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Stefan Kissinger, Avanti Air

«Haben uns bei Avanti Air gegen Airbus A319 entscheiden»

Die deutsche Charterairline stellt die Flotte auf Dash 8 um. Im Interview begründet Ko-Eigentümer Stefan Kissinger die Wahl und erklärt, warum er die Fokker 100 vermissen wird und wie Avanti Air zum Namen kam.

Sie haben sich bei Avanti Air von der Fokker 100 verabschiedet. Warum?
Stefan Kissinger*: 
Die Ersatzteilversorgung beziehungsweise die Überholung wesentlicher Komponenten und Systeme ist einfach zu aufwändig geworden. Triebwerke können weltweit zum Beispiel nur noch in einem Betrieb überholt werden. Der Simulator in Amsterdam wurde stillgelegt und abgebaut.

Sind Sie etwas wehmütig, immerhin betrieben Sie das Modell viele Jahre?
Ich kenne keinen, der als Techniker oder Pilot nicht voller Wehmut an die Zeit mit der Fokker 100 denkt. Auch heute, fast 20 Jahre nach Einstellung der Produktion, ist es immer noch ein Flugzeug, das den Vergleich mit anderen 100-Sitzern heutiger Produktion in Komfort und Einsatzspektrum nicht zu scheuen braucht.

Sie haben als Ersatz eben eine erste De Havilland Canada Dash 8 eingeflottet, die als D-AASH fliegen wird. Warum fiel die Wahl auf das kanadische Flugzeugmodell?
Wir haben zwischen 2001 und 2015 sehr gute Erfahrungen mit dem Betrieb von Turboprops machen können. Die Dash 8-400 ist von den Umlaufzeiten und Flugzeiten gegenüber einem vergleichbaren Jet wenig langsamer, gleichwohl sehr viel günstiger zu betreiben. Die Konkurrenz in diesem Markt ist auch überschaubarer. Zudem wird uns das Thema der Co2-Reduzierung und den damit zwangsläufig verbundenen Kosten sicher nicht mehr loslassen. Auch unter diesem Aspekt bietet die Dash 8 Vorteile.

Mit der ungewissen Aussicht auf 2022 wollten wir das Risiko nicht eingehen.

Vor der Dash 8 hatten Sie sich die Embraer E190 angeschaut. Weshalb entscheiden Sie sich gegen die brasilianischen Jets?
Unsere Berechnung hat gezeigt, dass die Embraer E190 zu dicht an den Kosten eines Airbus A319 liegt. Das machte für uns keinen Sinn. Der Markt ist in diesem Segment relativ gut abgedeckt mit den bestehenden Anbietern. Wir mussten seit Bestehen des Unternehmens unsere Kapitalkosten, Wartungskosten, Personalkosten und so weiter immer operativ erwirtschaften. Mit der ungewissen Aussicht auf 2022 wollten wir das Risiko nicht eingehen.

Die Dash 8 ist aber doch ein Stück kleiner als die Fokker 100. Brauchen Sie in der Nach-Corona-Zeit weniger Sitzplätze?
Wir haben relativ wenig Anfragen im Bereich der 100 Sitze derzeit, selbst für die Fokker verstärkt für Gruppen zwischen 60 und 80 Passagieren – was allerdings eine Momentaufnahme sein kann. Insofern werden wir sicher nicht die erste Wahl für die Reiseveranstalter sein, waren wir zuvor aber auch nicht. Wir denken, die Dash trifft auf einen ganz intakten Markt, die Konkurrenz ist überschaubar.

Die Dash 8 ist aber auch langsamer und hat eine niedrigere Reichweite…
Macht nix, fliegen wir woanders hin (lacht). Spaß beiseite, das stimmt. Aber auch da, wir haben auf der Fokker die Reichweite und volle Sitzplatzkapazität häufig nicht ausgenutzt. Wir haben die eine oder andere Strecke der Fokker verglichen mit der Dash 8-400. Selbst bei Flügen nach Griechenland ist der Zeitverlust zum Teil weniger als 30 Minuten.


Fokker 100 von Avanti Air: Bild: Avanti Air

Wie viele Dash 8 werden es am Ende denn sein? Sie flotten eine zweite ein und verhandeln über eine dritte. Könnten es auch mehr werden?
Zwei auf jeden Fall, alles darüber werden die Zeit und der Markt zeigen.

Sind auch Jets noch ein Thema oder setzen Sie auf eine Einheitsflotte?
Jets sind immer noch ein Thema, das muss aber Sinn machen. Die Situation am im Markt für 2022 und darüber ist aus unserer Sicht nicht kalkulierbar. Deshalb: Geduld. Auch wenn das nicht unsere Stärke ist.

Wie hat die Pandemie Avanti Air getroffen? Mussten Sie Personal entlassen?
Sicher hat uns die Pandemie hart getroffen, ich würde meinen besonders hart, wenn es um die staatlichen Corona-Hilfen geht. Die Personenidentität der Gesellschafter der Avanti Air und der Besitzgesellschaft der Flugzeuge hat uns aus wesentlichen Förderungen ausgeschlossen. Zudem hatten wir keine Schulden. Personal mussten wir keines entlassen. Alle die wollten, sind noch immer an Bord, ein paar wenige Mitarbeitende aus dem europäischen Ausland haben uns auf eigenen Wunsch verlassen und der Luftfahrt den Rücken gekehrt.

Der Betrieb von Flugzeugen ist in der Pandemie nicht billiger geworden.

In der Krise flogen Sie wenig. Wo sehen Sie Ihre Rolle in der Zukunft?
Wir flogen und fliegen in der Krise wenig – aus rein wirtschaftlichen Gründen. Klingt blöd, ist aber einfach erklärbar. Der Betrieb von Flugzeugen ist in der Pandemie nicht billiger geworden. Einige haben die Situation versucht dahingehend auszunutzen, uns Preise zu diktieren, die zwangsläufig zum Betrieb unter Kosten geführt hätten. Das wollten wir nicht.

Der Charter- und Wet-Lease-Markt ist hart umkämpft. Zum einen drängen klassische Fluggesellschaften vermehrt auf den Markt, weil sie ihre Flugzeuge nicht brauchen, zum anderen gibt es immer neue Anbieter vor allem aus Osteuropa. Wie können Sie da noch mithalten?
Deshalb haben wir uns auch zurzeit gegen den Betrieb eines Airbus A319 entschieden. Das ist ein Wettbewerb, den man nur verlieren kann.

Ist der Standort Deutschland kein Nachteil?
Ja und nein. Ja, ein klarer Nachteil hinsichtlich unserer Bürokratie. Und nein, wenn Sie einen Mitarbeiterstamm haben, der in vielen Fällen 15 und mehr Jahre im Unternehmen geblieben ist, mit allen Hochs und Tiefs. Unser erster Mitarbeiter geht nach 27 Jahren Betriebszugehörigkeit 2022 in Rente. Auch wenn wir manches Mal die Vorteile andere Standorte außerhalb Deutschlands sehen, wir hätten ohne die langjährigen Mitarbeitenden das Geschäft so nicht entwickeln können.

Die Piaggio P180 Avanti ist ein richtig tolles Flugzeug.

Sie sind nun seit mehr als 25 Jahren im Geschäft. Was fasziniert Sie heute noch daran?
Das fragen mein Geschäftspartner Markus Baumann und ich uns häufig selbst. Ich denke, wir haben die Firma so oft umdenken und umbauen müssen – es war vieles, aber nie langweilig. Faszinierend ist für uns immer wieder, dass wir noch verrückt genug sind, alle paar Jahre einen Flottenwechsel durchzuziehen, der regelmäßig nur auf ein Bauchgefühl vertraut.

Und zuletzt: Wie kamen Sie eigentlich auf den Namen Avanti Air?
Herr Baumann und ich haben 1992 eine der ersten Piaggio P180 Avanti in Deutschland geflogen, als Freelancer für ein saarländisches Unternehmen. Im weiteren Verlauf haben wir häufig Training und Demoflüge gemacht. Als wir uns 1994 selbstständig gemacht haben, stellte sich natürlich die Frage nach dem Namen. Gegenüber Pilotendienstleistung Kissinger und Baumann hatte Avanti Air als Name einfach die besseren Chancen (lacht). Wir hatten mit Erhalt unseres AOC relativ schnell neben mehreren Beechcraft King Air auch 2 Piaggio Avanti im Betrieb. Das ist ein richtig tolles Flugzeug.

* Avanti Air wurde 1994 von den Piloten Markus Baumann und Stefan Kissinger gegründet. Sie leiten das Unternehmen auch heute noch. Die Basis der Wet-Lease- und Charterfluggesellschaft ist der Flughafen Siegerland. Die letzte Fokker 100 hat sie vor einiger Zeit verkauft und die erste Dash 8 vor kurzem eingeflottet.