Már Gunnarsson ist Musiker, Spitzensportler, Vielflieger – und blind. Seine Erlebnisse als Passagier zeigen, wie weit der Weg zu echter Inklusion noch ist. Fluggesellschaften und Flughäfen sind noch immer schlecht auf Blinde vorbereitet.
Már Gunnarsson träumte als Kind wie so viele andere davon, später einmal Pilot zu werden. Denn in seiner Familie und seinem Umfeld haben viele in der Luftfahrtbranche gearbeitet. «Erst im Alter von zehn Jahren habe ich wirklich realisiert, dass daraus nichts werden kann», sagt der 25-Jährige. Denn er ist von Geburt an blind. Hatte er damals noch eine Sehfähigkeit von zehn Prozent, beträgt sie inzwischen weniger als ein Prozent.
Heute sitzt Gunnarsson dennoch oft im Flugzeug - allerdings hinten. «Ich fliege manchmal jede Woche», sagt der Isländer, der in Manchester lebt, wo er am Royal Northern College of Music Populärmusik mit den Schwerpunkten Piano und Gesang studiert. Von Manchester aus fliegt er immer wieder zu Auftritten, etwa um sein neues Album «Orchestral Me» zu präsentieren. Oder er ist unterwegs zu Sportwettbewerben. Denn Gunnarsson ist auch Schwimmer, 2021 stellte er einen Weltrekord über 200 Meter Rücken auf, bei den Sommer-Paralympics 2024 in Paris wurde er im Finale über 100 Meter Rücken Siebter, in Tokio über 100 Meter Rücken Fünfter und über 200 Meter Lagen Achter.
Und ab und zu fliegt der umtriebige junge Mann auch nach Luxemburg, wo er Familie hat und wo er einen Teil seiner Kindheit verbrachte. «Ich genieße das Reisen», sagt er im Gespräch mit aeroTELEGRAPH. Da er so viel unterwegs sei, sei er auch «sehr, sehr unabhängig» geworden. Hilfe braucht er nur noch punktuell. «Mein Blindenhund Max ist unglaublich gut und kennt sich an vielen Flughäfen bestens aus», sagt Gunnarsson.
Dennoch erlebt Gunnarsson auf diesen Reisen immer wieder Frust. «Die Angestellten wissen oft nicht, wie sie mit einer blinden Person umgehen sollen und sind überfordert», sagt der Musiker und Spitzensportler. In London habe man ihm einmal einen Rollstuhl bereitgestellt. «Als ich sagte, ich brauche den nicht, und davon lief, rannte mir einer nach und schrie mich an, ich solle mich gefälligst hineinsetzen», erzählt er. «Dabei bin ich wohl fitter als 95 Prozent der anderen Fluggäste», lacht er.
Doch die Schwierigkeiten als blinder Passagier beginnen schon viel früher. «Leider sind viele Apps und Websites nicht barrierefrei», sagt Gunnarsson. «Mit der App von Miles and More kann ich beispielsweise rein gar nichts machen», kritisiert er. Leider gebe es kaum eine Airline, die ein wirklich barrierefreies Angebot habe. «Alle haben ihre Mängel», so der blinde junge Mann. Manchmal muss er deshalb einen Freund bitten, einen Flug für ihn zu buchen. «Am liebsten buche ich telefonisch. Das ist für mich das Beste. Aber das kostet ja meistens extra.»
Aber das ist nicht das einzige Problem. «Jede Fluggesellschaft hat unterschiedliche Vorschriften, wenn es um das Fliegen mit Blindenführhunden geht», erzählt er. Sie auf der Webseite zu finden, sei oft schwierig. Manche Fluggesellschaften wollten, dass man vorher anrufe, andere verlangten, dass man zuerst buche und sich dann melde. Und wiederum bei anderen müsse man sich an ein externes Unternehmen wenden. «Das ist alles sehr zeitaufwändig. Es wäre schön, wenn es hier einheitliche Vorgehensweisen und Regeln gäbe.»
Eigentlich sind europäische Fluggesellschaften auch verpflichtet, Gäste mit Blindenhund zu befördern. «Aber viele haben ein Schlupfloch gefunden.» Er sei beispielsweise jahrelang problemlos mit British Airways geflogen. «Dann sagten sie mir 2024 plötzlich, Max dürfe nicht mehr ins Flugzeug. Es seien nur noch von der International Guide Dog Association zertifizierte Hunde zugelassen», erzählt der blinde Musiker. Und nicht alle Länder sind bei dieser Organisation dabei. Inzwischen hat die Fluggesellschaft dies aber wieder geändert.
Auch bei Luxair hat Gunnarsson schlechte Erfahrungen gemacht. «Sie wollten Max nicht mitfliegen lassen, weil sie keine Tiere aus dem Vereinigten Königreich zulassen», erzählt der Isländer. Das gelte zwar für Haustiere, nicht aber für Assistenztiere. «Ich musste zwei Jahre lang für mein Recht kämpfen, bis sie mich endlich mit Max an Bord ließen.» Auch bei Easyjet oder Jet 2 habe er schon Probleme gehabt. «Ich finde das wirklich sehr, sehr ärgerlich, aber auch sehr traurig, dass große Unternehmen so sind.»
Der Tag der Reise ist für Gunnarsson Routine. «Max leitet mich überall durch.» Nur wenn er sich an einem Flughafen gar nicht auskenne, fordere er Hilfe an, die ihn durchführe. Leider hätten noch längst nicht alle Airports das Navilens-System eingeführt. Ein über das Smartphone lesbarer Farbmatrix-Barcode auf Schildern hilft blinden und sehbehinderten Menschen dabei, sich zurechtzufinden. «Das System ist sehr nützlich und einfach», so Gunnarsson, «aber leider noch nicht weit verbreitet.»
Auch das Einsteigen sei dank dem schwarzen Labrador kein Problem. «Ich habe die beste Reisebegleitung, die man sich wünschen kann.» Nur drängelnde Mitreisende sind mitunter ein Problem. Oder gewisse Flugbegleitende. «Kürzlich befahl mir eine, zu warten, bis alle anderen ausgestiegen sind», erzählt Gunnarsson. Als er sich nicht daran gehalten und erklärt habe, er habe die gleichen Rechte, habe sie nur geflucht. «Vielleicht brauche ich ein paar Sekunden länger, um mein Gepäck aus dem Fach zu holen», sagt er, «Aber das ist ja auch bei älteren Reisenden so.»
Im Idealfall setzt die Fluggesellschaft ihn in eine Reihe weit vorn und räumt einen Sitz frei. Vor dem kann dann Blindenführhund Max am Boden sitzen. «Im Idealfall sitze ich in der Mitte und der Hund daneben am Fenster, so dass er nie neben einem anderen Passagier sitzt und er nicht Gefahr läuft, dass jemand auf ihn tritt», sagt Gunnarsson. Manchmal muss der junge Mann aber den Hund unter sich halten, weil kein Platz neben ihm freigehalten wird. «Der Versuch, einen großen Labrador in diesen kleinen Raum zu quetschen, führt zu Chaos und Unbehagen für mich und die Passagiere neben uns.»
Und was, wenn Gunnarsson einmal aus Klo muss? «Max bleibt dann am Platz und ich zähle die Schritte», erzählt der blinde Vielflieger. «Aber oft habe ich die Zahl beim Händewaschen schon wieder vergessen», lacht er. «Dann muss ich mich etwas zurück an den Platz kämpfen.»
Nicht nur von den Fluggesellschaften und Flughäfen erhofft sich Gunnarsson mehr Rücksicht auf Menschen mit Beeinträchtigungen. Auch von den Mitreisenden. Er wünsche sich, dass sie seinen Hund in Ruhe ließen. Denn Max müsse sich auf seine Aufgabe konzentrieren. «Bitte nähern Sie sich nicht dem Hund. Selbst ein Blick auf ihn kann ihn stören. Idealerweise sollten Sie ihn so behandeln, als wäre er Luft.»
Das heißt aber nicht, dass sich Gunnarsson keine Gespräche wünscht oder nicht angesprochen werden will. «Es ist in Ordnung, sich mir zu nähern und mich anzusprechen und mir Hilfe anzubieten», sagt der blinde Mann.