Von der Hauptstadt Brazzaville aus beginnt eine faszinierende Reise entlang des mächtigen Kongos, vorbei an kolonialer Geschichte, lebendiger Kultur und atemberaubender Natur. Sie führt zu Waldelefanten, Pygmäen und historischen Spuren französischer Kolonialherrschaft.
Empfiehlt sich derzeit angesichts der Schlagzeilen über heftige Kämpfe im nordöstlichen Kongo nicht, denken sich viele. Im riesigen Kongobecken gibt es zwei fast gleichnamige Staaten: Die Demokratische Republik Kongo mit der Hauptstadt Kinshasa. Und dort, im Nordosten, finden schwere Kämpfe statt.
Dann ist da noch die kleinere Republik Kongo mit der Hauptstadt Brazzaville. Sie gilt derzeit als sichere Reisedestination. Getrennt werden die beiden Staaten durch den mächtigen Kongo, dem mit 4374 km zweitlängsten Fluss Afrikas.
Ab Deutschland, Österreich und der Schweiz empfiehlt sich der Flug mit Air France ab Paris in einem Airbus A350-900 nach Brazzaville. An drei Tagen pro Woche landet die Maschine allerdings zuerst in Kinshasa, von wo sie zwei Stunden später nach Brazzaville weiterfliegt.
Die Fluggäste kommen damit zu einer einmaligen Erfahrung. Diese Flugverbindung über den Kongo gilt weltweit als die kürzeste Flugroute zwischen zwei Hauptstädten. Kinshasa liegt am südlichen Ufer, gleich gegenüber am nördlichen Ufer erstreckt sich Brazzaville. Auf der Flugkarte im Unterhaltungssystem werden 24 Kilometer als Distanz von Kinshasa nach Brazzaville angegeben. Damit ist der Langstreckenflieger ziemlich unterfordert, hat er doch eine Reichweite von 15.372 Kilometern. Die Maschine ist genau 14 Minuten in der Luft.
In Brazzaville leben 2,15 Millionen Menschen. Dennoch verbreitet die Metropole den angenehmen Charme einer Provinzstadt. Das wird besonders augenfällig, wenn man auf die andere Seite des Kongo blickt. Kinshasa, das ist eine Megacity mit unzähligen Wolkenkratzern und 17 Millionen Menschen.
In Brazzaville sind auf den Spaziergängen die Erbschaften aus der französischen Kolonialzeit zu entdecken. Dazu gehören etwa die Kathedrale Sainte-Anne, die in den Vierzigerjahren von einem französischen Architekten erbaut wurde. Am Flussufer stehen hinter hohen Mauern prächtige Villen. In einer davon residierte einst der französische General Charles de Gaulle gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Stadtbild wird auch von viel Grün geprägt. Und überall warten Gebäude darauf, ihre Geschichte zu erzählen.
Zu den interessantesten Punkten der Stadt gehört ein imposantes Marmormausoleum. Der Mann, dem die Anlage gewidmet ist, heisst Pierre Savorgnan de Brazza. Der 1852 in Rom geborene Mann wurde Marineoffizier und machte sich später als Afrikareisender im Auftrag Frankreichs einen Namen. Und er verlieh der Stadt seinen Namen. De Brazza gilt als sehr seltene Gestalt unter den frühen Kolonialisten in Afrika, weil er seinen Reichtum ohne Gewaltanwendung zusammengetragen haben soll.
Das dürfte mit ein Grund gewesen sein, weshalb ihn die französische Regierung aus dem Ruhestand holte und nach Französisch-Kongo schickte, wo er abklären sollte, was es mit den Anschuldigungen von Gräueltaten an Afrikanern, begangen durch französische Soldaten und Firmen, auf sich hatte. Der Skandal betraf vor allem den Bau der Chemin de fer Congo-Océan. Die Bahnlinie sollte Brazzaville mit der Hafenstadt Pointe-Noir am Atlantik verbinden.
Für den Bau von 1921 bis 1934 wurden grösstenteils Zwangsarbeiter eingesetzt. Sie erhielten weder Lohn noch medizinische Versorgung und mussten meist selber für ihre Nahrung sorgen. Das hatte zur Folge, dass die Menschen wegen Unterernährung, Arbeitsunfällen und Tropenkrankheiten umkamen. Nach offiziellen Angaben starben gegen 20.000 Menschen. Nach inoffiziellen Schätzungen sollen es gegen 60.000 Menschen gewesen sein.
De Brazza sammelte zahlreiche Hinweise auf diese brutalen Praktiken und schrieb dies auch nieder. Seine Berichte nach Paris wurden jedoch auf Anweisung der französischen Regierung geheim gehalten. Auf dem Rückweg nach Frankreich erkrankte er an Fieber und starb 1905 mit 53 Jahren in Dakar (Senegal). Gerüchten zufolge soll er vergiftet worden sein.
Ob sich der für seine Bescheidenheit gelobte de Brazza über das große Mausoleum gefreut hätte? Wir wissen es nicht. Für die damals enorme Bausumme von umgerechnet 10 Millionen Franken wurde die Gedenkstätte am 3. Oktober 2006 eingeweiht. Zu den Gästen, die der Einladung von Denis Sassou Nguesso, dem langjährigen Staatspräsidenten der Republik Kongo folgten, gehörte unter anderem der französische Präsident Jacques Chirac.
Heute finden sich hier vor allem Touristinnen und Touristen ein, bewundern die Skulptur von de Brazza im kleinen Park und studieren die Infotafeln im Innern des Mausoleums. Das Untergeschoss, wo de Brazzas Asche und die Gebeine seiner Gattin und vier seiner Kinder in pompösen Gräbern ruhen, darf man aber nicht besuchen.
Einheimische Besucher sind praktisch keine auszumachen. Wie ich später vernehme, sollen sich anfänglich viele Kongolesen geweigert haben, das Mausoleum zu besuchen, weil de Brazza für sie ein Kolonialist war. Dann ging jedoch das Gerücht um, das Gebäude, in dem die Überreste von Toten liegen, sei verhext, ein Zentrum für schwarze Magie.
Magie vielleicht auch hier: Praktisch von überall in der Stadt aus sieht man den Tour Nabemba, auch bekannt als Elf Tower. Der Rundbau galt damals mit 106 Metern Höhe als höchstes Gebäude Zentralafrikas. Der Tower wurde mit Krediten des französischen Ölkonzerns Elf Aquitaine gebaut, um die vermeintliche Überlegenheit Brazzavilles gegenüber dem ungleich größeren Kinshasa zu demonstrieren. Das Hochhaus wurde zwischen 1982 bis 1986 von der damaligen marxistischen Regierung gebaut.
Während des Bürgerkriegs 1997, der den früheren Diktator Denis Sassou-Nguesso zurück an die Macht brachte, wurde der Turm schwer beschädigt. Die Ruine wurde in der Folge für viele Millionen wieder aufgebaut. Die Summe lag deutlich über den ursprünglichen Baukosten. Währenddessen blieben benachbarte Büros, Wohnungen und Gebäude von Geschossen zerstört. Für die Instandhaltung des Bauwerks werden aktuell pro Jahr über 3 Millionen Euro aufgewendet. Sehr zum Ärger vieler Einwohner von Brazzaville, werde das Gebäude doch lediglich als Prestigeobjekte ohne eigentlichen Nutzen verwendet.
Schwarze Magie? In den letzten Jahren fiel die Klimaanlage im Turm immer wieder aus, wodurch sich die Büros der Ministerien, die hier ihren Sitz haben, in wahre Saunaanlagen verwandelt haben sollen, wie man in der lokalen Presse nachlesen kann.
Und wie geht es den Bewohnerinnen und Bewohner von Brazzaville? Bei unserem Besuch stehen vor Tankstellen lange Warteschlangen. Automobilisten berichten in lokalen Medien, dass sie Stunden, ja gar ganze Nächte vor Tankstellen verbringen müssen, um zu tanken. Mit ein Grund: Bei der Congo Ocean Railway, wie die bereits erwähnte Chemin de fer Congo-Océan staatliche Bahngesellschaft heute heißt, kommt es immer wieder zu längeren Unterbrüchen. Auf der Strecke Pointe Noir-Brazzaville wird ein Großteil der Erdölprodukte transportiert.
Die Hauptstadt leidet noch unter anderen Knappheiten. Stromausfälle bei Temperaturen zwischen 25 bis 33 Grad setzen Klimaanlagen ausser Betrieb, die unter anderem für die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung wichtig sind. Folge: Lebensmittel und Frischprodukte wie Fleisch und Fisch müssen weggeworfen werden, was die Lebensmittelpreise erhöht.
Unternehmen weichen wegen Strommangels auf Generatoren aus, die mit Diesel betrieben werden. Der Leiter eines IT-Dienstes erklärt, dass er statt der umgerechnet 46 Euro pro Tag nur noch 9 bis 10 Euro verdiene. Weil Busse nur mit großer Verspätung fahren, haben Taxi Hochbetrieb - allerdings zu hohen Preisen. Sie tanken bei illegalen Benzinverkäufern, die ihre Preise laut Medienberichten nach ihrem Gutdünken festlegen.
Dabei ist Kongo-Brazzaville der viertgrößte Ölförderer Afrikas und trotzdem seit Jahren hoch verschuldet. Als Hauptgrund gilt die Korruption und Selbstbedienungsmentalität unter dem Regime von Langzeitpräsident Denis Sassou Ngesso. Direktor der Nationalen Erdölgesellschaft war lange Zeit Denis-Christel Sassou Nguesso, der Sohn des Präsidenten. Im Volk wurde er Kiki le pétrolier genannt. Sein luxuriöser Lebenswandel ist berüchtigt. 2007 enthüllte die britische NGO Global Witness, wie der Präsidentensohn in einem einzigen Jahr hunderttausende Dollar für Luxuskäufe in Paris, Dubai und Marbella verprasste.
Laut Gobal Witness soll er insgesamt 50 Millionen Dollar aus der Staatskasse abgezweigt haben. Sein Versuch, die NGO vor ein britisches Gericht zu ziehen, misslang. Im Juli 2016 wurden in Frankreich und in den USA Vermögenswerte von ihm beschlagnahmt. Auch in der Schweiz kam es zu Beschlagnahmungen. Geschadet hat es dem Präsidentensohn kaum. Inzwischen ist er kongolesischer Minister für Internationale Kooperationen und damit weiterhin sehr nahe an den Geldtöpfen.
Doch nun ist es höchste Zeit, die touristischen Highlights von Kongo zu besichtigen. Das tut man von Vorteil vom Flusskreuzfahrtschiff MS Princesse Nagalessa aus. Das Schiff ist seit 2024 für touristische Expeditionskreuzfahrten im Einsatz und bis jetzt das einzige Hotelschiff auf dem Kongo. Das Schiff pendelt regelmäßig zwischen Brazzaville und der im Norden gelegenen Stadt Ouésso. Die geräumigen Kabinen verteilen sich auf drei Decks. Auf dem untersten, vierten Deck wohnt und arbeitet die Crew. Am Schiff befestigt sind mehrere Schnellboote, auf denen immer wieder Ausflüge in Seitenarme oder seichtes Gewässer gemacht werden. Zweck der Touren: Prächtige Vögel und Flusspferde beobachten.
Doch bevor der Anker gelichtet wird, erhalten wir Besuch von einer ganz speziellen Truppe: den Sapeurs. Vier Dandys tänzeln im Dreiteiler, glänzenden Lederschuhen, Hut, Spazierstock, Tabakpfeife und Sonnenbrille über den Schiffssteg. Ihr Chef folgt ihnen mit Abstand im farbigen Freizeitlook. Das Motto der Truppe, zu der auch zwei Frauen gehören: Sich so exaltiert wie nur möglich in Pose werfen. Eine der Frauen knallt die Fersen in kurioser Weise zusammen und harrt in dieser Stellung eine gefühlte Ewigkeit aus, die Designerjacke ist aufgeklappt, damit man das Label von Versace & Co. sehen kann, der Blick betont ausdruckslos.
Sie gehören der Union de la Sape mit Sitz in Brazzaville an. Die Wurzeln dieser Bewegung reichen in die Kolonialzeit zurück. Die Menschen bewunderten Studenten und Intellektuelle, die von einem Aufenthalt in Paris völlig verwandelt heimkehrten, im Nadelstreifenanzug, mit Hut, Brille, Lederschuhen, Spazierstock. Den Stil der weißen Bourgeoisie zu imitieren, war angesagt. Als bien sapé, elegant gekleidet, wurden die Nachahmer selbst zum Vorbild junger Männer, die sich in den 1970er-Jahren, den Namen Sapeurs gaben und, eine Dekade später, in La Sape zusammenfanden: der Société des Ambianceurs et des Personnes Elégantes.
Am liebsten präsentieren sich die Dandys zum Song Proclamation von Papa Wemba, der als König der kongolesischen Rumba gilt. Der Song handelt von einem jungen Mann, der sein Studium in Paris hinschmeißt, Geld verdient und sich eine teure Garderobe zulegt, um sich vor den Damen in der Heimat als Pariser Monsieur in Szene zu setzen.
Wemba war selber Sapeur. Von ihm soll der Spruch stammen, dass die Weissen zwar bestimmte Typen von Kleidungsstücken erfunden haben. Aber erst die Afrikaner hätten aus der Art, sie zu tragen, eine Kunst gemacht.
Die Imitation französischer Eleganz hat sich durch grelle Farbkombinationen und theatralisches Auftreten zu einem eigenen afrikanischen Stil entwickelt. Wer sich exklusiv kleidet, beweist allen, dass er trotz aller Widrigkeiten Herr seines Schicksals geblieben ist. Erst die "griffes", die Designermarken aus Frankreich oder Italien, sind Trophäen, die das Wunder der Verwandlung schaffen.
Auch hier gilt Papa Wemba als Trendsetter. Anfang der 1980er-Jahre rebellierte er in Kinshasa auf dem anderen Kongo-Ufer in Kinshasa gegen die vom damaligen Diktator Mobutu ausgerufene Kampagne der Reafrikanisierung. Mobutu wollte westliche Kleidung, sogar BHs und Krawatten, verbannen.
Mit Armani-Anzügen, deren Etikett er provokativ dem kreischenden Publikum hinhielt, rebellierte Papa Wemba dagegen - aus den Sapeurs wurde plötzlich eine politische Bewegung.
Der Dandy-Look wird heute auf beiden Seiten des Kongo gepflegt. Jeder kann mitmachen. Allerdings, so betont der Chef der kleinen Truppe auf dem Schiff, sollte man ein Gespür für Stil mitbringen. Dazu gehört es, nicht mehr als drei Farben zu tragen.
Das Schiff hat abgelegt, wir genießen den Kongo. Am zweiten Tag kommt es in Ngabé zum ersten Landgang. Es steht ein besonderes Ereignis bevor: Wir werden von Königin Ngalifourou empfangen. Dass es in Kongo-Brazzaville eine Königin geben sollte, war mir bis zu diesem Augenblick nicht bewusst. Zumal das Land im eisernen Griff des Staatspräsidenten Denis Sassou Nguesso ist.
Ngabé war einst ein wichtiger Ort des Königreichs Batéké in der Region Mbé nördlich der heutigen Hauptstadt Brazzaville. Bereits im 15. Jahrhundert galten die Batéké als erfolgreiche Händler, die ihre Ware auf den Flüssen transportierten. Sie waren bereits aktiv im Sklavenhandel tätig, als der Portugiese Diogo Cao als erster Europäer die Kongo-Mündung erreichte und erstmals Kontakt zu den Batéké herstellte. Die Batéké kontrollierten im 17. Jahrhundert auch Kupferminen, an denen die Europäer besonders interessiert waren.
Drei Jahrhunderte später trat Entdecker Pierre Savorgnan de Brazza in Kontakt mit Iloo Makako, wie der damalige Batéké-Konig hieß. Dabei lernte Brazza auch die erst 15 jährige Gattin von Makoko, Ngassiè, kennen. Die Frau genoss wegen ihrer ausserordentlichen Intelligenz und ihres starken Einflusses auf ihren viel älteren Gatten großen Respekt.
Die unbeugsame Frau war auch daran beteiligt, als ihr Gatte Iloo Makoko einen Vertrag mit de Brazza signierte, wodurch das Batéké-Gebiet an Frankreich fiel und zum Grundstein von Französisch-Kongo wurde. Sie wird die erste Frau eines Betéké-Königs sein, die den Namen Ngalifourou erhält, was so viel wie Besitzerin der Asche heißt. Fortan galt sie als oberste spirituelle Hüterin des Betéké-Reichs.
De Brazza war von Ngalifourou so beeindruckt, dass er ihr ein Schwert und eine Hellebarde schenkte. Als Iloo Makoko 1892 starb, bestieg die 28-jährige Witwe als Königin-Mutter den Thron des Köngreichs Mbé. Weil es die Tradition verlangte, musste sich Ngalifourou erneut vermählen. Was sie denn auch tat, indem sie nacheinander alle übrigen 10 Könige des Batéké-Reichs heiratet (es handelte sich ausnahmslos um alte Männer). Sie lebte aber nie mit ihnen zusammen.
Die Königin zog sich an ihren Geburtsort Ngabé zurück, übte jedoch weiterhin einen großen politischen Einfluss aus. Sie unterzeichnete weitere Verträge mit den Franzosen und ermunterte Betéké-Soldaten zum Dienst in der französischen Armee. Auch traf sie sich mehrmals mit General Charles de Gaulle. 1944 verlieh ihr de Gaulle den Kreuzorden der Ehrenlegion (Légion d'Honneur).
Die Frau, die auch für ihre Zornesausbrüche berüchtigt war, präsentierte sich stets auf einem roten Thron, der auf einem Leopardenfell stand. Gerne trug sie einen Tropenhelm und liess sich bei Ausfahrten von Weißen begleiten. Nicht bei allen Untertanen kam ihr enges Verhältnis mit der französischen Kolonialmacht gut an. Man kritisierte sie als Die Frau der Weißen. In den 50er-Jahren schwand ihr Einfluss, nachdem im Land der Ruf nach Unabhängigkeit von den Franzosen immer stärker wurde.
Als Ngalifourou 1956 starb, richteten ihr die französischen Kolonialbehörden ein Staatsbegräbnis aus, an dem unter anderem Vertreter des Vatikans und hochrangige Staatsbeamte anderer französischer Kolonien teilnahmen. Die Unesco listete sie als eine der wichtigsten Frauen in Afrika auf. Seither heißen alle Königinnen Ngalifourou.
Und nun stehe ich in Ngabé vor dem Haus der heutigen Ngalifourou, einer Enkelin der berühmten Königin. Wie tritt man vor eine Königin? Man setze den linken Fuss leicht vor den rechten und deute einen Knicks an. Gleichzeitig schlage man dreimal die Hände leicht zusammen, lauten die Instruktionen an die Besucher. Als Frau darf man keineswegs in Hosen vor die Königin treten. Deshalb hülle ich mich von der Hüfte abwärts in ein buntes Tuch.
Nachdem ich das protokollarische Prozedere pannenfrei bestanden habe, darf ich mich auf einen feudalen Sessel an der rechten Seitenwand setzen und die Königin ausgiebig mustern. Schläft sie oder ist sie wach? Immer wieder fallen ihre Augenlieder nieder, die Frau soll gegen 85 Jahre alt sein. Dann erblickt man plötzlich wieder ihre Pupillen und gelegentlich wirft sie sogar ein Wort oder zwei in die Debatte.
Wie ihre berühmte Vorgängerin ist auch sie in rote Gewänder gekleidet und trägt eine Art Tropenhut. Unter den roten Teppichen erblicke ich die Zipfel des Lepardenfells. Die rote Farbe symbolisiert die Macht. An ihrer rechten Seite steht ihr Sprecher. Er und nicht die Königin beantworten die vom Dolmetscher ins Kongolesisch übersetzten Fragen. Was zuweilen zu kuriosen Situationen führt, weil die Fragen der Gäste im Hin- und Her von Dolmetscher zum Sprecher und zurück abgeändert werden, wie ich den übersetzten Antworten entnehmen kann.
Nach rund 20 Minuten ist das Spektakel vorbei, ich darf fotografieren und verabschiede mich mit Knicks und Händeklatschen. Und weiter geht es auf dem Fluss weiter ins Kongobecken. So mächtig der Kongo ist - man begegnet auf weiten Strecken nur Fischern auf ihren Piroggen. Gelegentlich setzen größere Boote mit einigen Passagieren von einem Ufer ans andere über.
Geschäftiger wird der Verkehr meist nur in der Nähe von wichtigen Handelsorten. Dann erblickt man in die Jahre gekommene Flussschiffe, die völlig überladen mit Waren und Menschen vorbei tuckern oder anlegen. Irgendwann biegt die Princesse vom Kongo in den Fluss Sangha ab. Unser finales Ziel ist Ouésso, die Grenzstadt zum Nachbarstaat Kamerun.
Wie im Amazonas, so fräsen sich auch hier die Motorsägen unerbittlich durch die Urwälder im Kongobecken. Im Ort Pokala am Sangha fahren wir am größten Holzverarbeiter der Republik Kongo namens CIB Congolaise Industrielle des Bois vorbei. Auf einem riesigen Gelände lagern mächtige Stämme. In grossen Produktionshallen werden die Tropenhölzer verarbeitet zu Produkten für die Möbel- und Bauindustrie.
Das Unternehmen ist mehrheitlich im Besitz der mächtigen staatlichen Investmentfirma Temasek mit Sitz in Singapur. Dazwischen geschaltet ist das börsenkotierte Unternehmen Olam Agri, ein Lebensmittel- und Agrarunternehmen, das in 60 Ländern tätig ist und weltweit Kunden mit Lebensmitteln und Rohstoffen beliefert. Dazu gehören unter anderem Kakaobohnen und -produkte, Kaffee, Baumwolle und Reis. Und eben Tropenhölzer. Das Rohstoffunternehmen hat auch eine Vertretung in der Schweiz namens Olam Global Agri Swiss mit Sitz in Nyon.
Kurz vor Ouésso legt die Princesse an. Am nächsten Morgen bringen Schnellboote in einer achtstündigen Fahrt auf dem Sangha die Gäste zur Doli-Lodge, die am Rande des Nationalparks Dzanga-Sanghai am Flussufer in der Zentralafrikanischen Republik liegt. Hier werden wir drei Nächte verbringen.
Was wohl Doli heißt? Antwort: Als wir von den Booten zur Rezeption wandern, erblicken wir in der Abenddämmerung drei Elefanten, die im weitläufigen Lodge-Anwesen ihr Futter zusammen rupfen. Da sie sich zwischen den auf Stelzen stehenden Lodges bewegen, müssen wir auf Anweisung des Personals so lange warten, bis sie sich in den nahen Urwald zurückziehen. Doli heißt also Elefant.
Am nöchsten Morgen geht es in den Urwald zu den Mangaben-Affen. Der Pfad könne vielleicht etwas feucht sein, warnen die Guides. Tatsächlich müssen wir uns auf den ersten paar hundert Metern über Tümpel balancieren und kleine Bäche überspringen. Nach etwa einer Stunde tauchen die ersten Mangaben auf. Zu dieser Affengattung gehören auch die Meerkatzen.
Es ist faszinierend zu sehen, mit welcher Hingabe die Affen sich gegenseitig das Fell reinigen. Dazwischen bewegen sich Mütter mit ihren Kleinen auf dem Rücken durch die Bäume. Junge Männchen üben sich schon mal in Revierkämpfen und jagen sich mit Affengeschrei durch die Bäume. Großer Wermutstropfen: Die ebenfalls geplante Expedition zu den Gorillas fällt aus. Grund: Der Silberrücken ist tot. Bis ein neues dominantes Männchen die Gruppe führt, werden keine Touristen in das Habitat der Gorillas geführt.
Das nächste Ziel ist die Mbeli Bai, eine große Lichtung im Urwald. Hier trifft man auf Waldelefanten, Waldbüffel und gelegentlich auch auf große Urwaldvögel. Erst aber ist harte Arbeit angesagt. «Wir waten durch einen Fluss, dann geht es bergauf», informiert der Guide. Er empfiehlt jenen, die keine Gummiüberzüge oder Stiefel bei sich haben, einfach die Schuhe auszuziehen. Schuhe ausziehen und nicht wissen, worauf man tritt? Kommt nicht infrage. Ich durchquere die Wasserstellen in meinen Turnschuhen.
Dann geht es ins Dickicht. Vor mir schlägt ein lokaler Guide zu, was die Machete hält. Der stete Blick auf den Boden verhindert, dass man versehentlich in einer der vielen Ameisenstraßen stehen bleibt, weil man gerade den Blätterhimmel oder einen seltenen Vogel bewundern möchte. Die Folgen wären umgehend am ganzen Körper zu spüren.
Nach einer Stunde erreichen wir eine hölzerne Aussichtsplattform. Ein letzter Aufstieg über steile Treppen - dann erfolgt das grosse Aha-Erlebnis: Unter uns erstreckt sich die Mbeli Bai mit zahlreichen Elefanten aller Größen und in teilweise kuriosen Farben. Grund: In der Lichtung gibt es zahlreiche Wassertümpel, in deren Untergrund sich Mineralien befinden, welche die Elefanten mit dem Rüssel aus dem Boden saugen und sich damit bespritzen.
Auf der Plattform sitzen zwei Wildhüter. Sie kontrollieren die Bestände, fotografieren Jungtiere und führen Statistiken. «Im Augenblick sind 119 Tiere hier», erklärt der eine. Die Plattform wird praktisch rund um die Uhr von Wildhütern besetzt.
Die Kehrseite der wunderbaren Aussicht präsentiert sich auf der rückwärtigen Wand der Plattform. Hier wird nicht nur über die Geschichte des Naturparks informiert und über die Elefantenforschung - hier werden auch die aktuellen Schattenseiten aufgezeigt. Im zweitgrößten Regenwald der Welt wird nach wie vor gewildert, genauso wie in vielen anderen Wildreservaten in anderen afrikanischen Staaten. Dazu kommt die legale und illegale Abholzung, die in rasantem Tempo voranschreitet.
Der zweitletzte Tag im Kongobecken gehört ganz der autochthonen Bevölkerung, wie die Pygmäen politisch korrekt genannt werden müssen. Diese kleinwüchsige Bevölkerungsgruppe lebte schon immer in der Regenwaldzone Afrikas. Unser Besuch gilt den Baka, die in einem Dorf in der Nähe der Lodge leben. Sie werden uns zeigen, wie sie jagen, was sie im Urwald sammeln und wie Waßertrommeln tönt.
Gemäß Forschung gehören die Pygmäen zu den ältesten Völkern der Erde. Insbesondere die Baka gelten zusammen mit den südafrikanischen Kung-San als direkte Nachfahren der ältesten Homo-sapiens-Population der Erde. Auf dem Weg vom Dorf in den Urwald stimmen sie auf den Ladeflächen unserer Fahrzeuge einen Gesang mit drei Tönen an. Musik, so erfahre ich, spielt bei den Baka eine wichtige Rolle. Fast zu jeder Gelegenheit stimmen Männer und Frauen ihre Gesänge an. Die Unesco hat dieses Tradition zum Immateriellen Kulturerbe erklärt.
Kaum ist das Jagdgebiet erreicht, schneiden die Baka Zweige ab, stimmen einen weiteren Gesang an und schlagen tanzend mit den Zweigen auf den Boden. Das soll die Waldgeister gut stimmen, erklärt der Guide. Insgeheim denke ich, dass die jagdbaren Tiere ob dieses Lärms längst Reißaus genommen haben. Dann geht es ins Dickicht. Während die Baka in schnellem Tempo auf ihren Gummilatschen zwischen den Bäumen, Lianen und Büschen verschwinden und ihre Netz spannen, stolpern und klettern wir Touristen in festem Schuhwerk über Wurzeln und umgefallene Bäume.
Als nächstes zeigt uns die Jagdgesellschaft, wie sie die Fangnetze aus Pflanzenfasern herstellt. Und die Frauen demonstrieren uns, wie man aus Blättern, Rinden und Baumsäften Heilmittel gewinnt. Diese Apotheke reicht von Tropfen für Ohrenleiden, Blätter gegen Bauchbeschwerden wegen Würmern, Baumsäften gegen Menstruationsbeschwerden bis hin zum Pulver, das das Liebesleben von Mann und Frau auf Touren bringen soll.
Kann man verdursten im Urwald? Nicht, wenn man sich mit Lianen auskennt und eine Machete dabeihat. Die armdicken Lianen werden in 50 cm lange Stücke geschnitten. Dann neigt man den Kopf nach hinten und hält sich das Stück über den offenen Mund. Und heraus fließt frisches Wasser, das in der Pflanze reichlich gespeichert ist.
Zum Abschluss dieses fantastischen Ausflugs geht es mit den Fahrzeugen zu einem kleinen See in der Nähe des Dorfes, wo uns die Pygmäen ein weiteres Highlight ihrer musikalischen Kultur zeigen: das Wassertrommeln. Und das klingt dann so:
Die Kultur der Pygmäen verschwindet allmählich, weil ihr traditioneller Lebensraum durch Abholzung, Brandrodung und Ausdehnung der Siedlungsflächen verschwindet. Die Baka wie andere Pygmäen-Gruppen werden zur Sesshaftigkeit gezwungen und fristen vielerorts ein Randdasein als billige Arbeitskräfte für die normalwüchsige Bevölkerung, in deren Dörfer sie leben. Im Gespräch mit Ortskundigen ist zu erfahren, dass überdies der Alkoholkonsum ein verbreitetes Problem sei. Und auch die Kleinwüchsigkeit verschwindet, weil Pygmäen immer mehr Partnerschaften mit Normalwüchsigen eingehen.
Die Rückreise nach Brazzaville erfolgt mit der Africa Airlines mit einer Maschine ATR 72/500. Von dort geht es anschließend mit der Air France im Nonstop-Flug nach Paris.
Hauptstadt: Brazzaville
Sprache: Französisch (Amtssprache), regionale Sprachen wie Lingála und Kikongo verbreitet
Zeitzone: West Africa Time (WAT, UTC+1)
Telefonvorwahl: +242
Währung: Zentralafrikanischer CFA-Franc (XAF) - 1 EUR ≈ 655 XAF (fester Wechselkurs)
Zahlungsmittel: Bargeld ist üblich, Kreditkarten nur in großen Hotels oder gehobenen Restaurants akzeptiert. Geldautomaten sind in größeren Städten vorhanden, aber nicht immer zuverlässig.
Stromversorgung: 230 V, 50 Hz Steckdosen Typ C und E (wie in Deutschland und Frankreich). Stromausfälle sind häufig, eine Powerbank kann hilfreich sein.
Einreiseund Visum: Ein Visum ist für EU-Bürger und viele andere Nationalitäten nötig - vorab bei der Botschaft oder als E-Visum. Passgültigkeit: Mindestens sechs Monate über das Reiseende hinaus. Impfpflicht: Gelbfieberimpfung zwingend erforderlich (Nachweis wird bei Einreise kontrolliert).
Empfohlene Impfungen: Hepatitis A und B, Typhus, Meningokokken, Tollwut, Polio, Malariaprophylaxe empfohlen.
Wasser: Leitungswasser meiden, nur abgefülltes oder abgekochtes Wasser trinken.
Kriminalität: In Städten wie Brazzaville und Pointe-Noire gibt es Taschendiebstahl und gelegentliche Überfälle, vor allem nachts. Wertgegenstände nicht offen zeigen und nachts nicht alleine unterwegs sein. Offizielle Taxis nutzen, keine Motorradtaxis. Vorsicht bei Polizeikontrollen – es gibt Berichte über Korruption.
Kleidung und Sitten: Leichte, luftige Kleidung empfohlen, kurze Hosen und Röcke in Städten eher unüblich. Händeschütteln ist üblich, oft mit längerem Händedruck. Ältere Menschen und Autoritätspersonen mit Respekt ansprechen.
Fotografieren: Militärische Einrichtungen, Flughäfen und Regierungsgebäude dürfen nicht fotografiert werden.
Straßenverhältnisse: In Städten gut, auf dem Land oft schlecht. Das Verkehrsverhalten ist chaotisch, eine defensive Fahrweise wird empfohlen. Minibusse und Motorradtaxis sind verbreitet, aber oft unsicher. Mietwagen sind erhältlich, aber besser ist es, einen Fahrer anzuheuern wegen der schwierigen Straßenverhältnisse.
Klima: Tropisch-feucht mit hoher Luftfeuchtigkeit. Die beste Reisezeit: sind die Trockenzeiten von Juni bis September und Dezember bis Februar.