303 Menschen lebten auf diesem Flecken Erde, der 1542 Meter über der Meereshöhe liegt. Hier in Blatten, zuhinterst im Lötschental im Schweizer Kanton Wallis, wird seit mehr als 600 Jahren Landwirtschaft betrieben, zuletzt lockte das kleine, idyllische Dorf auch viele Touristinnen und Touristen an.
Doch seit dem 28. Mai ist nichts mehr, wie es einmal war. Blatten wurde von einer massiven Schutt- und Eislawine erfasst und weitgehend zerstört. Der Bergsturz hatte sich nach längerer Instabilität in der Felsstruktur gelöst. Dank frühzeitiger Warnungen durch Geologie-Fachleute und Einsatzkräfte war das Dorf bereits Tage zuvor vollständig evakuiert worden.
Zwei Flugzeuge vermessen die Schweiz aus der Luft
In den Alpen drohen Naturgefahren oft unerwartet. Und deshalb ist eine ständige Überwachung unerlässlich. Sensoren messen Erschütterungen, GPS-Stationen registrieren jede noch so kleine Bewegung der Gletscher, und Drohnen liefern präzise Aufnahmen aus der Luft. All diese Daten helfen mit, gefährdete Bergdörfer rechtzeitig zu evakuieren, wenn ein Blatten-Szenario droht.
Wunderwaffe Rapid Mapping
Eine der wichtigsten Leistungen: das Rapid Mapping. Wenn eine Naturkatastrophe eintritt, wie jüngst in Blatten, zählt jede Minute. Die Methode stellt in kürzester Zeit Luft- und Satellitenbilder zur Verfügung – für Bund, Kantone und Gemeinden. Damit können Einsatzkräfte die Lage vor Ort besser beurteilen und schneller handeln.
Das erste offizielle Rapid-Mapping-Ereignis fand 2017 nach dem Bergsturz von Bondo statt – doch schon zuvor hatte man die Methode bei Hochwasserereignissen getestet. Ziel ist stets dasselbe: so schnell wie möglich verwertbare Bilder liefern. «Nachdem wir den Auftrag erhalten haben, geht es in erster Linie darum, möglichst zeitnah Luftaufnahmen zu erstellen und zu publizieren, um die Ereignisbewältigung zu unterstützen. Der Informationsgehalt der Aufnahmen steht im Vordergrund», sagt Carlo Bosco von Swisstopo Flight Services.
Einsatz in Blatten: Zwei Flüge, ein Rekord
Am Morgen des 19. Mai wurde das Dorf Blatten evakuiert – wenige Stunden später kreiste bereits die Twin Otter über dem Lötschental. Ein Teil des Berges war bereits abgebrochen und auf den Birchgletscher gestürzt. An Bord: Swisstopos hochauflösende ADS-Kamera von Leica – ergänzt durch Übersichtsbilder mit einer Nikon Z9. Die Fotos entsprächen zwar nicht den üblichen Qualitätsansprüchen an Luftaufnahmen von Swisstopo während regulären Flügen, sagt Bosco. «Aufgrund der Dringlichkeit werden für Rapid Mapping beispielsweise ungünstige Lichtverhältnisse oder Wolkenschatten in Kauf genommen.»
Wie der Bergsturz von Blatten aus dem Flugzeug aussieht
Da, wo das braun-graue Geröll liegt, lag einmal Blatten.
Das Dorf im Lötschental im Schweizer Kanton Wallis wurde fast ganz verschüttet.
Die Situation etwas weiter aus der Ferne.
Gut zu sehen ist hier die Abbruchstelle am Birchgletscher.
Durch die Gesteinsmassen wurde der Fluss Lonza gestaut und ein See bildete sich.
Er setzte die letzten Gebäude noch unter Wasser, läuft aber inzwischen langsam ab.
Die Aufnahmen machte die De Havilland Canada DHC-6 der Schweizer Luftwaffe, die von Swisstopo genutzt wird.
Robert Erenstein/aeroTELEGRAPH
Bereits am 30. Mai folgte der zweite Flug. Rund 2,5 Stunden war die Twin Otter dieses Mal in der Luft, fast eine Dreiviertelstunde davon allein für Schrägbilder. Diese wurden noch am selben Abend veröffentlicht. Das geometrisch korrigierte Orthophoto aus der Leica-Kamera war über Nacht berechnet – um 07:30 Uhr am nächsten Morgen war es online. Ein neuer Geschwindigkeitsrekord für Swisstopo – bei dieser Datenmenge ein beachtlicher Erfolg.
Auch mal per Satellit oder mit dem Hubschrauber
Ob ein Satellit oder ein Flugzeug zum Einsatz kommt, hängt jeweils vom Ereignis ab. Für Luftbilder stehen Swisstopo-Flugzeuge oder – je nach Lage – auch der Hubschrauber der Zürcher Kantonspolizei bereit. Mit ihm könne man «tief, also unterhalb der Wolkendecke, Luftaufnahmen realisieren», erzählt Bosco.
Ob ein dritter Flug über Blatten notwendig wird, ist derzeit noch unklar. Sicher ist: Die Schweiz ist technisch und logistisch gerüstet, um auch auf die nächste Naturgefahr schnell zu reagieren. Wann immer sie auch droht.