Gleich zwei schwere Zwischenfälle geschahen am Flughafen Melbourne innerhalb von elf Tagen. Und dazu kommt: Beide hatten einen fast identische Ablauf und hätten in Katastrophen enden können. Das Ganze ist schon rund zwei Jahre her, kommt allerdings erst jetzt in einem Bericht der Untersuchungsbehörde ATSB im vollen Umfang ans Licht.
Am 7. September 2023 hob ein Airbus A330-300 von Malaysia Airlines mit 247 Menschen an Bord von Startbahn 34 in Melbourne ab. Der Flug daraufhin verlief normal, doch beim Start wäre es fast zu einem schweren Unfall gekommen. Der Langstreckenjet flog nur sieben Meter über eine aktive Baustelle hinweg. Und es blieb nicht bei dem einen Zwischenfall. Keine zwei Wochen später, am 18. September, passierte eine Boeing 787-9 von Bamboo Airways denselben Bereich, diesmal sogar in nur 4,5 Metern Höhe.
Jet Blast von Airbus A330 und Boeing 787 fegte über Baustelle
Wie das Australian Transport Safety Bureau nun im Untersuchungsbericht festhält, handelte es sich um «sehr ernste Zwischenfälle». Beide Crews hatten übersehen, dass die Startbahn wegen Nachtarbeiten zur Erneuerung des Belags um mehr als 1,5 Kilometer verkürzt war. Sie war nur noch 2089 Meter lang. Die Piloten führten ihre Berechnungen jedoch auf Basis der vollen Bahnlänge durch.
Während beide Flieger knapp über den Köpfen der Arbeiter hinweg starteten, fegte der Triebwerksstrahl über die Baustelle. Laut ATSB wurde niemand körperlich verletzt, allerdings erlitt ein Mitarbeiter beim zweiten Vorfall eine stressbedingte Verletzung. Kein Wunder: Auf Fotos und Diagrammen der Ermittler ist zu sehen, wie knapp die Jets das Arbeitsfeld verfehlten.
Piloten von Airbus A330 und Boeing 787 erkannten Verkürzung nicht als relevant
Laut Bericht war die Verkürzung der Piste zwar korrekt in NOTAMs und im ATIS-Funkspruch (Automatic Terminal Information Service )vermerkt, doch die Crews erkannten die Information nicht als sicherheitsrelevant. «Keine der Besatzungen identifizierte, dass die Startbahn signifikant verkürzt war», erklärte ATSB-Chef Angus Mitchell laut dem Sender Australian Broadcasting Company.
So wurde die Landebahn verkürzt. ATSB
Die Flugdisponenten beider Airlines hatten die verkürzte Bahn zwar in ihren Berechnungen berücksichtigt, dies aber nicht ausdrücklich hervorgehoben, da die Startparameter weiterhin innerhalb sicherer Grenzen lagen. Mitchell kritisiert: «Sich allein auf festgelegte Prozesse zu verlassen, garantiert nicht, dass Crews operative Gefahren immer vollständig verstehen.»
Auch die Icao passt etwas an
Zu den weiteren Ursachen zählten laut ATSB Arbeitsbelastung, Zeitdruck und ein typischer Erwartungsfehler: Crews gehen automatisch von der gewohnten Startbahnlänge aus, wenn nichts anderes betont wird. Daher hat sich seither auch einiges getan. Malaysia Airlines als auch Bamboo Airways haben ihre internen Abläufe überarbeitet. Auch die Flugsicherung Airservices Australia änderte gemeinsam mit der Civil Aviation Safety Authority die Kommunikationsprotokolle: Die Flugsicherung soll künftig gezielter nachfragen, ob Crews sicherheitskritische Informationen – etwa den Hinweis auf eine verkürzte Startbahn – tatsächlich wahrgenommen haben.
Das ATSB geht noch weiter und empfiehlt, die internationalen Vorschriften der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation Icao zu überprüfen. Die Organisation solle sicherstellen, dass Fluglotsen weltweit über alle sicherheitsrelevanten Änderungen an Start- und Landebahnen informiert sind und diese klar an die Crews weitergeben. Die Icao hat bereits beschlossen, dass Flughäfen künftig deutlich sichtbare Warnschilder anbringen müssen, wenn Startbahnen temporär verkürzt sind.
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