József Váradi*: Aktuell haben wir 35 Flugzeuge am Boden, bedingt durch die Probleme mit den Pratt & Whitney-GTF-Triebwerken. Wenn diese Maschinen zurückkehren und gleichzeitig neue ausgeliefert werden, wäre das Wachstum mit 30–40 Prozent nicht mehr steuerbar. Wir haben die Lieferungen daher so angepasst, dass wir ein realistisches und nachhaltiges Wachstum von etwa zehn Prozent pro Jahr erreichen – das entspricht immer noch rund 10 Millionen zusätzlichen Sitzen jährlich. Wir bleiben damit die am schnellsten wachsende Airline Europas.
Sie selbst haben die Probleme mit Pratt & Whitney thematisiert. Gleichzeitig haben Sie im Sommer Triebwerke für 177 weitere Flugzeuge bei Pratt & Whitney bestellt. Was gibt Ihnen angesichts der aktuellen Herausforderungen weiterhin das Vertrauen in den amerikanischen Hersteller?
Die Herausforderungen betreffen nicht nur Pratt & Whitney. Auch CFM-Betreiber müssen derzeit Flugzeuge am Boden lassen, weil es bei deren Triebwerken zu Engpässen kommt. Das zeigt: Es handelt sich nicht um ein isoliertes Problem eines einzelnen Herstellers, sondern um eine systemische Lieferkettenkrise, die die gesamte Luftfahrtindustrie betrifft.
Bleibt das Ziel von 500 Flugzeugen bestehen?
Wir sind auf einem klaren Wachstumskurs: Nach dem Erreichen von 250 Flugzeugen streben wir die Marke von 500 an. Die Frage ist nicht ob, sondern wann wir dieses Ziel erreichen. Aktuell sehen wir durch geopolitische Spannungen, Lieferkettenengpässe und natürlich die Herausforderungen mit den GTF-Triebwerken leichte Verzögerungen. Dennoch bleibt unsere Strategie unverändert relevant – die Nachfrage und unser Geschäftsmodell sind weiterhin intakt.
«Wir haben gelernt, dass Abu Dhabi ein System ist, in dem Entscheidungen nicht nach festen Regeln, sondern nach Ermessen getroffen werden.»
Warum haben Sie die Bestellung der A321 XLR von 47 auf 11 reduziert?
Beim A321 XLR zeigt sich ein klares Muster: In Regionen mit extremen Klimabedingungen, etwa hoher Hitze und staubiger Umgebung, verschleißen die Triebwerke deutlich schneller, bis zu drei Mal so schnell wie unter Standardbedingungen. Das führt zu häufigeren Bodenzeiten der Flugzeuge. Deshalb haben wir den Einsatz in solchen Gebieten vorerst reduziert.
Auf welchen Routen planen Sie den zukünftigen Einsatz der A321 XLR? Sie werden ja nicht plötzlich transatlantische Routen aufnehmen?
Der Einsatz wird sich im Wesentlichen auf Verbindungen vom Vereinigten Königreich zu Zielen beschränken, die in einer Reichweite von sieben bis acht Stunden liegen.
Vielleicht zwei Dinge. Erstens: Das externe Problem mit dem GTF-Triebwerk, sprich die unerwartet schnelle Abnutzung der Triebwerke. Das war ein neuer Faktor, den niemand vorhergesehen hatte. Warum auch? Aber das musste man plötzlich berücksichtigen.
Zweitens haben wir gelernt, dass Abu Dhabi ein System ist, in dem Entscheidungen nicht nach festen Regeln, sondern nach Ermessen getroffen werden. In Europa gibt es den Schutz des Rechtsstaats, dort nicht. Wenn man in einem solchen Umfeld operiert, sind die Spielregeln andere. Und ehrlich gesagt: Ich glaube nicht, dass wir besonders gut darin sind, uns in einem solchen Rahmen zurechtzufinden.
Wizz Air in fünf Jahren: Streben Sie nach Wachstum in Westeuropa oder liegen Ihre Prioritäten woanders?
Wir werden uns weiterhin stark auf Mittel- und Osteuropa konzentrieren. Diese Region ist unser Kernmarkt. Das Bruttoinlandsprodukt in Mittel- und Osteuropa wird im Vergleich zu Westeuropa überproportional wachsen. Davon wollen wir profitieren. Noch liegt die Reisebereitschaft hier deutlich unter dem westeuropäischen Niveau. Wenn sich dieser Markt weiter angleicht, können wir Treiber dieser Entwicklung werden.
Heißt das also, Sie sehen in Osteuropa genug Nachfrage, um 500 Flugzeuge auszulasten?
Ja, das glauben wir. Da sind wir sehr zuversichtlich.
Kommen wir zu den Planungen für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Deutschland gilt im Vergleich zu anderen Ländern gerade als teures Pflaster für die Luftfahrt. Was plant Wizz Air?
Wir erleben derzeit in Deutschland ein sehr dynamisches Wachstum. Wizz Air ist hier die zurzeit am schnellsten wachsende Airline. Unsere Wachstumsrate liegt deutlich über 20 Prozent, was uns natürlich sehr stolz macht und zeigt, dass unsere Strategie und unser Angebot bei den Kunden ankommen. Wir sind an fast allen großen deutschen Flughäfen vertreten und bauen unsere Präsenz kontinuierlich aus. Besonders erfreulich ist das Wachstum in Stuttgart, Hamburg und Berlin – hier verzeichnen wir eine deutlich steigende Nachfrage. Traditionell sind Dortmund und Memmingen wichtige Flughäfen für uns.
Insgesamt können wir sagen: Wir leisten einen signifikanten Beitrag zur Luftverkehrslandschaft in Deutschland und festigen unsere Position als einer der wichtigsten Player am Markt.
«In Deutschland sind wir mit der Entwicklung sehr zufrieden.»
Das ist spannend, weil Ihre Konkurrenz sagt, Deutschland sei zu teuer und Kapazitäten abzieht. Warum funktioniert es für Wizz Air?
Natürlich spielen auch externe Rahmenbedingungen eine Rolle, weil sie uns Grenzen setzen. Aber aktuell sehen wir eine hohe Nachfrage nach unserem Angebot. Wir sind eine starke Marke, die für Preis-Leistung steht, und schaffen es, damit echten Mehrwert im Markt zu generieren. Das spiegelt sich auch in unserer finanziellen Performance wider.
Es ist eigentlich ganz einfach: Wächst unser Marktanteil, ist das ein Zeichen für gute finanzielle Ergebnisse. Ziehen wir Kapazitäten zurück, deutet das eher auf Schwächen hin. Und in Deutschland sind wir mit der Entwicklung sehr zufrieden.
Das war in Österreich der Fall. Sie haben die Basis in Wien geschlossen.
In Österreich gestaltet sich die Situation etwas anders, vor allem aufgrund der jüngsten Entscheidungen der österreichischen Regierung. Die Erhöhung der Luftverkehrssteuer hat uns gezwungen, unsere Betriebskosten in Wien kritisch zu prüfen. Nach sorgfältiger Abwägung haben wir uns dazu entschieden, den operativen Standort in Wien zu schließen und die Kapazitäten nach Bratislava zu verlagern. Dort finden wir ein deutlich kostengünstigeres Umfeld, das uns ermöglicht, effizienter und wettbewerbsfähiger zu agieren. Diese Anpassung ist ein wichtiger Schritt, um unsere Expansion langfristig zu sichern und gleichzeitig unsere Dienstleistungsqualität aufrechtzuerhalten.
Nun hatten wir Deutschland und Österreich. Was planen Sie für die Schweiz?
Die Schweiz ist für uns ein wichtiger Markt. Wir fliegen sowohl Genf als auch Basel-Mulhouse an, wobei Basel-Mulhouse für Wizz Air ein besonders starker Standort ist. Dort gehören wir zu den relevantesten Airlines und bedienen mit unserem Angebot eine große Nachfrage und das sowohl im Geschäfts- als auch im Privatreisebereich.
Das ist das 250. Flugzeug von Wizz Air
Das Design des Airbus A321 Neo ist ein Entwurf aus der Gemeinschaft ...
... über 300 Einsendungen hat Wizz Air erhalten.
Das Jubiläumsdesign ist allerdings nur geklebt.
Blick auf das Flugzeug kurz vor dem Einstieg.
Die Kabine bietet Platz für 239 Reisende.
Jeder Platz ist mit einem Aufbewahrungsnetz und einem Tisch ausgestattet.
Ab Dezember testen Sie die Option eines freien Mittelsitzes als neues Komfortfeature. Sind weitere Service-Innovationen geplant – etwa für Premium-Kunden oder spezifische Zielgruppen wie Geschäftsreisende?
Wir entwickeln uns stetig weiter, vor allem darin, die Bedürfnisse unserer verschiedenen Kundengruppen zu verstehen. Heute sind wir ein deutlich ausgereifteres Unternehmen als bei unserer Gründung. Damals lag unser Fokus fast ausschließlich auf VFR-Verkehr, also auf Arbeitsmigranten und Besuchen von Familienangehörigen zwischen Mittel-/Osteuropa und Westeuropa.
Mittlerweile beobachten wir jedoch einen starken Anstieg an Urlaubsreisenden – sowohl inbound als auch outbound – sowie eine wachsende Geschäftsreise-Nachfrage. Mit dieser Diversifizierung gehen natürlich auch unterschiedliche Erwartungen einher. Deshalb werden wir unser Angebot zunehmend segmentieren, um gezielt auf die verschiedenen Zielgruppen eingehen zu können.
*József Váradi ist Gründer und Chef von Wizz Air, der größten Low-Cost-Airline Mittel- und Osteuropas. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Budapester Universität für Wirtschaftswissenschaften und schloss später einen Master of Laws an der University of London ab. Von 2001 bis 2003 war er der letzte Chef der ungarischen Fluggesellschaft Malév.
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