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Marlis Mann

«Wir haben nicht Flüge begleitet, wir waren Gastgeber»

Wie war das so als eine der ersten Flugbegleiterinnen im Nachkriegs-Deutschland? Die 83-jährige Marlis Mann blickt auf ihre Karriere zurück und hat dabei viel zu erzählen.

Vor 63 Jahren steckte sich Marlis Mann mit dem Virus an, das sie bis heute in sich trägt. Ihre Schwester Inge hatte sie damals eingeladen, sie auf einem Flug von Hannover nach Berlin zu begleiten. Und so stieg die 20-jährige Frau im Sommer 1954 am Flughafen Langenhagen in eine Douglas DC-4 von Pan American World Airways. Sie hatte Angst. Doch der kurze Flug nach Tempelhof wurde zu einem prägenden Erlebnis für Mann, die damals noch den Familiennamen Fasterding trug.

Es war nicht nur die phänomenale Aussicht, die sie faszinierte. «Fliegen war deutlich angenehmer als mit der Eisenbahn zu fahren», erinnert sich die Deutsche, die heute in den USA lebt. Zudem herrschte an Bord eine gediegene Atmosphäre. Damals habe sie entschieden, Flugbegleiterin zu werden. Sie hab einfach gerne Leute um sich. Kein Wunder: Manns Vater hatte in Braunschweig ein Restaurant geführt. «Und ich liebe es, in der Luft zu sein», fügt Mann im Gespräch mit aeroTELEGRAPH an.

«Was sind die ABC-Staaten?»

Und so bewarb sich Mann nach dem Flug gleich bei Pan Am. Dort arbeitete ihre Schwester bereits als Stewardess. Beim Bewerbungsgespräch lautete die erste Frage: «Was sind die ABC-Staaten?». Mann wusste es. Vor der Bewerbung hatte sie auch Stenographie gelernt und Spanisch und Französisch gebüffelt, um ihre Chancen zu verbessern. Allgemeinbildung wurde damals groß geschrieben. Obwohl Pan Am ihr bestätigte, einen wirklich guten Eindruck hinterlassen zu haben, war sie mit 20 Jahren genau ein Jahr zu jung und bekam den Job nicht. Sie wurde auf ein Jahr später vertröstet.

Die junge Frau überbrückte die Zeit mit einem Sprachaufenthalt in Paris. Unverhofft bekam sie in dieser Zeit aber die Chance, sich bei Lufthansa vorzustellen. Sie zögerte nicht und dieses Mal klappte es, zwar nicht bei Lufthansa selbst, sondern bei der Chartertochter Deutsche Lufttransport. Sie und ihre Schwester Inge waren jetzt beide Flugbegleiterinnen – wobei Mann den Begriff eigentlich überhaupt nicht mag. «Wir haben nicht einfach Flüge begleitet, wir waren Hostessen, also Gastgeber», erzählt die inzwischen 83-jährige,  deren Augen noch immer vor Neugier, Schalk und Intelligenz blitzen.

Geschirr im Hotel spülen

Manns erster Flug ging mit einer DC-3 von Hamburg nach Kopenhagen. Es war der Beginn eines Lebenstraums. Sie liebte das Leben als Hostess, sie liebte den Umgang mit den Reisenden, die fremden Länder, die Freiheit. Sie liebte es, obwohl es mitunter sehr hart war. «Manchmal mussten wir das Geschirr aus dem Flugzeug mit ins Hotel nehmen und dort spülen», erinnert sich Mann.

Auch gesund war der Job nicht immer. In Mallorca musste sie an einem Regentag die Passagiere mit einem Schirm vom Terminal zum Flieger begleiten. Dabei wurde sie klatschnass. Das war nicht gut. Als Flugbegleiterin saß Mann gleich neben der Tür. «Sie ließ sich nie richtig verschließen», erzählt Mann rückblickend. Und so war es sehr kalt. Mann fing sich auf jenem Flug eine schwere Lungenentzündung und eine Brustfellentzündung ein. Zudem hatte sie eine Darmerkrankung entwickelt. Ans Fliegen war plötzlich nicht mehr zu denken. Mann musste zur Kur in die Berge.

Mallorquiner klatschten Beifall

Doch Mann erholte sich überraschend gut. Und da ereilte sie eine Nachricht eines alten Bekannten, der nun bei der Deutschen Flugdienst arbeitete, der Vorgängergesellschaft von Condor. Es wurden Hostessen gesucht. Mann sagte zu, auch wenn ihr andere abgeraten hatten, sich wieder in die Luft zu begeben. Das Flug-Virus war eben stärker

Im April 1957 begann Mann, beim Flugdienst zu arbeiten, am 10. Mai absolvierte sie ihren ersten Flug an Bord einer Vickers Viking. Es ging wiederum nach Mallorca. «Als wir ankamen, begrüßten uns die Einwohner am Flughafen mit Beifall» erinnert sie sich. In den kommenden Jahren sah Mann nicht nur die Baleareninsel, sie kam nach Athen, Barcelona, Beirut, Brindisi, Casablanca, Gibraltar, Istanbul, Jerusalem, Kairo, Lyon, Marseilles, Tangier, Teneriffa. Es waren für die Nachkriegszeit exotische Destinationen. Und der Lohn war gut. «Ich bekam 350 Mark plus 3 Mark pro Flugstunde» erinnert sich Mann.

«Wie eine große Familie»

Nur fünf Stewardessen arbeiteten im Gründungsjahr für die Fluglinie – eine pro Flieger. Doch Flugdienst expandierte. Und Mann wurde zur Chef-Stewardess. Sie wählte all die jungen Frauen aus, die auf den neu angeschafften Convair 240 als Stewardessen mitfliegen sollten. Der Job gefiel ihr dank dieser erweiterten Aufgabe gleich noch besser. «Fliegen machte Spaß und wir waren ein tolles Team. Wir waren damals wie eine große Familie», erklärt Mann rückblickend.

«Die Passagiere waren damals sehr angenehm und haben sich gut benommen», erzählt Mann. Schließlich hatten sie auch viel für ihre Tickets bezahlt. Dafür bekamen sie einen vollen Service – und das Essen wurde von den Hostessen mit weißen Handschuhen serviert. Auch bekannte Persönlichkeiten hat Mann dabei kennengelernt. Einmal bediente sie auf einem Charterflug den deutschen Wirtschaftsminister und späteren Kanzler Ludwig Erhard. «Ich fühlte mich sehr geehrt». Zwei Mal hatte sie 1957 die deutschen Leichtathleten an Bord, einmal ging es zusammen nach Budapest und einmal nach Helsinki.

Virus blieb in der Familie

In ihrer Freizeit genoss Mann damals die Jazzmusik, die sich in Europa langsam breit machte. Und das veränderte ihr Leben. Eines Abends lernte sie in einem Frankfurter Kellerlokal einen Amerikaner kennen. Er war ein Soldat, der in Deutschland stationiert war und unter anderem den ersten Sold an den ebenfalls in Deutschland stationierten Elvis Presley auszahlte. Die beiden verliebten sich und heirateten im Dezember 1958. Damit endete Manns Karriere bei Condor. Sie zog mit ihrem Ehemann in die USA.

Das Virus hat Mann aber weiterverbreitet. «Meine Tochter flog für American Airlines, meine beiden Nichten flogen für Lufthansa und meine Enkelin arbeitet bei Condor», lacht Mann. Und ob sie selbst den Beruf heute wieder wählen würde? «In der First Class würde ich gerne arbeiten, Ja», sagt sie. In der Economy gefällt ihr es schon weniger. «Da reisen viele ja schon fast in Schlafanzügen.»