Die Angst vor japanischen Bombern brachte die US Army auf eine kühne Idee: Das Boeing-Werk zu schützen, indem man eine Kleinstadt auf dem Dach installiert.
Heute ist es ein schlichter Mehrzweckparkplatz, der mitten auf dem Boeing-Gelände im Süden von Seattle liegt. Hier kann der Flugzeughersteller auf großen Flächen Autos und Flugzeuge abstellen. Nichts erinnert mehr an das berühmte Boeing Plant 2, in dem über die Hälfte aller knapp 12.800 B-17 Bomber und später auch die erste Boeing 737 gebaut wurde. 2010 wurde die Halle abgerissen.
Während der Zeit der Bomber-Produktion – in Spitzenzeiten wurden im Werk 2 bis zu 300 B-17 pro Monat gebaut – stand genau an dieser Stelle auch eine Kleinstadt. Mit 53 Häusern, zwei Dutzend Garagen, drei Gewächshäusern, einem kleinen Laden und sogar einer Tankstelle. Es gab Boulevards und Gehwege sowie rund 300 Bäume.
Doch etwas stimmte hier nicht: Die Häuser hatten eine Traufhöhe von nur 1,20 Meter. Die Autos waren aus Gummi oder Holz. Die Bäume waren aus Segeltuch, Holz und Maschendraht gefertigt, die Straßen aus Teerpappe. Sie trugen Namen wie «Synthetic St.» und «Burlap Blvd.». Es war eine Fake-Stadt, die nur geschaffen wurde, um das Boeing Werk vor japanischen Luftangriffen zu schützen. Die Seattle-Times prägte den Begriff «Boeing Wonderland».
Der Aufwand war allerdings immens. 360.000 Quadratmeter Bauholz wurden aus dem Norden herbeigeschafft. Die Konstruktion benötigte 555 Tonnen Stahl, 800.000 Meter, Tragseile, Betonplatten, um die Illusion einer perfekten Kleinstadt zu schaffen. Die Schornsteine der Fabriken wurden in die Fake-Häuser integriert, um alles echt aussehen zu lassen.
Zwei Häuser waren tatsächlich bewohnbar. In ihnen lebte Personal der US-Armee, das die Flugabwehrgeschütze in Wonderland bediente. Ansonsten wurden die Boeing-Arbeiter ermutigt, in ihren Pausen durch die Stadt zu schlendern, um Boeing Wonderland einen Hauch von Leben einzuhauchen. Es hält sich auch die Legende, dass zur Tarnung eine Kuh auf dem Dach gelebt haben soll.
Auslöser war der Angriff der Japaner auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941. Ein Jahr später wurden japanische U-Boote vor der US-Westküste gesichtet. Die USA fürchteten einen Angriff und begannen damit, eine ihrer wichtigsten Flugzeugproduktionsstätten zu schützen.
Nur wie? Die US Army wurde mit dieser Aufgabe beauftragt. Da man jedoch nicht genau wusste, wie man ein solches Projekt umsetzen sollte, holten sich die Verantwortlichen Unterstützung aus Hollywood. Die Army engagierte den Hollywood-Bühnenbildner John Stewart Detlie, einen Art Director von MGM.
Detlie und sein Team aus Hollywood, bestehend aus zahlreichen Handwerkern, begannen mit den Arbeiten. Im Jahr 1944 galt Boeing Wonderland als fertiggestellt und wurde zu einem offenen Geheimnis. Die 30.000 Boeing-Beschäftigten sowie halb Seattle wussten, worum es sich bei der Fake-Stadt handelte. Doch niemand sprach darüber und es existieren bis heute kaum Fotos. Sogar Piloten sollen die Stadt aus der Luft nicht als Attrappe erkannt haben.
Japanische Bomber kamen jedoch nicht einmal in die Nähe der Fake-Stadt. Kurz vor Kriegsende beauftragte die Army private Firmen mit dem Abriss. Die Kosten für die Demontage sollen bei rund zwei Millionen Dollar gelegen haben. Im Jahr 1946 war nichts mehr von Boeing Wonderland übrig.
Werk 2 selbst produzierte noch jahrzehntelang Flugzeuge, bevor es im Jahr 2010 endgültig abgerissen und zum Parkplatz wurde.