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Deutschland, Frankreich, Italien

Noch nie musste Swiss wegen Streiks so viele Flüge annullieren

Noch nie wurde so heftig gestreikt wie dieses Jahr. Das kostet Swiss Dutzende Millionen. Wie die Fluglinie dagegen kämpft und welche Folgen das für Airline, Personal, Fluggäste und Umwelt hat.

Oliver Buchhofer nennt es «den ganz normalen Wahnsinn». Er und sein Team seien derzeit so stark gefordert, wie sonst nur in Spitzenzeiten in der Urlaubssaison, so der Leiter des Bereich Operations von Swiss. Routen neu planen, gestrandete Gäste betreuen, Flüge verschieben, alternative Flüge organisieren, Ersatzpersonal aufbieten – der Druck sei gerade groß. «Und die Sommermonate stehen uns ja erst bevor», ergänzt er.

Einen Teil des zusätzlichen Drucks hat sich die Führung von Swiss selbst zuzuschreiben. Denn gegenüber den Wintermonaten hat sie das Angebot nochmals um 20 Prozent erhöht und steht jetzt bei 85 Prozent des Vor-Pandemie-Jahres 2019. Und noch immer fehlt da und dort an Personal. Nicht nur bei der Airline selbst, sondern auch bei Partnern wie Sicherheitskontrolle oder der Bodenabfertigung.

Fast täglich irgendwo Einschränkungen

«Das haben wir inzwischen aber im Griff und können damit umgehen. Dieses Problem war vor einem Jahr viel größer, als wir gerade aus der Pandemie kamen», so Buchhofer. «Wir haben dieses Jahr bereits 600 neue Mitglieder für die Kabinenbesatzung rekrutieren können. Dazu kommen noch rund 70 neue Pilotinnen und Piloten.» Was ihm und dem ganzen Operations-Team von Swiss zu schaffen macht, sind die häufigen Streiks in Deutschland, Frankreich, Norwegen und Italien. Denn ihr Job wäre es, für einen reibungslosen Flugbetrieb zu sorgen.

Begonnen hat es im Februar mit ersten Warnstreiks des Flughafenpersonals in Deutschland, die sich bis in den März weiterzogen. Dann begannen die Fluglotsen in Frankreich zu streiken und im April wurde auch in Italien die Arbeit niedergelegt. «Seit März sehen wir uns praktisch täglich mit irgendwelchen externen Einschränkungen konfrontiert», so Buchhofer.

So viele Flüge streichen müssen wie noch nie

207 Flüge habe seine Airline in den ersten vier Monaten des Jahres wegen den Streiks bereits streichen müssen. «Noch nie in der Geschichte von Swiss mussten wir so viele Flüge wegen der verschiedenen Streiks annullieren wie in den letzten zwölf Monaten. Auch deutlich mehr als im gesamten, schwierigen Jahr 2019.» Dadurch könne man den Fluggästen nicht mehr die Leistung bieten, die man als Premium-Airline eigentlich bieten wolle. «Wir bedauern die Auswirkungen auf die Passagiere und verstehen ihren Unmut. Mich ärgert das auch sehr, weil uns oftmals die Hände gebunden sind und unsere Leute mit viel Herzblut an der Arbeit sind.»

«Die Streiks haben nicht nur zur Folge, dass wir ganze Flüge annullieren müssen, sie handeln uns immer wieder auch Verspätungen ein.» Und so hätten an den außerordentlichen Tagen, an denen sich Streiks kumulierten, fast acht Prozent aller Umsteigepassagiere ihren Anschluss verpasst, erläutert Buchhofer. Das entspreche nicht dem eigenen Anspruch. Auch bei der Pünktlichkeit zeigte sich die Streikhäufung. Am schlimmsten Tag starteten sechs von zehn Flügen verspätet. «Das fordert uns, ärgert uns und laugt das Team aus.»

Frankreich schmerzt Swiss ganz besonders

Am meisten spüren Buchhofer und sein Team in der Operations von Swiss die Streiks bei der Flugsicherung in Frankreich, der seit März ununterbrochen läuft. «Wir sind eine der ausländischen Airlines, die am meisten darunter leiden», sagt der Manager. Rund 45 Prozent des Streckennetzes sei betroffen, wenn der Luftraum über Frankreich geschlossen sei.


Umweg eines Fluges Genf- London bei Sperrung des französischen Luftraumes. Bild: Swiss

So führen die meisten Langstreckenrouten nach Nord- und Südamerika über Frankreich, aber auch Flüge nach Spanien, Portugal und dem westlichen Nordafrika. Noch extremer ist die Lage in Genf. «Fast jeder Flug führt dort über französisches Gebiet», so Buchhofer. Ein Flug nach London beispielsweise muss dann über Zürich und Deutschland zur britischen Insel geleitet werden.

Weit mehr als nur Ertragsausfälle

Gegen die Streiks in ganz Europa kämpft Swiss mit der Bereitstellung von mehr Reservecrews und -flugzeugen, mehr Personal in der Einsatzleitstelle, optimierten Flugplänen und -routen, aber auch mit Taskforces in der Lufthansa-Gruppe. Aber vor allem auch mit vielen Überstunden beim Operations-Personal. «Es macht oftmals das Unmögliche möglich und zaubert kreative Lösungen aus dem Hut. Und ich bewundere auch unsere fliegenden Kolleginnen und Kollegen, die unter diesen widrigen Umständen trotzdem einen hervorragenden Service bieten.»

Die Streiks kosten aber auch sonst. Zum einen erleidet Swiss Ertragsausfälle durch annullierte Flüge, muss den Betroffenen Essen und Hotels zur Verfügung stellen und verbraucht mehr Treibstoff, weil ihre Flugzeuge Umwege fliegen müssen. «Neben den Unannehmlichkeiten für unsere Gäste kostete uns das alles in allem dieses Jahr bereits einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag», so Buchhofer.

Aus Deutschland ohne Passagiere zurück

Etwas aber, lässt sich kaum messen und in Franken ausdrücken. «Die Annullierungen und Verspätungen schaden auch unserem Image – obwohl wir etliche Faktoren nicht selbst in der Hand haben», ärgert sich Buchhofer. «Deshalb haben wir Maßnahmen ergriffen, um das möglichst abzufedern.»

Und nicht zuletzt leidet auch die Umwelt. «Mitunter müssen wir wegen Überlastung des oberen Luftraums auf 24.000 Fuß fliegen, was deutlich mehr Kerosin verbraucht», sagt der Manager. Oder man könne zwar nach Hamburg fliegen, dort aber wegen des Streiks keine Fluggäste an Bord nehmen, weil die Sicherheitskontrollen nicht arbeiteten. «Und so mussten wir leer zurückfliegen.» Der ganz normale Wahnsinn eben.