Nischenmärkte bedienen. Zudem ist es viel schwieriger, die kleineren Flugzeuge auf andere Kontinente zu verlegen, wenn man sie woanders braucht. Daher ist das aktuell kein Thema.

Boeing 737 von Klasjet. Bild: Flughafen Nürnberg

Könnte zu den drei aktuellen Wet-Lease-Airlines von Avia Solutions Group eine vierte hinzukommen?
Aktuell bauen wir gerade Klasjet kräftig aus. Wenn es Bedarf für eine weitere Airline geben sollte, würden wir uns das anschauen.

Sie haben kürzlich begonnen, mit Smart Lynx auch ins Langstreckengeschäft zu expandieren. Sehen Sie da noch mehr Potenzial als ihre aktuell sechs Airbus A330 ?
(schmunzelt) Wir beginnen nichts, um damit klein zu bleiben. Wir sehen noch ein großes Potenzial, denn auch in diesem Markt gibt es gerade Flugzeuge zu sehr attraktiven Konditionen. Ob es dann eine große Langstreckenflotte sein wird oder nur eine mittelgroße mit zehn Flugzeugen, das wissen wir noch nicht. Was wir uns aber sicher anschauen, sind Airbus-A330-Umbaufrachter. Wenn sie von einem Modell Passagier- und Frachtversion gleichzeitig betreiben, eröffnet das viele Synergien. Und dank unseren Kontakten und unserem Broker Chapman Freeborn können wir die Flugzeuge auch auslasten. Wir werden deshalb sicher mehr Airbus A330 einflotten.

Sie haben kürzlich nach Kundenreklamationen den Vertrag mit Condor verloren. Enttäuscht?
Die meisten unserer Kundenbeziehungen sind aufgrund unserer Professionalität und unseres Fachwissens auf dem Markt von Dauer, daher sind solche Fälle selten. Leider können wir aus Gründen der Vertraulichkeit nicht näher darauf eingehen, aber wir respektieren die Entscheidungen unserer Kunden.

Wet-Lease-Airlines stehen oft in der Kritik, weil sie angeblich schlecht bezahlte Arbeitsplätze und wenig soziale Sicherheit für ihre Mitarbeitenden bieten. Was ist Ihre Antwort auf diese Kritik?
Wir wissen, was im Markt läuft und können die Kritik deshalb nicht nachvollziehen. Wir zahlen Löhne, die mit denen anderer Fluggesellschaften vergleichbar sind. Wir könnten gar nicht fliegen, würden wir nicht marktgängige Löhnen anbieten. Wir würden dann vor allem keine Pilotinnen und Piloten finden, wo ja Knappheit herrscht. Natürlich erwarten wir mehr Flexibilität von unseren Angestellten als eine Netzwerk- oder Billigairline, vor allem was den Einsatzort betrifft. Der ist nicht fix wie bei anderen Airlines. Das mögen einige, andere mögen es nicht. Es ist schon fast eine Art Lifestyle.

Wir hatten keine Expansionspläne für Russland.

Ihr Ursprung ist eine Linienfluggesellschaft, Lithuanian Airlines oder Fly Lal. Besteht die Möglichkeit, zu einer Linienfluggesellschaft zurückzukehren?
Nein. Fluggesellschaften sind unsere Kunden, wir wollen sie nicht konkurrenzieren, wir wollen ihnen helfen. Zudem ist das ganz einfach ein ganz anderes Geschäft.

Klasjet ist auch eine Charterfluggesellschaft. Während der Fußball-Europameisterschaft 2020 flog sie viele Mannschaften wie Deutschland, Tschechien, Belgien und Polen. Warum waren Sie bei der Gewinnung dieser Mannschaften so erfolgreich?
Wir haben ein sehr attraktives und einzigartiges Produkt. Bei Klasjet bieten wir eine Boeing 737 mit 56 bis 68 Sitzen in der Business Class an. Das bietet Kunden einen hohen Komfort, zudem können wir Klubs auch ein hohes Maß an Privatsphäre bieten.

Haben Sie durch den Ukraine-Krieg und die Sanktionen gegen Russland viel Umsatz verloren?
Schon vor Kriegsbeginn war Russland kein wichtiger Markt für uns, der Umsatzanteil betrug weniger als 3 Prozent. Wir hatten keine Expansionspläne für Russland.

Avia Solutions ist weit mehr als Wet-Lease. Sie sind auch in der Wartung, der Ausbildung, im Flugzeug-Leasing oder im Bereich Konferenzen und -medien aktiv. Verliert man da nicht die Übersicht?
Bei allem gibt es aber eine Klammer: Die Luftfahrt ist unser Betätigungsfeld. Die einzelnen Töchter ergänzen und stützen sich zudem gegenseitig. Dass wir eine Wartungstochter in Asien haben, hilft uns beispielsweise auch Wet-Lease-Kunden in Asien zu gewinnen. Wir lassen aber allen Gruppengesellschaften viel Freiheit. Ihre meisten Kunden sind denn auch extern und nicht intern, das ist wichtig, um agil zu bleiben. Dazu braucht es ein extrem motiviertes Management.

Die Gruppe wurde 2005 gegründet und hat in den vergangenen zehn Jahren den Umsatz verzehnfacht. Ist das nicht riskant, so schnell zu wachsen?
Wir sind organisch gewachsen, aber auch durch Übernahmen. Dort konzentrierten wir uns auf Firmen, die ein großes Wachstumspotenzial haben und denen wir helfen können, dieses zu erreichen. Wir werden und wollen auch weiterhin durch Übernahmen wachsen. Aber wir konzentrieren uns dabei stets auf Bereiche, die wir kennen. Wir machen nicht etwas völlig Neues und limitieren auch immer das Risiko.

* Jonas Janukėnas studierte an der Vytautas-Magnus-Universität in Kaunas Betriebswirtschaft. Nach seinem Studium arbeitete er erst mehrere Jahre als Finanzchef eines litauischen Versorgers und später mehrere Jahre für ein großes litauisches Liegenschaftsverwaltungsunternehmen, wo er bis zum Vorstandsvorsitzenden aufstieg. 2017 wechselte er zu Avia Solutions Group und wurde im November Vorstandsvorsitzender.