Ein Frachtflugzeug von SF Airlines und ein Passagierjet von Air China flogen im Süden Russland aufeinander zu - mit geringem Höhenunterschied. Vieles zu dem Vorfall mit einem Airbus A350 und einer Boeing 767 ist allerdings noch ungewiss.
Am Boden ist nicht viel los in der russischen Republik Tuwa im Süden von Sibirien. Nur rund zwei Menschen leben dort durchschnittlich pro Quadratkilometer: Zum Vergleich: In Deutschland sind es im Durchschnitt mehr als 230, in Moskau mehr als 4500 Menschen.
Südlich des Dorfes Katazy in Tuwa war in der Luft ab etwa 4:40 Uhr Ortszeit am 7. Juli (21:40 Uhr koordinierte Weltzeit UTC am 6. Juli) aber durchaus einiges los. Die Flugsicherung koordinierte zur dieser Zeit vier Flüge in der Region, wie die Zeitung South China Morning Post berichtet: Air-China-Flug CA861 von Peking nach Genf, Hainan-Airlines-Flug HU7937 von Peking nach Prag, Air-China-Flug CA967 von Shanghai nach Mailand und SF-Airlines-Flug O3128 von Budapest nach Ezhou. Dabei kam es zu einem Problem.
Denn der A350 von Air China, der als Flug CA967 auf dem Weg nach Italien war, stieg auf einmal. Der Flugverfolgungsdienst Flightradar 24 gibt für 04:39 Uhr nach GPS eine Höhe von rund 10.390 Metern an, der Dienst Airnav Radar zeigt denselben Wert noch etwas länger an. Dann gibt es bei beiden eine lange Pause bei den GPS-Höhenangaben. Der nächste Wert erscheint um 04:52 Uhr, bei rund 10.970 Metern - also rund 580 Meter höher als zuvor. Für die Boeing 767 der Frachtfluglinie SF Airlines, die in Gegenrichtung flog, fehlen für einen noch längeren Zeitraum GPS-Höhenangaben.
Allerdings zeigt Flightradar, dass der A350 und die Boeing 767 aufeinander zusteuerten. Und die Angaben in barometrischer Höhenmessung deuten darauf hin, dass die beiden Langstreckenjets zeitweise nur in rund 100 Metern unterschiedlicher Höhe flogen.
An dieser Stelle kommen Aufnahmen ins Spiel, die in chinesischen Sozialen Netzwerken kursieren und die der South China Morning Post vorliegen. Auf ihnen sind zuerst die Funksprüche zwischen russischer Flugsicherung und chinesischen Cockpitcrews in englischer Sprache zu hören und dann ein Funkgespräch zwischen den Crews von A350 und Boeing 767 auf Mandarin. Die Echtheit der Aufnahmen konnte das Blatt nicht verifizieren.
Die 767-Piloten bemerkten laut der ersten Aufnahme den A350 und forderten von der Flugsicherung Anweisungen. Die wies beide Flugzeuge zu Ausweichmanövern an. Zudem ging laut der Zeitung in beiden Cockpits eine Warnung für Kollisionsgefahr los, das Traffic Collision Avoidance System, kurz TCAS. Die Flugsicherung fragte die A350-Crews: «Steigen Sie mit Anweisung oder ohne Anweisung? Bestätigen Sie, bitte.» Der Air-China-Pilot antwortete: «Nein. Danke.»
Auf der zweiten Aufnahme ist laut dem Blatt zu hören, wie der 767-Pilot zum A350-Pilot sagte: «Ich habe Ihr Flugzeug steigen sehen». Er fragte, ob es eine Anweisung dafür gegeben habe. «Ich sah, dass sich vor mir ein Flugzeug befand, das nur 20 Seemeilen entfernt war und immer noch stieg. Eine solche Überflughöhe ist sehr unangemessen.» 20 Seemeilen entsprechen 37 Kilometern.
Der Air-China-Pilot antwortete demnach etwas von einem «Mädchen», das alle «verwirrt» habe - und bezieht sich damit womöglich auf eine russische Fluglotsin. Später sagte er, «wir konnten es ihnen nicht klar erklären» und «wussten nicht, wie wir es ihnen sagen sollten». Die Piloten beider Jets sagten dann, dass sie über den Vorfall Berichte anfertigen werden.
Die beiden Fluggesellschaften sowie die chinesische Luftfahrtbehörde äußerten sich zunächst nicht auf Anfragen der South China Morning Post. Die Zeitung vermutet allerdings, dass es im Cockpit des Airbus A350 ein Missverständnis gegeben haben könnte.
Denn während der Air-China-Flug zu Beginn keine Anweisungen von der russischen Flugsicherung erhielt, wies diese eines der beiden anderen Flugzeuge, jenes von Hainan Airlines, an, auf Flugfläche 360 (bei Normaldruck eine Höhe von 36.000 Fuß oder rund 10.970 Meter) zu bleiben. Der Hainan-Pilot bestätigte und direkt danach sagt der Air-China-Pilot etwas, das aber nicht zu verstehen ist in der Aufnahme. Die Theorie: Der Airbus-A350-Pilot dachte, die Anweisung sei für ihn fordere ihn zum Steigen auf diese Höhe auf.