Letzte Aktualisierung: um 22:05 Uhr

Segelfliegen

Spektakuläre Flüge mit dem Segelflugzeug

Moderne Segelflugzeuge ermöglichen ungeahnte Flugleistungen – wenn sie von Piloten und Pilotinnen gesteuert werden, die mit ihnen kühnste Vorstellungen in die Tat umzusetzen wissen.

Wer hätte geglaubt, dass man mit einem Segelflugzeug vom Flugplatz Serres in der Haute-Provence, etwa 80 Kilometer Luftlinie südlich Grenoble im Segelflug bis nach Saloniki in Griechenland fliegen kann? Das ist am 17. Mai 2021 Klaus Ohlmann gelungen, der unzählige Weltrekorde hält, darunter die schon früher erwähnte Rekordstrecke in gerader Linie von 3008 Kilometer. Er betreibt dort auch eine Alpensegelflugschule.

Dabei ist die direkte Entfernung von knapp 1500 Kilometer heute keineswegs mehr ungewöhnlich, werden doch allein in Europa häufig Strecken von weit mehr als 1000 bis zu 1800 Kilometer geflogen. Spektakulär muss man die Wahl der Route nennen, die drei Mal über das offene Meer führte, von Cannes bis zur Nordspitze Korsikas etwa 200 Kilometer, von dort zum Italienischen Festland etwa 180 Kilometer und schließlich von der Stiefelspitze Italiens hinüber nach Griechenland etwa 300 Kilometer.

Flug mit Schönheitsfehler

Dieser Flug dauerte knapp 15 Stunden. Er hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler, weil aus reiner Vorsicht einmal über Süditalien für etwa zehn Minuten der Motor zu Hilfe genommen wurde, um den nächsten Aufwind zu finden. Es wäre vermutlich ohne Motorhilfe auch gelungen. Nach den eisigen Temperaturen in Flughöhen von 6000 Meter musste der Motor in einer Sicherheitshöhe von 1500 Meter gestartet werden, um jedes Risiko einer Außenlandung in ungeeignetem Gelände zu vermeiden.

Ohlmann wird den Flug wohl so bald wie möglich wiederholen, aber vielleicht sogar so, wie er ihn bei noch optimaleren Bedingungen gerne durchgeführt hätte, nämlich statt nach Saloniki über den Peloponnes nach Kreta, noch einmal rund 100 km übers Meer, und weiter zu dessen Ostspitze. Das ergäbe dann einen Flug von 2000 Kilometer in gerader Linie, bisher in Europa unerreicht.

Wie war dieser Flug möglich?

Zunächst einmal durch ein geeignetes Segelflugzeug, eine Stemme S10. Diese ist ein eigenstartfähiges, doppelsitziges Segelflugzeug von moderater Spannweite von 23 Meter, einer besten Gleitzahl von 50 und einer Höchstgeschwindigkeit von 270 Kilometer pro Stunde. Klaus Ohlmann machte den Flug aus zwei Gründen alleine. Ersten wollte er einen Mitflieger nicht einem wenn auch sehr kleinen Risiko eine Wasserung aussetzen, noch dazu bei zu erwartender stürmischer See.

Klaus Ohlmann in der Stemme S10.

Zweitens konnte er daher auf dem freien Sitz eine Seenotrettungsausrüstung mitnehmen. Ohlmann führt außerdem zwei unabhängige Sauerstoffatemgeräte mit, ohne die ein längerer Flug in solchen Höhen nicht möglich ist. Im Segelflugzeug gibt es ja keine Druckkabine, wie in einem Verkehrsflugzeug (Ausnahme, das schon früher erwähnte Stratosphären-Segelflugzeug Perlan 2).

Mistral sei Dank

Drittens  muss das Wetter für einen solchen Flug geeignet sein, insbesondere muss eine Wellenwetterlage geeigneter Windrichtung herrschen. Hochdruck über Spanien und Tiefdruck über Osteuropa erzeugten am 17. Mai 2021 eine starke mistralähnliche Luftströmung aus Nordwest. Der Mistral ist als Auslöser hoher Wellenaufwinde über Südfrankreich bekannt. Diesmal hatte der Wind eine etwas stärkere Westkomponente, die den Anfang des Fluges schwierig machte. Die erste richtig gute Welle ergab sich erst kurz vor Cannes, führte aber auf 6000 m Höhe. Es stehen heute beste meteorologische Vorhersagemodelle zur Verfügung.

Die für den Flugtag zeigte von Frankreich über Korsika, Italien und Griechenland das für Wellen typische Waschbrettmuster im Satellitenbild. Der Flug fand dann auch nahezu ausschließlich in Wellen statt. Bei einer Rückenwindkomponente von 180 Kilometer pro Stunde in 6000 Meter gab es reichlich Höhenreserve bis nach Korsika, dass mit an die 350 Kilometer pro Stunde über Grund erreicht wurde. Die steilen Berge an der Nordspitze erzeugten verlässlich die nächste Welle mit wieder 6000 Meter Abflughöhe.

Auch wieder zurück

Ohne Probleme konnten die durch den Apenin ausgelösten Wellensysteme erreicht werden, in denen es zügig weiter nach Südosten ging. Am Ballen des Stiefels von Italien, etwa östlich Cosenza, wurde die höchste Höhe des Fluges mit 7500 Meter erreicht. Dies ermöglichte den 300 Kilometer  langen Gleitflug hinüber zum griechischen Festland. Der Flug weiter nach Thessaloniki fand dann in Höhen von 3000 bis 4000 Meter statt. Etwas überrascht und irritiert gestattete man nach einigem Zögern die Landung auf dem Verkehrslandeplatz.

Die S10 hat den unschätzbaren Vorteil, auch als Reisemotorsegler mit einer Dauergeschwindigkeit vom bis zu 228Kilometer pro Stunde betrieben werden zu können. Ohlmann flog in dieser Konfiguration in drei Tagen zurück nach Serres. Mit einem anderen Segelflugzeugtyp wäre eine straßengebundene Rückholung durch einen Helfer nötig gewesen, der eher eine Woche benötigt.

Europäische Dreiecksrekorde

Der zweite Flug erfolgte durch den weithin bekannten Segelflieger Baptiste Innocent am 7. August 2021, und er resultierte in zwei Europäischen Segelflugrekorden, einem 1178 Kilometer sogenannten FAI-Dreieck und einem freien Wertungsdreieck von 1310 Kilometer, bei einer Gesamtflugstrecke von 1504 Kilometer. Der Flug begann in Fayance nahe Cannes mit Start um 6:01 Uhr. Er ging zunächst, wie der von Ohlmann, über das offene Meer zum Cap Corse, dann in kräftigen Wellen bis an die Südspitze Korsikas, gefolgt von eine Jojo zur Mitte Korsikas und zurück an die Südspitze, dann wieder zum Cap Corse im Norden.

Der Abflug hier erfolgte etwa um 12 h. Es ging wieder übers offene Meer hinüber nach Italien, was etwa bei Carara erreicht wurde. Von hier an gab es nur wenig bis gar keinen Wind und der Flug über die nächste Wende über Pavullo im nördlichen Appenin, etwa südlich Modena, und zurück in die Seealpen erfolgte rein thermisch. Der schwierigste Teil ergab sich in reiner Blauthermik zwischen dem nördlichen Apennin- Ausläufer über Cuneo bis in die Seealpen hinein. In Thermik- und Hangaufwind ging es quer über die Seealpen, Digne, Serres, bis zur letzten Wende etwas südlich des Segelflugplatzes Auvaison und dann, bei nun leichtem Nordwestwind im reinen Hangflug entlang des Chabre und der unter Segelfliegern ebenso wohlbekannten Coup zurück nach Fayance. Landung um 20:07 Uhr, was eine Flugzeit von 14:06 Stunden ergibt.

Noch spektakulärerer Rekord möglich

Bein Start in Fayance herrschte Westwind aus etwa 290 Grad. Das entsprach nicht der typischen Mistral- Wellenwetterlage mit starkem Nordwind. Entsprechend schwierig war der Beginn. Mit Motorkraft – Baptiste flog eine ASH31 Mi mit 21 m Spannweite – erreichte er eine schwache Welle in 4000 Meter Höhe. Über Nizza hatte er dann fast 6000 Meter erreicht und kam am Cap Corse in 2500 Meter an. Es war etwa 8 Uhr morgens. Er stieg in der Korsika-Welle wieder auf 6000 m. Die Wellenflugstrecken über Korsika wurden mit Fluggeschwindigkeiten bis 200 km/h über Grund zurückgelegt. Das Jojo über Corsika legte Baptiste aus taktischen Gründen ein, da er sonst zu früh, nämlich vor der Thermik-Entwicklung, in Italien angekommen wäre.

Er hätte stattdessen auch noch die Wellen über Sardinien nutzen können und somit eine noch spektakulären Rekord aufstellen können. Das wird vermutlich einmal folgen. Im übrigen ging die Rechnung perfekt auf. In der sich gerade rechtzeitig entwickelnden Thermik in Italien waren die maximalen Höhen jetzt nur noch etwas 2500 Meter, wie auch beim letzten Teilstück von Auvaison.

Ulf Rosenow ist freier Kolumnist von aeroTELEGRAPH. Er war Professor für Medizinische Physik an der Universität Göttingen und betrieb mehr als 60 Jahre den Sport Segelflug und war auch Fluglehrer. Die Meinung der freien Kolumnisten muss nicht mit der der Redaktion übereinstimmen.