Wenn Fluglinien neue Sitze einbauen oder Änderungen an der Kabine vornehmen wollen, müssen sie sich an ein zugelassenes Unternehmen wenden. Die österreichische Firma Ames Aerospace bietet seit 20 Jahren individuelle Kabinenlösungen mit Eigenbauteilen - und ist damit weltweit erfolgreich.
Die Szenerie ist beschaulich im Ort Peggau, nördlich von Graz, mit seinen 2460 Einwohnerinnen und Einwohnern. Ein Gasthof, eine Tankstelle, eine kleine Einkaufszeile samt Gemeindeamt - und zwischen all dem der Hauptsitz der Firma Ames Aerospace.
Vor 20 Jahren hat der österreichische Luftfahrtingenieur Walter Starzacher den Entschluss gefasst, sich beruflich selbstständig zu machen und einen Luftfahrtzulieferer zu gründen - Ames Aerospace. Nach seiner abgeschlossenen Ausbildung zum Flugingenieur in Wien, einem Abstecher zum österreichischen Bundesheer und Jahren beim Flugzeugzulieferer Pankl sowie den Fluglinien LTU Süd und Lauda Air schuf Starzacher seine eigene Firma.
Zur Wahl des Produktionsstandortes in Peggau sagt Starzacher heute: «Das war eine strategische Entscheidung, denn während die Automobil-Zulieferindustrie im Süden von Graz angesiedelt ist, haben wir uns für einen Standort nördlich der Stadt entschlossen. Die Nähe zu Graz und das damit verbundene Potential von einem gut ausgebildeten Mitarbeiterpool aus Abgängern der Aviation an der FH Joanneum und der Universität in Graz ist sehr hoch.»
Doch mit solch einem Abschluss ist die Ausbildung der neuen Mitarbeitenden noch lange nicht abgeschlossen, wie Starzacher erklärt. Neue Kollegen und Kolleginnen würden anschließend betriebsintern noch spezifisch ausgebildet, um zukünftig als Camo- oder Prüfingenieur für Entwicklungsleistungen und Flugzeugbauteile bei Ames zu arbeiten.
In Europa gibt es rund 300 Unternehmen, die von der Luftfahrtbehörde die Berechtigung für eine Lufttüchtigkeitszulassung haben. Im Bereich der Kabine gibt es jedoch europaweit nur etwa zehn Firmen, die mit der von Easa erteilten Berechtigung weltweit agieren dürfen. Nur fünf davon dürfen große Umbauten durchführen, etwa ein neues Kabinenlayout oder Einbau und Zulassung von Sitzen, Inflight Entertainment System und Sicherheitsreinrichtungen.
Ames ist eine dieser Firmen, konzentriert sich auf diese Nische und erwirtschaftet rund 95 Prozent ihres Umsatzes mit der Kabinen-Modernisierung. «Man hat einen Flugzeugsitz, der eine Zulassung vom Flugzeugsitzhersteller hat - doch diese alleine hilft noch nicht», erklärt Geschäftsführer Daniel Maier. «Es muss ein zugelassener Entwicklungsbetrieb wie unserer ein dazugehöriges Sitzlayout entwickeln, mit dem klar definiert wird, wo dieser Sitz positioniert werden muss, damit die Sauerstoffmasken erreichbar bleiben, die verbleibende Gangbreite ausreichend ist und viele andere Vorgaben eingehalten werden.»
Ames liefert den Airline-Kunden dann ein sogenanntes «One-Stop-Shop Engineering»-Gesamtpaket. Das beinhaltet nicht nur die selbst hergestellten oder zugekauften Bauteil-Kits samt Easa-Zertifizierung, sondern auch die dazugehörigen Arbeitsanleitungen, die in weiterer Folge von einem zugelassenen Part-145-Wartungsbetrieb eingebaut werden.
Zusätzlich hat sich Ames einen Namen gemacht in der Entwicklung und Herstellung von Kabinenleichtbauteilen wie Trennwänden, Sitzblockern, Klassentrennern, individuell angefertigten Stauschränken und Vorhängen zur Abtrennung von Crew-Rest-Bereichen.
Die hochwertigen Arbeiten wie der Nachweis der Lufttüchtigkeit, Prüfungstests oder die Zertifizierung der Komponenten werden von den rund 45 Prüfingenieuren und -ingenieurinnen im Haus durchgeführt. Die Produktion von Leichtbauteilen geschieht entweder im Haus oder wird an eine von Ames lizensierte Partnerfirma aus der Region ausgelagert.
Neben den Bereichen Entwicklung und Produktion setzt Ames Aerospace inzwischen ebenfalls auf ein Tochterunternehmen in Irland, das sich aufgrund der zahlreich in Irland ansässigen Leasingfirmen auf den Bereich Camo (Continuing Airworthiness Management Organisation - Organisation für die Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit) spezialisiert hat.
Und auch die Überstellung von Flugzeugen gehört zum Angebot des Unternehmens: Rund 15 bis 20 Mal pro Jahr werden Flugzeuge unter der Mithilfe von Ames an neue Eigentümer überstellt. Dazu gehören auch die beiden Boeing 787-9, die früher für Bamboo Airlines flogen und heute bei Austrian Airlines im Einsatz sind. Mit Ames Consulting and Training werden zusätzlich Kundenleistungen wie administrative Aufgaben, behördliche Angelegenheiten, Trainingsleistungen, Lohnverrechnung und Luftfahrtversicherungen angeboten.
In der folgenden Bildergalerie sehen Sie Fotos aus dem Hauptquartier und der Produktion von Ames Aerospace. Ein Klick aufs Bild öffnet die Galerie im Großformat:
Nach 20 Jahren am Markt hat sich Ames einen Namen in der Branche gemacht, doch der Start des Unternehmens war alles andere als einfach. Zu Beginn der Firmengeschichte besuchte Walter Starzacher auch Airbus, um sein Unternehmen und sein einzigartiges One-Stop-Shop Konzept zu präsentieren: «Beim Heimflug aus Hamburg hatte ich den Eindruck, dass man mich bei Airbus nicht ganz verstanden hat», erinnert sich Starzacher. «Da kam mir die Idee zu unserem Firmenleitspruch 'Beyond Imagination'.»
Während die Kunden Ames inzwischen mit ihren Anfragen direkt kontaktieren, war es zu Anfang nicht immer leicht, als neuer Zulieferer in der Branche akzeptiert zu werden. Das Netzwerk der Angestellten war dann der Türöffner für die ersten Aufträge. «Nur wer Qualität, Flexibilität und vor allem Liefertreue garantieren kann, wird von den Kunden beauftragt», so Geschäftsführer Maier. «Wir haben uns hier sehr schnell einen guten Ruf gemacht.»
Wichtig ist aber auch der Faktor Zeit: «Wir haben Lieferzeiten von Nachbauteilen von Flugzeugen, die unvergleichlich kürzer sind als jene, der Flugzeughersteller selbst», sagt Starzacher. «Standzeiten sind bares Geld in der Luftfahrtindustrie, weshalb auch Leasingfirmen, wenn Flugzeuge retourniert und für den nächsten Kunden vorbereitet werden müssen, gerne auf unsere All-Inclusive-Leistungen zurückgreifen.»
Bereits zwei Jahre nach Firmengründung erwirtschaftete Ames Aerospace den ersten Profit. Inzwischen ist das Geschäft teilweise ein Selbstläufer geworden, denn Bauteile, die von Ames in den vergangenen 20 Jahren verbaut wurden, sind gekennzeichnet und datentechnisch verfolgbar. Über 3500 Änderungen von Flugzeugteilen wurden in diesen 20 Jahren durchgeführt, weshalb Ames heute eine Vielzahl von Folgeaufträgen bekommt.
Auch die Covid-Krise überstand die österreichische Firma. Denn Ames war in Zeiten von Corona das einzige Unternehmen in Europa, dass eine befristete Zulassung zur Zertifizierung von Umrüstungen von Passagier- zu Frachtflugzeugen nach dem Prinzip «Cargo on Board» von der Behörde erhielt. Dazu wurden Sitze ausgebaut, Netze angebracht und eigene Sicherheitsprocedere ausgearbeitet, um Fracht wie Schutzmasken in der Kabine befördern zu dürfen: «Während des totalen Lockdowns haben wir der Luftfahrtbehörde mittels Tests, die per Videoschaltung live mitgefilmt wurden, beweisen müssen, dass die Crews die ausgearbeiteten Notfallprocederes an Bord einer Boeing 777 umsetzen können», so Maier.
Das Marktvolumen für Upgrades und Kabinenumbauten liegt weltweit bei rund 15 bis 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Durchschnittlich alle fünf bis sieben Jahre entscheiden sich Fluglinien, ihre Kabinen zu erneuern. Gerade die Airlines mit Premium-Anspruch setzen auf eine regelmäßige Verjüngung der Kabine, um sich von den Mitbewerbern zu unterscheiden. Inzwischen haben mehr als 500 Fluggesellschaften weltweit die Leistungen von Ames Aerospace in Anspruch genommen, darunter auch viele renommierte Airlines aus dem deutschsprachigen Raum, wie etwa Lufthansa, Swiss, Austrian, Condor oder Eurowings.
Ames war auch beim Einbau der Premium Economy Class in die Boeing 767-300 ER von Austrian Airlines federführend. Dazu wurde nicht nur das Kabinenlayout erstellt, sondern auch Ames-Kabinenteile verbaut. Sowohl in der Boeing 777 als auch in der Boeing 787-9 brachte das Unternehmen die Kabinen auf Austrian-Airlines-Standard.
Ein Auftrag der chilenisch-brasilianischen Fluggesellschaft Latam zur Modernisierung von 155 Flugzeugkabinen der Airbus-A320-Familie mit einem Auftragsvolumen von 8,5 Millionen Euro sorgte zum 20. Jubiläums des Unternehmens für Schlagzeilen. «Wir beliefern Latam bereits seit mehreren Jahren und sind in dieser Zeit zum Stammlieferanten aufgestiegen», kommentiert Maier. «Die jüngste Beauftragung ist für uns ein besonderer Meilenstein, da es das größte Projekt in unserer Unternehmensgeschichte ist.»