Flughafen Guernsey: So klar war die Sicht am Tag des Vorfalls nicht.

GuernseyATR-Crew flog desorientiert in nur 20 Metern Höhe über Flughafen

Ein britischer Untersuchungsbericht zeigt, wozu schlechte Kommunikation im Cockpit führen kann. Die Piloten einer ATR 72 missachteten auf dem Weg zur Kanalinsel Guernsey nicht nur ein Anflugverbot.

Top-Jobs

aaa aviation academy austria logo

Fluglehrer/-in FI(A) mit Funktion Deputy CFI

Vollzeit
Aviation Academy Austria
Flugschule
Feste Anstellung
Top jobs
Wiener Neustadt - LOAN
Österreich
aaa aviation academy austria logo

Fluglehrer/-in FI(A)

Vollzeit
Aviation Academy Austria
Flugschule
Feste Anstellung
Top jobs
Wiener Neustadt - LOAN
Österreich
Goldeck Logo

Captain Pilatus PC-12NGX (f/m/d)

LOWW/VIE
LOAN
Feste Anstellung
Business Aviation
Goldeck-Flug Gesellschaft m.b.H.
Österreich
Vollzeit
Top jobs
Goldeck Logo

Inflight Service Personnel (M/F/D)

LOWW/VIE
Feste Anstellung
Business Aviation
Goldeck-Flug Gesellschaft m.b.H.
Österreich
Vollzeit
Top jobs

Wenn Cockpitcrews im Landeanflug nicht genug von der Piste sehen, dürfen sie nicht landen - so lautet sehr vereinfacht gesagt die Regel. Etwas genauer formuliert heißt das: Ist die für den Anflug vorgeschriebene Pistensichtweite (im Englischen Runway Visual Range, kurz RVR) unterschritten, gilt ein Anflugverbot (Approach Ban). Das Verbot untersagt es, den Anflug unterhalb einer Höhe von 1000 Fuß (305 Meter) über Flugplatzhöhe fortzusetzen.

Diese Vorschrift steht im Mittelpunkt einer Untersuchung der britischen Unfallbehörde Air Accidents Investigation Branch, kurz AAIB. Es geht um einen schweren Vorfall am Morgen des 12. August 2024, als eine ATR 72-500 den Flughafen der Kanalinsel Guernsey ansteuerte. Das Flugzeuge der litauischen Jump Air war im Auftrag der heimischen Fluglinie Aurigny Air Services unterwegs und kam aus Southampton. An Bord: 52 Fluggäste und fünf Crewmitglieder.

Bedingungen verschlechterten sich

Die Besatzung hatte das Flugzeug mit dem Kennzeichen LY-JUP zuvor von Guernsey nach Southampton geflogen. Beim Start dieses Fluges bildete sich schon Nebel am Insel-Flughafen, die Pistensichtweite war mit mehr als 1500 Metern aber noch gut. Vor dem Start des Rückfluges in Southampton erwartetet der Kapitän zudem Wetterbesserung auf Guernsey. Doch es kam anders.

Unterwegs erhielten die Piloten Wetter-Updates und verlangsamten den Flug, um später auf der Insel anzukommen. Die Pistensichtweite hatte sich deutlich verschlechtert. Sie variierte, lag aber selten über den mindestens erforderlichen 550 Metern.

Sichtweite von nur noch 325 Meter

Die Crew drehte mit der ATR einige Warteschleifen und erwog eine Rückkehr nach Southampton. Doch dann teilte die Flugsicherung ihr mit, dass die Sichtweite sich auf 550 Meter verbessert hatte. Die Jump-Air-Piloten begannen nun den Landeanflug auf Piste 27.

Bis zum Beginn des Endanfluges war die Pistensichtweite jedoch erneut gesunken und lag nun stets unter 450 Metern. Die Flugsicherung hielt die Besatzung während des Anflugs über die Sichtweite auf dem Laufenden und gab ihr die Freigabe fürs Instrumentenlandesystem. Es wurde umgeschaltet auf die Towerfrequenz. Als die Piloten den Tower kontaktierten, erhielten sie die Information, dass die Pistensichtweite 325 Meter am Aufsetzpunkt und 400 Meter am anderen Pistenende beträgt Die Flugsicherung meldete erneut die Sichtweite, als sich die ATR auf 1540 Fuß (469 Meter) über Meeresspiegel befand: 325 Meter beim Aufsetzen, 375 Meter am anderen Ende der Landebahn.

Sprachaufnahme überschrieben

Dennoch setzte die Besatzung der Anflug fort - auch unterhalb von 1000 Fuß oder 305 Metern über Flughafenhöhe (1336 Fuß oder 407 Meter über Meeresspiegel). Die Flugsicherung gab zwei weitere Updates, beide weiterhin mit zu geringer Pistensichtweite. Bei 536 Fuß oder 163 Metern über dem Meeresspiegel erreichte die ATR die Entscheidungshöhe, also die Höhe, in der die Landebahn sichtbar sein oder durchgestartet werden muss.

Bei dem, was dann folgte, gingen die Erinnerungen von Kapitän und Kopilot in den späteren Befragungen an manchen Stellen auseinander. Bei der Wahrheitsfindung nicht helfen kann der Stimmenrekorder des Flugzeuges. Denn die AAIB wurde erst am Mittag des folgenden Tages über den Vorfall informiert. Zu diesem Zeitpunkt war die Aufzeichnung des Rekorders bereits durch weitere Flugzeit überschrieben worden.

Kopilot veranlasste Go-around

Beide Piloten sagten aus, dass der Kopilot «Minimums» sagte, also auf das Erreichen der Entscheidungshöhe hinwies. Der Kapitän erinnert sich, dass er die Pistenbefeuerung sah und daher gemäß Standardverfahren mit «Contact, Landing» antwortete und den Autopiloten deaktivierte. Der Kopilot erinnert sich an keine Antwort - er vermutete deshalb, dass der Kapitän die Lichter der Piste nicht sah. Daher wies er einen Go-around an. Das überraschte den Kapitän. Dennoch drückte er sofort den Durchstartknopf, erhöhte den Schub und ordnete ein Einfahren der Landeklappen um eine Stufe an, was der Kopilot durchführte.

15 Sekunden lang stieg das Flugzeug aber nicht, sondern blieb etwa im Horizontalflug. So flog es - rechts von der Landebahn abweichend - über den Flughafen in einer Höhe zwischen 61 und 78 Fuß, lediglich 19 bis 24 Meter. Dabei kam die ATR einer Antenne nahe. Seitlich betrug der Abstand 40 Meter, während das Flugzeug sich nur rund acht Meter höher befand als die Spitze der Antenne.

Skizze zum Zwischenfall.

Unterschiedliche Aussagen

Zunächst war das Fahrwerk nicht eingefahren, obwohl der Kapitän dies anordnete. Dazu, warum der Kopilot dieser Anordnung nicht nachkam, gibt es unterschiedliche Erinnerungen bei den beiden.

Der Kapitän erinnert sich nur daran, dass der Kopilot mehrmals nicht reagiert habe. Der Kopilot sagte aus, er habe dem Kapitän gesagt, dass er das Fahrwerk aufgrund der nicht ausreichenden Steigleistung nicht einfahre könne. Zudem habe er den Kapitän zum Steigen aufgefordert, worauf dieser nicht reagiert habe. Wer schließlich die Nase der ATR hochzog, geht nicht ganz klar aus dem Bericht hervor. Doch es war der Kapitän, der das Fahrwerk einfuhr.

Zwei erfahrene Piloten

Die ATR stieg, schloss das Durchstart-Manöver ab und kehrte nach Southampton zurück. Dort wurde der Flieger aufgetankt und die Besatzung führte anschließend bei besserem Wetter erneut den Flug nach Guernsey durch - dieses Mal ohne Vorkommnisse.

Beide Piloten waren erfahren, der Kapitän mit mehr als 10.300 Flugstunden, davon rund 4800 auf der ATR, außerdem auf Boeing 757, 767 und 777. Der Kopilot hatte zum Zeitpunkt des Vorfalls mehr als 2000 Flugstunden, davon mehr als 760 auf der ATR.

Anflugverbot war kein Thema

Für beide ist English nicht die Muttersprache. Es ist aber die einzige Sprache, in der beide sich untereinander verständigen können. Die Piloten hatten im ersten Quartal 2024 bei Jump Air begonnen. In ihren Trainings erhielten sie unauffällige Bewertungen. Der Kapitän wurde aber einmal daran erinnert, dass die ATR mehr als einen Piloten hat. Dem Kopiloten wurde einmal nahegelegt, nicht zu zögern, dem Kollegen, wenn dieser steuert, Hilfe anzubieten.

Beide kennen das Anflugverbot, erwähnten es aber nicht im Anflugbriefing für den Guernsey-Flug. Der Kapitän könnte laut AAIB von einer älteren Auslegung der Vorschriften ausgegangen sein, die eine spätere Go-around-Entscheidung ermöglicht hätte.

Missverständnisse und Verwirrung

Auch während des Fluges sprach keiner der Piloten über das Anflugverbot, obwohl sie sich zunächst über das Wetter und mögliche Umleitungen bei schlechten Bedingungen unterhielten. Als sich die ATR auf dem Gleitpfad befand, gab es laut den Erinnerungen von beiden kein Gespräch mehr über die Sichtweite - obwohl die Flugsicherung sie mehrfach darüber informierte.

«Aufgrund ineffektiver Kommunikation wusste keiner der Piloten genau, was der andere tat oder plante», so die AAIB über die kritischen Momente. «Infolgedessen herrschte Verwirrung über den Durchstart. Keiner der Piloten war sich der Absichten oder der Situation des anderen vollständig bewusst. Sie hatten kein gemeinsames Bild davon, wo sich das Flugzeug befand oder was sie erreichen wollten.» Das habe dazu geführt, «dass über einen längeren Zeitraum keiner wusste, wie nahe sie sich über dem Boden und Hindernissen befanden», schreibt die Behörde im Bericht.

Was Jump Air danach änderte

Die AAIB kritisiert die litauische Fluggesellschaft dafür, dass diese in der Zeit vor dem Zwischenfall trotz «der Vielfalt der Nationalitäten und Muttersprachen» innerhalb ihres Personals «keine gezielten Anstrengungen unternahm, die Kommunikationsfähigkeiten ihrer Besatzungen zu bewerten, zu schulen und zu verbessern». Seitdem hat sich einiges gebessert.

Nach dem Vorfall hat Jump Air laut AAIB etliche Maßnahmen umgesetzt. So richtete die Fluggesellschaft etwa ein präventives Program zum Sammeln und Analysieren von Flugdaten ein, passte die Rekrutierungsprozesse an und machte Kommunikation zum eigenständigen Bewertungsbereich. In der Ausbildung legt sie mehr Wert auf Koordination und Zusammenarbeit innerhalb der Crews. Im Simulatortraining sollen Kopiloten Entscheidungen der Kapitäne aktiv hinterfragen, wenn sie Fehler oder Verstöße bemerken.

Mehr zum Thema

ATR 72 von Aurigny: Die Fluglinie will mehr davon.

Aurigny will ihr einziges Düsenflugzeug loswerden

Saab 2000 von Loganair: Die Fluglinie baut auf Strecken der untergegangenen Flybe aus.

Konkurrenten stürzen sich auf Strecken von Flybe

Die Embraer E195 von Aurigny: Mehr Platz tut Not.

Sprung in die Lücke von Flybe

Video

klm embraer e195 klm solarpark
Ein Solarpark in der Nähe des Amsterdamer Flughafens brachte schon im Frühjahr den Betrieb durcheinander. Nun warnt der Chef von Schiphol, dass ab Ende August die blendenden Paneele sogar zwei Pisten unbrauchbar machen könnten.
Timo Nowack
Timo Nowack
rolls royce boeing 747 200 n787rr
Schon 2019 stand der Triebwerksbauer kurz davor, seinen fliegenden Prüfstand auszumustern. Doch dann überlegt Rolls-Royce es sich anders. Nun wandert die 45 Jahre alte Boeing 747-200 definitiv auf den Flugzeugfriedhof.
american airlines airbus a321 xlr n300ny
Nicht nur Lufthansa muss aufgrund von Schwierigkeiten mit den Sitzen auf fertige, farbrikneue Flugzeuge warten. American Airlines geht es nun mit dem ersten Airbus A321 XLR auch so.
Timo Nowack
Timo Nowack