Ein Routinetest der Triebwerke endet im Desaster: Der vordere Rumpf eines brandneuen Airbus A340-600 von Etihad Airways reißt eine Betonmauer auf, das Cockpit wird komplett zerstört. Was lief schief?
Mitte der Nullerjahre galt Etihad Airways als eine der ambitioniertesten Fluggesellschaften der Welt. In ihrem ersten vollständigen Betriebsjahr 2004 beförderte sie rund 340.000 Passagiere – doch schon drei Jahre später waren es über 4,6 Millionen. Damals hielt die Golfairline noch keine Minderheitsbeteiligungen an anderen, teils angeschlagenen Airlines wie später etwa Air Berlin.
Etihad setzte vor allem auf moderne, langstreckenfähige Flugzeuge, darunter Airbus A330 und A340 sowie die Boeing 777. 2007 bestellte das Management auf der Paris Air Show vier Airbus A340-600, fünf A330-200 und erstmals drei Frachtversionen des A330-200 F. Die Einführung des ersten Airbus A380 von 2007 auf 2008 geschoben.
Im November 2007 wollte Etihad in Toulouse ihren vierten Airbus A340-600 übernehmen. Vor der Übergabe durchläuft jedes neue Flugzeug die sogenannten Abnahmeflüge – eine Reihe von Flügen, bei denen die Airline gemeinsam mit Airbus alle Systeme am Boden und im Flug prüft.
Getestet werden Triebwerke, Bremsen, Avionik, Notfallausrüstung sowie Start, Landung, Steuerbarkeit und Kabinenfunktionen unter realen Bedingungen. Erst nach erfolgreicher Abnahme wird das Flugzeug offiziell in die Flotte aufgenommen. So auch im Fall des A340-600 mit der Testregistrierung F-WWCJ. Das Etihad-Kennzeichen hätte der Vierstrahler nach der erfolgreichen Abnahme bekommen, aber zu mehr kam es nicht mehr.
Am Nachmittag des 15. November standen Triebwerkstests für den Vierstrahler an. Die Techniker von Airbus und Etihad wollten herausfinden, warum es bei hohen Schubkräften zum Ölverlust kam. Entgegen der Vorgabe des Customer Acceptance Manual CAM, also der Anleitung für die Abnahmetests, wurden diese ohne Radkeile durchgeführt.
Der erste Test verlief erfolgreich. Nach einer Stunde Pause erhöhten die Techniker die Schubkraft deutlich. Plötzlich setzte sich der Vierstrahler unerwartet in Bewegung. Ein Angestellter von Etihad Airways bemerkte als Erster die unkontrollierte Rollbewegung.
Der Airbus-Ingenieur auf dem rechten Pilotensitz versuchte, mit den Bremsen am Seitenruderpedal gegenzusteuern. Trotz seiner Bemühungen, das Flugzeug unter Kontrolle zu bringen, drehte es nach rechts ab und prallte mit einer Geschwindigkeit von etwa 55 km/h gegen eine Betonmauer.
Später stellte sich heraus, dass die Feststellbremse angezogen war und erst versagte, als der Schub über die zulässige Höchstgeschwindigkeit hinaus anstieg. Als die Techniker dann beim Anfahren die Bremspedale betätigten, löste sich die Feststellbremse vollständig, wodurch der Airbus A340 von Etihad Airways beschleunigte. Der ganze Vorgang dauerte nur 13 Sekunden.
Doch die Folgen des Aufpralls waren verheerend: Das vordere Drittel der Kabine durchbrach die Betonmauer, wurde aufgerissen und knickte nach unten ab. Auch das Cockpit wurde vollständig zerstört. Die beiden Triebwerke auf der linken Seite des Flugzeugs schlugen ebenfalls gegen die Mauer und wurden schwer beschädigt. Von den neun Menschen an Bord wurden fünf verletzt, vier davon schwer.
Die Triebwerke auf der rechten Seite sollen noch stundenlang weitergelaufen sein. Eines wurde nach 2,5 Stunden unter massivem Einsatz von Löschschaum zum Stillstand gebracht. Das letzte ging erst aus, als der Kraftstoff aus war.
Das Flugzeug musste noch vor seinem ersten Einsatz als Totalverlust abgeschrieben werden. Laut Listenpreis kostete ein Airbus A340-600 im Jahr 2007 rund 340 Millionen Dollar. Das Wrack wurde 2008 verschrottet, wobei das Heck für kurze Zeit sogar als ungewöhnliches Ausstellungsstück auf den Champs-Élysées in Paris zu sehen war.
Airbus passte das Customer Acceptance Manua) an und machte die Verwendung von Radkeilen bei Hochschubtests verpflichtend, verschärfte die Einhaltung von Sicherheitsprotokollen und führte zusätzliche Schulungen für Testpersonal ein, um das Risikobewusstsein zu stärken.
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