Ein Bergsturz zerstörte das Schweizer Alpendorf Blatten fast vollständig. Frühwarnsysteme ermöglichten die rechtzeitige Evakuierung. Dabei half die De Havilland Canada DHD-6 von Swisstopo. Sie dokumentierte die Ereignisse in Rekordzeit aus der Luft.
303 Menschen lebten auf diesem Flecken Erde, der 1542 Meter über der Meereshöhe liegt. Hier in Blatten, zuhinterst im Lötschental im Schweizer Kanton Wallis, wird seit mehr als 600 Jahren Landwirtschaft betrieben, zuletzt lockte das kleine, idyllische Dorf auch viele Touristinnen und Touristen an.
Doch seit dem 28. Mai ist nichts mehr, wie es einmal war. Blatten wurde von einer massiven Schutt- und Eislawine erfasst und weitgehend zerstört. Der Bergsturz hatte sich nach längerer Instabilität in der Felsstruktur gelöst. Dank frühzeitiger Warnungen durch Geologie-Fachleute und Einsatzkräfte war das Dorf bereits Tage zuvor vollständig evakuiert worden.
In den Alpen drohen Naturgefahren oft unerwartet. Und deshalb ist eine ständige Überwachung unerlässlich. Sensoren messen Erschütterungen, GPS-Stationen registrieren jede noch so kleine Bewegung der Gletscher, und Drohnen liefern präzise Aufnahmen aus der Luft. All diese Daten helfen mit, gefährdete Bergdörfer rechtzeitig zu evakuieren, wenn ein Blatten-Szenario droht.
Eine Schlüsselrolle spielt dabei Swisstopo, das schweizerische Bundesamt für Landestopografie. Ihre Fachleute starten regelmäßig vom Flugplatz Dübendorf bei Zürich mit zwei speziell ausgerüsteten, und von der Luftwaffe betriebenen Fliegern – einer De Havilland Canada DHC-6 Twin Otter und einer Beechcraft King Air, um die Schweiz aus der Luft zu kartieren. Mit modernster Kameratechnik erfassen sie Veränderungen in der Landschaft, dokumentieren den Gletscherrückgang und liefern entscheidende Informationen in Krisensituationen. So auch jetzt wieder in Blatten.
Eine der wichtigsten Leistungen: das Rapid Mapping. Wenn eine Naturkatastrophe eintritt, wie jüngst in Blatten, zählt jede Minute. Die Methode stellt in kürzester Zeit Luft- und Satellitenbilder zur Verfügung – für Bund, Kantone und Gemeinden. Damit können Einsatzkräfte die Lage vor Ort besser beurteilen und schneller handeln.
Das erste offizielle Rapid-Mapping-Ereignis fand 2017 nach dem Bergsturz von Bondo statt – doch schon zuvor hatte man die Methode bei Hochwasserereignissen getestet. Ziel ist stets dasselbe: so schnell wie möglich verwertbare Bilder liefern. «Nachdem wir den Auftrag erhalten haben, geht es in erster Linie darum, möglichst zeitnah Luftaufnahmen zu erstellen und zu publizieren, um die Ereignisbewältigung zu unterstützen. Der Informationsgehalt der Aufnahmen steht im Vordergrund», sagt Carlo Bosco von Swisstopo Flight Services.
Am Morgen des 19. Mai wurde das Dorf Blatten evakuiert – wenige Stunden später kreiste bereits die Twin Otter über dem Lötschental. Ein Teil des Berges war bereits abgebrochen und auf den Birchgletscher gestürzt. An Bord: Swisstopos hochauflösende ADS-Kamera von Leica – ergänzt durch Übersichtsbilder mit einer Nikon Z9. Die Fotos entsprächen zwar nicht den üblichen Qualitätsansprüchen an Luftaufnahmen von Swisstopo während regulären Flügen, sagt Bosco. «Aufgrund der Dringlichkeit werden für Rapid Mapping beispielsweise ungünstige Lichtverhältnisse oder Wolkenschatten in Kauf genommen.»
Bereits am 30. Mai folgte der zweite Flug. Rund 2,5 Stunden war die Twin Otter dieses Mal in der Luft, fast eine Dreiviertelstunde davon allein für Schrägbilder. Diese wurden noch am selben Abend veröffentlicht. Das geometrisch korrigierte Orthophoto aus der Leica-Kamera war über Nacht berechnet – um 07:30 Uhr am nächsten Morgen war es online. Ein neuer Geschwindigkeitsrekord für Swisstopo – bei dieser Datenmenge ein beachtlicher Erfolg.
Ob ein Satellit oder ein Flugzeug zum Einsatz kommt, hängt jeweils vom Ereignis ab. Für Luftbilder stehen Swisstopo-Flugzeuge oder – je nach Lage – auch der Hubschrauber der Zürcher Kantonspolizei bereit. Mit ihm könne man «tief, also unterhalb der Wolkendecke, Luftaufnahmen realisieren», erzählt Bosco.
Ob ein dritter Flug über Blatten notwendig wird, ist derzeit noch unklar. Sicher ist: Die Schweiz ist technisch und logistisch gerüstet, um auch auf die nächste Naturgefahr schnell zu reagieren. Wann immer sie auch droht.